# taz.de -- Ai-Weiwei-Ausstellung in Berlin : Ein einziger Akt der Solidarität | |
> Der chinesische Künstler kann der Politik nicht entrinnen. Doch sein Werk | |
> ist mehr als politisch. Der Gropius-Bau zeigt erstmals eine große | |
> Übersicht. | |
Bild: Installation „Stools“ im Lichthof des Martin-Gropius-Baus. | |
Kann es in der Kunst Beweise geben? Dieser kreativen Praxis liegt nichts | |
ferner als unbezweifelbare Sachverhalte. Gute Kunst ist nicht gerichtsfest, | |
sondern vieldeutig. Sie legt falsche Fährten, führt Objektives ad absurdum. | |
Auch wenn Künstler gern Spuren sichern. Am liebsten verschwinden sie hinter | |
Rätseln, betreiben Camouflage. | |
Bei dem chinesischen Künstler Ai Weiwei ist es genau umgekehrt. Im Leben | |
und im Werk dieses Mann gibt es kaum etwas, was nicht offenliegt. Seit | |
seinen 81 Tagen in Haft 2011 stellt der Künstler auf Instagram quasi jeden | |
Moment seines Lebens ins Netz: Ob er arbeitet, duscht oder Besucher | |
empfängt. Was wie ein Spiel mit und auf sozialen Netzwerken aussieht, ist | |
bitterer Ernst. Persifliert aber auch seine permanente Überwachung durch | |
die chinesischen Behörden. | |
„Evidence“ – der Titel der ersten großen Überblicksschau des 1957 gebor… | |
Künstlers, die jetzt im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen ist, bewegt | |
sich in einer bezwingenden Dialektik: Ai fragt mit der Kriminalvokabel nach | |
Beweisen für die Vergehen, die man vorwirft. Und die „Indizien“, die er bei | |
seiner „Wahrheitssuche“ vorlegt, werden zu Beweisstücken für die Vergehen | |
des Staates an ihm – ebenso wie für die Widersprüche der chinesischen | |
Gesellschaft. | |
Leider am wenigsten deutlich wird der ästhetische Stoffwechsel, mit dem Ai | |
dabei arbeitet, in „81“, dem spektakulärsten Werk der Schau. Der Nachbau | |
der 26 Quadratmeter großen Zelle, in der er vor drei Jahren zwölf lange | |
Wochen lang saß, mag auch ein Projekt ästhetischer Erinnerungsarbeit sein. | |
In einem ähnlich bedrückenden Erdloch hauste die Familie schon Ende der | |
sechziger Jahre, als Ais Vater während der Kulturrevolution in Ungnade | |
fiel. Ungebrochener, realistischer lässt sich das chinesische | |
Unrechtsregime kaum darstellen, als mit dieser, mit stinkendem Plastik | |
ausgeschlagenen Kammer mit dem winzigen, vergitterten Fenster. | |
## Politik als Schicksal | |
Immerhin ließe sich an dieser Arbeit demonstrieren, wie Politik das | |
Schicksal des Mannes geworden ist, der 1981 als junger Künstler in die USA | |
aufbrach, um ein „neuer Picasso“ zu werden. Insofern stehen die „Handcuff… | |
von 2013 aus milchweißer Jade in Berlin, mit denen er an das Schicksal | |
vieler inhaftierter Freunde erinnert, auch als Sinnbild für den Unbeugsamen | |
selbst. Auch Ai war in seiner Zelle Tag und Nacht an Handschellen gekettet. | |
[1][Im taz-Interview] wehrte sich der Künstler kürzlich zwar: „Ich mache | |
Kunst nicht aus politischen Gründen.“ Doch die „Gefühle“, die er „zu | |
unserer Zeit in unserer Welt zum Ausdruck“ bringen will, sind nun einmal | |
politisch kontaminiert. Gereon Sievernich, der scheidende Chef des | |
Gropius-Baus, besteht deswegen auf der Vokabel „politische Ausstellung“. | |
Und schon im Eingang der Ausstellung, wo sich Ais marmorne | |
Überwachungskameras auf die Besucher richten, wird das Gewicht der Fragen, | |
die hier verhandelt werden, in aller Schwere demonstriert. | |
## Künstler als Denkmal | |
Dass das politische Denkmal Ai Weiwei den Künstler zu erdrücken droht, | |
lässt sich diesem Mann also nicht anlasten. Dennoch zeigt die Schau, wie er | |
die Zumutungen, derer er sich erwehren muss, in eine Formensprache | |
übersetzt, die das Politische übersteigt. Ein Werk wie „Diaoyu Islands“ | |
(2014) ruft zwar den heftigen Nationalismus auf, der sich an dem kleinen | |
Archipel im ostchinesischen Meer entzündet hat, einem ewigen Zankapfel | |
zwischen China und Japan. Mit dem terrassierten Marmor, in die er die | |
Inselgruppe hat meißeln lassen, abstrahiert er sie zum Symbol | |
geopolitischer Machtspiele, verkleinert sie aber auch. Und erzielt den | |
schönen Nebeneffekt, dass er die Objekte politischen Streits in eine fast | |
