# taz.de -- Neues Album von Kelis: „Soulfood ist unverkäuflich“ | |
> Früher sang sie von Milkshakes, jetzt widmet sie sich gesunder Ernährung. | |
> Die New Yorker R&B-Sängerin Kelis über ihr neues Album „Food“. | |
Bild: „Mich gibt’s nur einmal, das ist meine größte Fähigkeit“: Kelis | |
sonntaz: Die Songs auf Ihrem neuen Album „Food“ klingen tiefenentspannt, | |
kraftvoll und die Texte fokussieren im großen Stil auf Ernährung. Warum? | |
Kelis: Wie es bei mir gerade läuft, macht mich rundum zufrieden. Auf mir | |
lastet nichts. Das Leben macht mir keine Angst. Ich bedaure auch nicht, was | |
ich bisher gemacht habe. Über das, was mir widerfahren ist – und es war | |
beileibe nicht alles gut –, bin ich nicht verbittert. Ich fürchte mich auch | |
nicht vor dem, was noch kommen wird. Auf meiner Seele lastet nichts. | |
Deshalb handelt mein neues Album von etwas ganz Grundsätzlichem: Es geht um | |
gesunde Ernährung. Das geht uns alle an, auch wenn wir es vielleicht nicht | |
wahrhaben wollen. Es war eine ganz neue Erfahrung für mich: Die Aufnahmen | |
zum Album verliefen ruhig, alles blieb friedlich. | |
Essen ist etwas, was einem schon im Elternhaus nahegebracht wird, oder eben | |
nicht. Haben Sie von zu Hause etwas mitgenommen? | |
Meine Eltern kochten beide, meine Mutter richtig exzellent. Essen wurde bei | |
uns zu Hause in Harlem großgeschrieben. Das Abendessen wurde zelebriert. | |
Mit meinen drei Schwestern versammelten wir uns immer gemeinsam am Tisch. | |
Egal, was sonst so los war in unserem Leben, der Termin blieb. Unbewusst | |
strukturiert dies meinen Alltag noch heute. Gutes Essen finde ich | |
großartig. Es definiert unsere Kultur, es definiert afroamerikanische | |
Geschichte. | |
Inwiefern? | |
Man muss sich nur bestimmte Gerichte oder gedeckte Tische ansehen und man | |
lernt daraus, wie die Menschen leben. Die Menschheit ist weit enger | |
miteinander verbunden, als wir es im Allgemeinen annehmen. Und Ernährung | |
ist ein Verbindungsglied. Ich gucke mir Spezialitäten eines Landes an und | |
vergleiche sie mit denen von anderswo und stelle Ähnlichkeiten fest. Es mag | |
feine Unterschiede geben, aber letztendlich ist Essen doch die Wurzel | |
unserer kulturellen Entwicklung. Das ist doch fantastisch. Außerdem: Zu | |
jeder gelungenen Party gehören gutes Essen und gute Musik. Lass es eine | |
Hochzeit sein, ein Geburtstagsfest, egal, warum gefeiert wird, dafür | |
braucht es was zu futtern und fette Beats. | |
Soulfood hat viel mit der Emanzipation der Schwarzen zu tun. | |
Ja, es ist unentrückbarer Bestandteil der afroamerikanischen Geschichte. | |
Als wir noch Sklaven waren, haben uns die Weißen kaum Nahrung zugestanden. | |
Zu Essen bekamen wir Reste oder schlicht Küchenabfälle. All das, was die | |
Weißen nicht mochten. Mit dem Ergebnis, dass die schwarzen Köchinnen und | |
Köche aus diesen Abfällen etwas Köstliches zubereitet haben. Es ist | |
einfach, aber mit Liebe gekocht, um die Familie am Leben zu erhalten. | |
Darauf fußt die Idee von Soulfood. Zudem gibt es im Süden der USA regionale | |
Spezialitäten wie Collard Greens oder schwarze Bohnen, die bei Weißen | |
früher verpönt waren. | |
Es geht aber letztendlich weniger um die Ingredienzien und viel mehr um die | |
Essenz einer bewussten Ernährung. Für uns Schwarze drückt Essen Wohlstand | |
aus. Und die Idee, dass das Essen mit Liebe zubereitet ist, zählt sehr | |
viel. Du möchtest, dass deine Familie ausreichend bekommt, dass alle gut | |
