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# taz.de -- Kolumne Die Wahrheit: Alter Wein in neuem Banausen
> Die Entenleberpastete mit dem Kaviarmesser aufs Brot schmieren, was soll
> das denn? Ich bin Banause und mache durchaus einen Hehl daraus.
Bild: Der Bildbeweis: Niemand blinkt mehr.
Über Essen und Trinken muss man im Grunde nur jeweils eine Sache wissen, um
nicht allzu unangenehm aufzufallen. Ich habe es erlebt. Da verbindet mir
der Zufall die Augen und führt mich in das Refugium eines greisen Verlegers
an der Côte d’Azur.
An der Tafel unter dem Baldachin sitzen neben mir ein noch wesentlich
greiserer deutscher Edeljournalist, die Gattin des Verlegers, Nachfahrin
von Paul und damit auch Camille Claudel, sowie, als Vertreterin des
alteuropäischen Hochadels, eine ergraute Prinzessin aus dem Hause Habsburg.
Wenn nicht gerade über Intendanzen in Salzburg und Vernissagen in Paris
debattiert wird, schwärmt die Prinzessin von ihren Liegenschaften auf den
Bahamas, während ihr Nachbar, der syrische Botschafter, „ganz entzückend“
auf seinem Flügel frühe Sonaten von Chopin klimpert. Ich könnte nirgendwo
mehr fehl am Platz sein.
Es ist also Abend, der beleuchtete Pool wirft sein flackerndes Blau auf die
Pinien im Garten, und in der Küche bereitet ein bezopfter und barfüßiger
Koch aus Sri Lanka gerade das Abendessen vor. Wobei „Abendessen“ ein
läppisches Wort ist für die mehrgängige Mischung aus lukullischer Séance
und byzantinischer Raffinesse, die er uns lächelnd auftischt.
Nun habe ich von der gehobenen Gastronomie keine Ahnung. Darum bemühe ich
mich wie immer, schon während der Vorspeise das einzige halbwegs
Kennerhafte vorzubringen, was ich über Feinschmeckerei mal irgendwo
aufgeschnappt habe. Ich erwähne also diesen baskischen Kochkünstler, der
quantenphysikalisch groteske Leckereien wie „heißes Eis“ oder „gasförmi…
Suppen“ zubereitet. Was bei bürgerlichen Gelagen hilft, geht beim
großbürgerlichen Gelage schief. Müde wenden die übrigen Gäste ein, diesen
Zauberkoch schon vor Jahren für private Feste gebucht zu haben, ging so,
und außerdem würde ich mir gerade die Entenleberpastete mit dem
Kaviarmesser aufs Brot schmieren, was das denn solle?
Die übrigen Gänge lasse ich geduckt und eingeschüchtert über mich ergehen,
und dann kommt der Wein. Solange er nicht aus einer dieser Pappschachteln
serviert wird, soll mir jeder Wein recht sein. Mir fehlt jedes Verständnis
für die Feinheiten des gehobenen Alkoholismus. Ich bin Banause und mache
durchaus einen Hehl daraus. Wie jeder andere Gastgeber auch dekantiert nun
der Verleger ein „besonders feines Tröpfchen“, das er höchstselbst nach
streng biologischen Richtlinen hat keltern lassen, das zu diesem
„besonderen Anlass“ aber genossen werden könne.
Ich lausche demütig und nippe hochachtungsvoll am Glas. Schmeckt, wie
immer. Erst als sich das Gespräch bestimmten Anbaugebieten zuwendet und die
Nachteile der östlichen Cevennen oder die Vorteile des Napa Valley erörtert
werden, feuere ich meinen zweiten und letzten Torpedo ab und sage
beiläufig: „Chile.“ Gefragt, wieso und weshalb Chile, schnuppere ich wieder
genießerisch am Bouquet und ergänze: „Weil es die Reblaus nie über die
Anden geschafft hat.“ Geografie, Geschichte, Önologie – in diesem Satz ist
alles drin. Und ich bin fein raus.
27 Feb 2014
## AUTOREN
Arno Frank
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Die Wahrheit
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