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# taz.de -- Wahl in Afghanistan: Der Prinz von Kandahar
> Salmai Rassul entstammt der Königsfamilie von Afghanistan und war lange
> Außenminister. Jetzt will er selbst Präsident werden.
Bild: Anhängerinnen des Präsidentschaftskandidaten Salmai Rassul.
KANDAHAR taz | Der Boden ist noch matschig vom Regen der vergangenen Tage.
Am Hauptplatz nahe dem Zentrum der Stadt Kandahar haben sich viele Menschen
versammelt. Sie warten auf einen Mann, der Afghanistans gegenwärtigen
Präsidenten, Hamid Karsai, ablösen will. Er heißt Salmai Rassul.
Immer wieder heißt es, dass viele, die zu den Veranstaltungen der
Präsidentschaftskandidaten kommen, dafür bezahlt werden; doch Rassuls
Anhänger sehen nicht gekauft aus. Sonst wären sie zumindest gute
Schauspieler. Der Hauptgrund für seine Beliebtheit ist, dass der frühere
Außenminister ein Mitglied der einstigen Königsfamilie ist. Als Abkömmling
des royalen Mohammadsai-Clans ist Rassul direkt mit dem letzten
afghanischen König, Mohammad Sahir Schah, verwandt. Mit diesem lebte er
auch lange Zeit in dessen Exil in Rom.
Rassul macht kein Hehl aus seinem „blauen Blut“. Seine Wahlplakate zeigen
neben seinem Konterfei auch afghanische Herrscher vergangener Zeit. Obwohl
die meisten von ihnen Tyrannen waren, werden sie vom Volk immer noch
geliebt. Da der Mohammadsai-Clan aus Kandahar stammt, wünschten sich viele
dort „ihren König“ zurück, vor allem nach dem Sturz der Taliban, die
ebenfalls von Kandahar aus die Macht erobert hatten.
Auch Karsais Stamm hat seine Wurzeln in Kandahar. Dass der Großteil seines
Clans aber hinter Rassul steht, wurde deutlich, als Hamids älterer Bruder
Kajum, der eigentlich auch Präsident werden wollte, zugunsten Rassuls
aufgab. Seine Unterstützer rief er zu dessen Wahl auf.
Nun, nach langem Warten, erscheint er endlich. Im Wahlkampf verzichtet er
lieber auf seine maßgeschneiderten italienischen Anzüge. Stattdessen trägt
er Turban und afghanische Tracht. Die Menschen toben und jubeln. Schnell
kommt der Paschtune auf seine Hauptthemen Frauenrechte und die Korruption
zu sprechen – in Paschtu. Zumindest versucht er es in dieser Sprache.
## Ein Mann, der die Sprache des Volkes nicht spricht
Rassul wuchs mehrsprachig auf. In der Schule lernte er Französisch. Später
kamen Englisch und Italienisch hinzu. Zu Hause wurde stets Dari gesprochen.
All diese Sprachen beherrscht er fließend. Doch seine Kenntnisse des
Paschtu, der Sprache seines eigenen Volkes, sind mangelhaft.
Das ist nicht untypisch für die royalen Mohammadsai. Den einstigen König
Sahir Schah und seinen Cousin, den späteren Präsidenten, Mohammad Daud,
hörte man nur selten Paschtu sprechen. Rassul ist klar, dass dieses Manko
ihn Wählerstimmen kosten könnte. Immerhin kann selbst sein Rivale Abdullah
Abdullah, hinter dem hauptsächlich die persischsprachigen Tadschiken
stehen, vorzüglich Paschtu.
Nun versucht sich Rassul vor versammelter Menge in der Sprache
auszudrücken, die er am wenigsten beherrscht. Seit Beginn des Wahlkampfes
munkelt man, dass er Paschtu-Lektionen nimmt. Während seiner Rede blickt er
immer wieder herab. Liest er ab? Manchmal stottert er oder verspricht sich,
seine Aussprache wirkt etwas laienhaft. Doch seine Anhänger scheint das
nicht zu stören. „Er spricht doch gar nicht so schlecht. Außerdem bemüht er
sich“, sagt ein junger Mann. Rassul habe wenigstens keinen Bluthund wie
Abdul-Raschid Dostum zu seinem Vize gemacht, sagt ein Greis. Der
Kriegsfürst Dostum ist unter den Paschtunen verhasst. Er ist der
Stellvertreter Aschraf Ghani Ahmadsais, der ebenfalls Paschtune ist und zu
Rassuls wichtigsten Konkurrenten zählt.
## „Wir müssen alle korrupten Kanäle schließen“
In seiner Rede betont Rassul immer wieder, wie wichtig die
Gleichberechtigung der Geschlechter sei und wie viel Arbeit diesbezüglich
noch auf Afghanistan warte. Für viele ist er in dieser Frage der
glaubwürdigste Kandidat. Denn unter den drei Favoriten ist er der Einzige,
der eine Frau zu einem seiner zwei Stellvertreter gemacht hat. Doch das
Frauenthema ist für Rassul problematisch geworden. Denn er ist
unverheiratet. In Afghanistan behaupten Kleriker, ein lediger Mann könne
Muslime nicht führen. Dafür stellten sie in den letzten Jahrzehnten fast
jedem Kriegsverbrecher einen Persilschein zum Regieren aus, Hauptsache, er
war verheiratet.
Rassul thematisiert sein Singledasein nicht, stattdessen die Bekämpfung der
Korruption: „Wir müssen alle korrupten Kanäle schließen“, wiederholt er.
Wie er das machen will, wird aber nicht deutlich. Dass sein erster
Stellvertreter, Ahmad Sia Massud, einst am Flughafen in Dubai mit mehreren
hunderttausend Dollar ertappt wurde, scheint Rassul verdrängt zu haben. Die
Tatsache, dass er als einstiger Außenminister unter Karsai selbst Teil
dieses korrupten Systems war, spielt an diesem Tage ebenfalls keine Rolle.
Für seine Gegner ist Rassuls Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen
jetzt schon klar. Doch manche Beobachter sehen ihn als potenziellen
Karsai-Nachfolger. Rassul werden auch gute Kontakte zu den USA nachgesagt.
Wie die Hauptfavoriten Ghani Ahmadsai und Abdullah hat er angekündigt, im
Falle seiner Wahl das strategische Partnerschaftsabkommen mit den
US-Amerikanern unverzüglich zu unterschreiben.
„Unser Land war stets stolz und unabhängig. Allerdings sind wir gegenwärtig
auf jedwede Hilfe angewiesen“, sagt er. Was im Abkommen steht, das von
manchen scharf als „Kolonialpakt“ kritisiert wurde, sagt er nicht. Die
Masse jubelt trotzdem. Währenddessen ist der Himmel klar geworden und die
Sonne scheint in Rassuls Gesicht. Fast schon majestätisch, winkt er ein
letztes Mal und verabschiedet sich – in Dari und Paschtu.
4 Apr 2014
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Anja Niedringhaus
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