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# taz.de -- Kriegsverbrechen in Bosnien: Die Welt dreht sich weiter
> „Ich hatte Glück“, sagt Sudbin Music. Auf dem taz.lab berichtet er von
> den lange nachwirkenden Schrecken des Bosnienkrieges.
Bild: Sudbin Music (links) und taz-Korrespondent Erich Rathfelder.
BERLIN taz | Wo war Europa, als es darauf ankam? Sudbin Music ist Bosnier
und Überlebender eines Konzentrationslagers in Westbosnien. Dem Publikum am
taz.lab erzählt er seine Geschichte.
In der Großgemeinde Prijedor hat 1992 eines der größten Massaker des
Balkankrieges stattgefunden. Die Serben wollten das Gebiet „ethnisch
säubern“. Die bosnischen Muslime wurden getötet und in Massengräber
geworfen. Zuletzt entdeckte man Ende 2013 ein Massengrab. Music fand 41
seiner Nachbarn in diesem Grab, das etwa 10 Meter tief war. „Ich habe auch
ein Video von der Hochzeit des einen Nachbarn gefunden“, erzählt er. „Fast
alle, die in den fünf Minuten auf dem Band zu sehen sind, leben nicht mehr.
Es gibt Frauen im Dorf, die haben ihre Männer und alle sechs oder sieben
Kinder verloren.“
Music konnte fliehen. Er lebte in der Slowakei und in Deutschland bevor er
einige Jahre später wieder nach Prijedor zurückging. Er ist Aktivist und
kümmert sich heute um die Begräbnisse der Opfer. „Jedes Jahr am 20. Juli
werden die Personen, die per DNA-Analyse identifiziert werden konnten,
bestattet. Es gibt eine Zeremonie. Das ist der traurigste Tag in Europa“
„Ich hatte Glück“, sagt der Vierzigjährige, als er dem Punlikum erzählt …
er aus dem Konzentrationslager fliehen konnte. Er wog nur 43 Kilogramm, sah
jünger aus als er war. „Auf die Männer die größer und stärker waren wurde
mehr geachtet, sie wurden auch stärker gefoltert“, erzählt er. Ein
serbischer Offizier hatte ihm, seiner Schwester und seiner Mutter geholfen
zu fliehen. „Es gab auch gute Männer bei den Serben“, sagt er.
## Bosnien nur im Urlaub oder zum Sterben
1996 wurden die leeren Dörfer gesprengt, um die Rückkehr der Bosnier zu
verhindern. Es sollte eine langfristige Säuberung sein, darunter leidet die
Gegend heute. Prijedor ist zwar wieder aufgebaut, aber der Schein trügt,
erzählt auch Erich Rathfelder. „Je schöner die Häuser, desto leerer sind
sie“, sagt Music. „Im Sommer ist viel los, da schieben sich die Menschen
durch die Gassen, aber die meisten sind nur Besucher.“ Er sagt, das Problem
wäre, dass viele Bosnier nicht in die Heimat zurückkommen. „In ihren Köpfen
wurde das Bild eines glücklichen Familienlebens in Bosnien zerstört“, sagt
Music. „Sie bauen Häuser, nutzen sie aber nur in den Ferien oder kommen
nach Hause um zu sterben.“
Europa beteiligte sich an dem Dayton Abkommen, das den Balkankreig 1995
beendete. „Ihr seid also auch verantwortlich für uns“, sagt Music. Es
klingt wie ein Vorwurf an das Publikum, aber er meint wohl Europa. Er denkt
Bosnien Herzegowina wäre durch den Vertrag nicht handlungsfähig. „Unsere
Entwicklung wird durch Regeln eingeschränkt und blockiert.“, erklärt er.
Die Jugenarbeitslosigkeit in Prijedor ist hoch, die meisten gehen weg. In
seinem Dorf lebten vor dem Krieg etwa 2.400 Menschen, heute sind es 300.
Die ganze Grundschule hat heute so viele Schüler, wie früher eine einzelne
Klasse, erzählt der Menschenrechtler.
## Die Kriegsverbrecher leben unter ihnen
Music ist einer der wenigen Rückkehrer, der sich mit der Geschichte
befasst. „Die meisten Leute schweigen, gehen nicht wählen und sind
paranoid. Nur bei der Jugend bewegt sich langsam was.“ erzählt er. „Aber
wenn Bosnien Absurdistan ist, ist Prijedar die Hauptstadt davon. Viele der
Kriegsverbrecher sind inzwischen frei und leben unter den Bosniern. „In
einer Disco arbeiten Türsteher, die Kriegsverbrecher sind. Sie passen da
auf betrunkene Muslime auf. Das ist doch absurd. Oder die Bosnier lassen
ihre Ferienhäuser von einer Securityfirma bewachen, die einem der Folterer
gehört – da zahlen die dem, der Freunde und Familie gefoltert hat, wirklich
fünfzig Euro im Monat, damit der auf ihr Haus aufpasst. “
Nach zwanzig Jahren dreht sich die Welt weiter, obwohl die Opfer noch nicht
mal bestattet sind. Für die Betroffenen geht das zu schnell, auch für
Aussenstehende wirkt es etwas befremdlich. Das Konzentrationslager Omarska
etwa wurde an den englischen Stahlmagnaten Lakshmi Mittal verkauft. Sudbin
Music regt das auf. „Wir wollten zumindest eine Gedenkstätte errichten. Was
würdet ihr sagen, wenn man Dachau verkauft und da wo Frauen vergewaltigt
und Männer gefoltert wurden, jetzt eine Sekrätärin an einem Schreibtisch
sitzt, als wäre nie etwas passiert.“
12 Apr 2014
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Bosnien und Herzegowina
Bürgerkrieg
Kriegsverbrechen
Zivilgesellschaft
Mazedonien
Flüchtlinge
Ukraine
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