genährt sind, denn du weißt, was ihnen am nächsten Tag bevorsteht. In den | |
fünfziger und sechziger Jahren war Soulfood sehr wichtig für die | |
Identitätsfindung der Afroamerikaner. Es reinigte unsere Seelen. Wenn einem | |
alles weggenommen wird, traditionelle Küche bleibt. Soulfood ist | |
unverkäuflich. Und das findet bis heute einen großen Widerhall in unserer | |
Kultur, auch in unserer Musik. Darum gibt es Rhythm & Blues, deshalb haben | |
wir Soulsänger. | |
Wie war das in Harlem? | |
Die Realität meines Heranwachsens war komplizierter. Ich habe mich immer | |
mit meinem Schwarzsein identifiziert, mein Vater ist schwarz, aber meine | |
Mutter hat puerto-ricanische und chinesische Wurzeln. Es gab viel Soulfood | |
zu essen, aber meine Mutter hat auch ihre eigenen traditionellen | |
Fusion-Rezepte gekocht. Sie hätte nie etwas aufgetischt, was sie nicht | |
selbst essen wollte. Mögen die Verhältnisse noch so düster sein, das Essen | |
bleibt uns. Mit diesem Gefühl bin ich aufgewachsen. | |
Die 13 Songs handeln auf einer Ebene vom Essen, aber es geht auch noch ums | |
Heranwachsen, ums Älterwerden. Sie offenbaren, etwa in dem Song „Jerk | |
Ribs“, eine Melancholie, die Ihnen früher nicht über die Lippen gekommen | |
wäre. | |
Wissen Sie, [1][„Jerk Ribs“] ist eine Deklaration. So heißt eine köstliche | |
Grillspezialität, aber mir geht es auch um ein Statement über das | |
Älterwerden im Musikbusiness. So wie dieses Geschäft funktioniert, wie es | |
geführt wird, trägt es nur zum Kurzzeitgedächtnis seiner Kunden bei. Mir | |
zum Beispiel kam in meiner 15-jährigen Karriere mehrmals das Gefühl | |
abhanden, warum ich überhaupt angefangen habe zu singen. Und deshalb ist | |
„Jerk Ribs“ eine Erinnerung für mich selbst. | |
Mein Beweggrund ist viel wichtiger als Airplay meiner Songs im Radio oder | |
der Wunsch eines A&R-Managers, provozierende Fotos von mir zu | |
veröffentlichen. Ich habe alle diese Schlachten ausgefochten und sie längst | |
gewonnen. Seht her, ich bin immer noch da. Hat mir meine Mutter | |
beigebracht: Lass dir die Freude am Singen nicht nehmen. Das hat dir die | |
Welt nicht gegeben, also kann sie es dir auch nicht klauen. Wie gesagt, | |
diesmal hat der Kampf aufgehört, sobald die Songs im Kasten waren. | |
Warum machen Sie eigentlich Musik? | |
Ich mache Musik, weil ich sie mag. Das Privileg meiner Begabung ist kein | |
Volkseigentum. Was meine Hörer aus den Songs machen, ist ihre Sache. Mich | |
gibt’s nur einmal, das ist meine größte Fähigkeit, und mit ihr komponiere | |
ich tolle Songs. Lassen Sie mich mit der Bibel sprechen: „Deshalb ergreift | |
die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und | |
alles überwinden und das Feld behalten könnt.“ Epheser 6.13. Das macht Sinn | |
für mich: „Food“ ist mein sechstes Album. Wobei es gar nicht so sehr ums | |
Durchsetzen geht, sondern darum, dass ich bis jetzt durchgehalten habe. | |
Niemand konnte mich daran hindern, mein Album zu komponieren. | |
Zeilen wie „How can I forget you / You are my rescue“ in dem Song „Runnin… | |
drücken eine gewisse Dringlichkeit aus. Hat Ihnen das Singen geholfen, | |
harte Zeiten zu überstehen? | |
Das ist eine andere Perspektive als „Jerk Ribs“, aber es geht um ein | |
vergleichbares Gefühl. Es geht um Vorwürfe, die man sich macht, darum, | |
Momente des Scheiterns einzuordnen und zu verstehen. Es geht darum, sich zu | |