abstrakte Schönheit überführt. | |
Auch der unbestechlichste Kunstkritiker steckt bei Ai Weiwei in einem | |
Dilemma. Immer blickt er nämlich durch die Brille der Solidarität. Wie die | |
ganze Schau ein einziger Akt der Solidarität ist, bei der der Künstler sich | |
selbst kuratieren durfte. Ai hat die rund 40 Werke in den 18 Räumen selbst | |
platziert, auch die Texte dazu stammen von ihm. | |
## Referenz an die chinesische Kultur | |
Bei so viel Distanzlosigkeit übersieht man leicht, dass viele Arbeiten wie | |
Remakes wirken. Die Skulptur „Very Yao“ (2009/2014) aus 150 Fahrrädern der | |
Marke „Forever“ etwa, die im Vestibül des Gropius-Baus hängt, ist Yang Jia | |
gewidmet. Der junge Mann wurde wegen eines angeblichen Polizistenmordes zum | |
Tode verurteilt. Die Arbeit ähnelt der Installation „Remembering“, die | |
9.000 Rucksäcke, mit denen Ai 2009 an der Fassade des Münchener Hauses der | |
Kunst den Tausenden Kindern ein Denkmal gesetzt hatte, die während eines | |
Erdbebens in schlecht gebauten Schulen ums Leben gekommen waren. | |
Die 6.000 Hocker, die er in den Lichthof hat stellen lassen, rufen noch | |
einmal das Bild der 1.001 traditionellen Holztüren auf, die er 2007 auf der | |
Documenta 12 aufeinandertürmte. Geriet der ungeplante Einsturz der | |
„Template“-Skulptur damals zum Menetekel des chinesischen | |
Modernisierungswahns, legt die plane Fläche, die die in Berlin | |
nebeneinander gestellten Hocker bilden, noch einmal die Grundlage der | |
chinesischen Kultur aus: Das Bodenständige, eine Eleganz, die aus der | |
Einfachheit wächst. Und die der verschwundenen ländlichen Kultur entstammt. | |
## Spielerischer Bohemien | |
Wer nach dem jungen, spielerischen Bohemien sucht, der 1983 im New Yorker | |
East Village einen Kleiderbügel zum Profilumriss Marcel Duchamps verbog und | |
dann ein paar Sonnenblumen hineinschüttete und fortan in den Spuren der | |
Konzeptkunst wandelte, wird in der Berliner Ausstellung zwar auch fündig: | |
Bei dem „Koffer für einen Junggesellen“ mit Spiegel und Zahnbürste etwa, | |
einem wunderschönen Readymade aus der New Yorker Zeit 1987. | |
Ein schwaches Echo davon findet sich in der Arbeit „IOU – Schuldschein“. | |
Mit Kopien der 40.000 Zettel, die Ai den Unterstützern ausstellte, die ihm | |
2011 halfen, seine „Schulden“ bei den Behörden zu begleichen, hat er fünf | |
Zimmer des Gropius-Baus tapeziert. Doch welche Spanne zwischen den | |
amerikanischen Anfängen als junger und der Jetztzeit des | |
Schmerzenskünstlers liegt, kann man an den sechs schweren Kleiderbügeln aus | |
poliertem Stahl sehen. Ai hat das Werk „Hanger“ nach den Wäschebügeln aus | |
Plastik aus seiner Zelle geformt: Waffe und Preziose zugleich. | |
## Minimalistische Klarheit mit Volumen | |
Viele, zu viele Arbeiten in dieser Schau wollen groß sein, plakativ, | |
partout Installation. Irgendeinen mysteriösen Rest sucht man hier | |
vergebens. Wie man an den zwölf vergoldeten Skulpturen sehen kann, die er | |
den Tierkreisstatuen nachempfunden hat, die europäische Soldaten 1860 im | |
kaiserlichen Sommerpalast in Beijing plünderten. Wo sein Vorbild Duchamp | |
auf „Indifferenz“ setzte, setzt Ai auf Intention, Volumen. | |
Doch wenn sein Werk etwas von der konzeptuellen Politkunst des Westens | |
unterscheidet, dann, wie er sein Sujet in eine skulpturale Metapher von | |
minimalistischer Klarheit transformiert. Ob er nun eine Transportkiste für | |
Kunstwerke nach alten Techniken aus Eisenholz nachbaut, wie in dem Werk | |
„Container“, oder alte Türen zerstörter Gebäude als Marmorstelen wie in | |
„Monumental Junkyard“ und damit das Banale veredelt. Und wenn er verbogene | |
Armierungseisen aus einer bei dem großen Erdbeben 2009 zerstörten Schule in | |
verdrehtem Marmor nachbildet, verwandelt sich das gerichtsfeste | |
„Beweisstück“ für die amtliche Korruption und Misswirtschaft in große | |
Kunst, wie sie auf einem Grabmal liegen könnte. | |
3 Apr 2014 | |
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## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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