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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Mittelrheinsinfonie
> Aphex Twin ist nichts dagegen: Was das Aufnahmegerät so aufzeichnet, wenn
> es auf einem Balkon am idyllischen Ufer des großen Stroms steht.
Bild: Der Bildbeweis: Niemand blinkt mehr.
Warum ist es am Rhein so schön? Um dies herauszufinden, unternahm ich
neulich eine Wanderung. Aber nicht dort, wo der Schicksalsstrom sich dröge
wie träge durchs Flachland wälzt und duldsam AKW-Abwässer aufnimmt. Sondern
dort, wo er mit Wut und Mut durchs Mittelgebirge bricht. Es ging also über
die steilen Klippen und durch das unwegsame Unterholz des dramatischen
Rheinsteigs. Dort kann man noch gewaltige Hirschkühe aufscheuchen, dem
Dachs in seinen Bau schauen und der Loreley unter den Rock.
Am späteren Abend hatte ich vom Balkon meiner Bleibe im völlig
mumifizierten Städtchen Kaub einen idealen Überblick über 2000 Jahre
Rheinromantik. Eine Burg mitten im Wasser, eine Burg am anderen Ufer, eine
Burg direkt neben dem CVJM-Heim, in dem ich zu übernachten gedachte. Über
mir nur der gestirnte Himmel, ferne Lichter, friedliche Dörflichkeit, und
so ließ ich meinen Brentano sinken und lauschte in die Nacht.
Was soll ich sagen? Selten hörte ich Faszinierenderes. Nicht auf
Amphetaminen bei Aphex Twin, nicht auf Pilzen bei The Mars Volta. Im Grunde
bräuchte es einen modernen und damit nervenstarken Komponisten, um so etwas
wie die Mittelrheinsinfonie in Noten zu setzen. Ich kann nur zu beschreiben
versuchen, was mein Aufnahmegerät in den 45 Minuten aufzeichnete, die ich
es draußen ausgehalten habe: Stets präsent und gummigefedert sind zischend
– eher weich und klein, mal aufheulend, mal abklingend, immer ineinander
überfließend – auf den Bundesstraßen recht und links des Ufers Automobile
zu hören, die milderen Geschwister der hornissenhaften Zweiräder. Doch
waren das nur zart ausschmückende Flötentöne, verglichen mit dem Marsch der
Güterzüge.
Der Zug ist noch lange nicht in Sicht, da kündigt er sich schon durch ein
Sirren der Schienen an, gefolgt vom rhythmischen Rattern, wenn er mit
tonnenschwerer Kinetik rheinaufwärts ächzt. 46 Waggons mit Düngemitteln,
Schrott, Kaffee oder Panzern, die sich allmählich entfernen, zu einem
brandungsähnlichen Rauschen abschwellen, nur um von einem dieser Nachtzüge
mit erleuchteten Fenstern abgelöst zu werden, die rheinabwärts ihren
Verspätungen nachhasten, kontrastiert vom fröhlichen Pfeifen eines
seltsamerweise einzeln daherrasenden Triebwagens – als würde hier ein irrer
Lokomotivführer nach Feierabend noch die kurvenreiche Strecke genießen
wollen.
Im Gegensatz dazu nach harter Arbeit klingendes Wummern der schweren
Schubverbände, deren ölschwitzende Dieselmotoren in ihren stählernen
Bäuchen unter der Wasseroberfläche gegen die schwarze Strömung ankämpfen,
ein subsonischer Generalbass ohne Unterlass, kontrastiert von den Obertönen
harpyienhaft verzerrter E-Gitarren, die in Wahrheit nur das Geheul der
Triebwerke all der Flugzeuge waren, die hier im Anflug auf Frankfurt am
Main in den Sinkflug übergehen.
Nach genau 45 Minuten war es erstmals völlig still, fast bestürzend still.
Und mitten in diese Stille hinein sagte plötzlich ein Käuzchen schüchtern:
„Schuhu“. Darum ist es am Rhein so schön.
28 Mar 2014
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Rhein
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Feminismus
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