sammeln und dem Unheil zu entkommen. Wissen Sie, ich habe es nie darauf | |
angelegt, berühmt zu werden, es ist einfach passiert und ich bin damit klar | |
gekommen. Und „Running“ spricht all die Dinge an, die mir dabei gar nicht | |
bewusst waren: die Unsicherheiten, das Unbewusste, Ängste, Niedertracht und | |
den Überdruss. | |
Das sind Sachen, die sich aufgestaut hatten, selbst als es gut für mich | |
lief, musste ich knietief durch die Scheiße waten, um überhaupt zum Guten | |
zu gelangen. Damit meine ich auch mich selbst und meine Launen. Verrückt, | |
denke ich, aber so ist nun mal mein selbstgewähltes Leben. Ist es auch gut | |
genug? Ja, ist es, ich sollte es unter keinen Umständen aufgeben. Oder | |
doch? War ich zu selbstbezogen? Hab ich anderen genug geholfen? Das sind | |
Gedanken, die mir beim Komponieren der Songs in den Sinn gekommen waren. | |
Beim Song „Breakfast“ ist die Stimme eines kleinen Jungen zu hören. Dann | |
sagt jemand: „This is the real thing / Welcome to the World.“ | |
Die Stimme gehört meinem Sohn Knight, er ist vier Jahre alt. Wenn ich den | |
Leuten erzähle, im Alter zwischen 17 und 35 werden sie erwachsen, wird das | |
niemand erstaunen. Ich sage das allerdings mit „Breakfast“ in Form von | |
Musik, und nun wundern sich alle. Es ging mir darum darzustellen, wie Zeit | |
vergeht. Als ich meinen Sohn auf die Welt gebracht habe, weigerte ich mich | |
zunächst, anzuerkennen, dass mich diese Erfahrung für immer verändern | |
würde. | |
Musik machen bedeutet mir gleichzeitig mehr als früher und weniger. Darum | |
geht’s bei „Breakfast“. Morgens um 6 weckt mich mein Sohn mit den Worten: | |
Good Morning. Das ist hart, aber ich möchte trotzdem mit niemandem | |
tauschen. Und ich bin sehr stolz, dass ich daran gewachsen bin. Das hört | |
man auch aus meiner Musik, ich bin musikalisch wandelbarer geworden. Andere | |
Künstler wollen ihre Jugend für immer bewahren. Meine Jugend war schön, | |
aber ich möchte nicht mehr zu ihr zurück. | |
Wenn ich mir „Friday Fish fry“ mit seinem Call-&-Response-Schema anhöre, | |
bei dem ein Männerchor „She needs ice cold Water“ singt, machen Sie sich | |
wegen Sex im Alter auch keine Sorgen. | |
Typisch Mann, es geht bei dem Song aber nicht nur um Sex. Es geht mehr ums | |
Verlangen allgemein. Mit zunehmendem Alter wird mir stärker bewusst, was | |
mir im Einzelnen fehlt. Es geht bei dem Song also auch darum, Dinge in | |
meinem Sinn durchzusetzen. Das Call-&-Response-Schema habe ich mir übrigens | |
bei Sam Cooke abgeschaut. Er und die anderen Soulcrooner haben ihre Hörer | |
beim Call & Response aktiv eingebunden. Das sagt mir zu. | |
Empfinden Sie das Älterwerden in aller Öffentlichkeit als Befreiung? | |
Meine Mutter prophezeite mir und meinen Schwestern, dass wir im Alter von | |
30 die Zeit unseres Lebens haben würden. Sie hatte recht. Auch wenn meine | |
Haut früher straffer war und ich schlanker. Ich fühle mich heute schöner, | |
weil ich selbst genauer weiß, was mir Schönheit bedeutet. Ich kapiere, wer | |
ich bin, weil ich darüber rede. Darin liegt die Schönheit. Ich schätze mich | |
glücklich und das Leben meint es gut mit mir. Peace. Das sagen die Leute | |
zwar immer, aber die Wenigsten wissen genau, was es bedeutet. Frieden ist | |
ganz schön unterbewertet. | |
13 Apr 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=wQgppPHXJSs | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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