# taz.de -- Kolumne Die Wahrheit: Ein Liebesbrief an Thommi Ohrner | |
> Psychologisch betrachtet mag meine Einwurfangst mit dem Umstand | |
> zusammenhängen, dass mein letzter wirklich in den Briefkasten geworfener | |
> Brief nie beantwortet wurde. | |
Mein drittliebstes Hobby, nach Mottopartys und dem Erzeugen von | |
kornkreisartigen Pfennigabsatzlöchern in den Sandkisten der | |
Kinderspielplätze, ist das Nichteinwerfen von Briefen. Ich habe sogar schon | |
überlegt, daraus einen Nebenjob zu machen. Schließlich gibt es auch | |
professionelle Ausredenerfinder oder Seitensprungagenturen. Viele andere | |
Menschen beschäftigen sich demnach beruflich mit dem Verneinen einer | |
Aufgabe, indem sie entweder Verpflichtungen oder den Beziehungsstatus außer | |
Acht lassen. Ab und an mal ein paar Briefe nicht einzuwerfen, ist zudem | |
wichtig, damit man beim Verdrängen nicht aus der Übung kommt. | |
Abgesehen davon gibt es ja eh kaum noch Briefe, die man einzuwerfen | |
vergessen kann. Meinen vorletzten hatte ich vor Jahren an die GEZ | |
aufgesetzt, in extra krakeliger Klaue, ich wollte die Zerberusse der | |
Rundfunkgebühren davon überzeugen, dass für mich inzwischen andere Dinge | |
viel wichtiger sind als die Beschäftigung mit den Medien und dass ich in | |
einer Art esoterischem Super-GAU alle empfangsbereiten | |
Elektrosmog-Endgeräte aus meinem Tempel entfernt hätte. Das mystische | |
Symbol, das ich neben meine Unterschrift setzte, sah zwar eher aus wie ein | |
Smiley, aber ich bin sicher, dass die GEZ mir geglaubt hätte. Den Brief zog | |
ich allerdings vier Monate später unabgeschickt aus meiner | |
Mary-Poppins-Tasche, sogar die Briefgebühr stimmte bereits nicht mehr. Ich | |
ließ es also gleich bleiben und zahlte brav weiter. | |
Danach gab es noch den nicht abgeschickten Brief an einen | |
Schokoladenhersteller, in dem ich in trauriger Kinderschrift danach fragte, | |
wieso es andauernd neue Zartbittersorten gibt, aber kaum neue | |
Vollmilch-Varianten. Natürlich hoffte ich auf ein Probierpaket mit den | |
neuen Vollmilchsorten, das höchstwahrscheinlich ohnehin nie eingetroffen | |
wäre. | |
Kettenbriefe bekomme ich ebenfalls nicht mehr, seit sich mein Status als | |
Briefgrab herumgesprochen hat: In meiner Handtasche sind bereits 23 | |
Kettenbriefe verendet, sogar der angeblich 1998 gestartete Rekordversuch. | |
Dass niemand in Deutschland bislang die 216 Postkarten aus der ganzen Welt | |
bekam, liegt also ganz allein an mir, und das macht mich stolz. Eigentlich | |
nehme ich Briefe nur noch als Symbol wahr und muss dabei zuweilen an die | |
weltfremde Schwester einer Freundin denken, die nach ein paar Wochen des | |
noch ungewohnten Kommunizierens fragend bemerkte: „Ich habe neuerdings | |
immer so einen kleinen Briefumschlag auf diesem Handy.“ | |
Psychologisch betrachtet mag meine Einwurfangst mit dem Umstand | |
zusammenhängen, dass mein letzter wirklich in den Briefkasten geworfener | |
Brief nie beantwortet wurde. Es war ein Liebesbrief an Thommi Ohrner, und | |
er schrieb weder zurück, noch kritzelte er ein Autogramm auf die | |
Timm-Thaler-Postkarte, die ich extra dazugelegt hatte. Allein: Wenn es | |
anders gekommen wäre, müsste ich heute vielleicht mit ihm in München leben. | |
Dabei ist er doch so unfassbar alt geworden! Ich ja nicht, ich fühle mich | |
innerlich immer noch wie zehn. | |
3 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
Die Wahrheit | |
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