# taz.de -- Kriegsdienstverweigerer in Deutschland: Einmal Bund, immer Bund | |
> Offiziere dürfen den Kriegsdienst verweigern. Doch wollen sie die Truppe | |
> verlassen, führen sie einen fast aussichtslosen Kampf gegen die Behörden. | |
Bild: Die Bundeswehr will ihre Offiziere halten, doch nicht alle bleiben freiwi… | |
Berlin taz | Josef Kaiser* würde gerne kündigen – doch sein Arbeitgeber | |
lässt ihn nicht. Stattdessen setzt er ihn auf eine neue Stelle, zahlt ihm | |
weiter sein Gehalt. Daran zerbricht Kaiser, wird depressiv. Jetzt soll ein | |
Gericht entscheiden, ob er das Recht hat, seinen Job hinzuschmeißen. | |
Kaiser hat nicht irgendeinen Beruf: Er ist Offizier, sein Arbeitgeber ist | |
die Bundeswehr – und die will ihn nicht gehen lassen. Sein Antrag auf | |
Kriegsdienstverweigerung wurde abgelehnt. Wie Kaiser geht es vielen | |
Soldaten. Sie wollen die Armee verlassen, dürfen aber nicht. | |
Seit die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, ist die Bundeswehr de facto | |
eine Berufsarmee: Der Anteil der hauptberuflichen und Zeitsoldaten stieg | |
von rund 75 Prozent auf über 90 Prozent. Junge Männer müssen nicht mehr | |
verweigern, um dem „Bund“ zu entgehen. Heute stellen nur Soldaten, die die | |
Armee vorzeitig verlassen wollen, Antrag auf Verweigerung. Und deren Zahl | |
schnellt in die Höhe. | |
Besonders in den Führungsetagen kehren mehr und mehr dem Bund den Rücken: | |
2003 wollten neun Offiziere und Unteroffiziere gehen – 2012 waren es 327. | |
Das geht aus einer kleinen Anfrage von Abgeordneten der Linkspartei und der | |
Grünen aus dem vergangenen Jahr hervor. Lange wurde die meisten | |
Militärmüden einfach durchgewunken – doch je mehr Anträge gestellt werden, | |
desto höher steigt die Zahl der Ablehnungen. | |
Verweigern wird immer schwerer. Das bekommt auch Wehrrechtsanwalt Gerhard | |
Meyer zu spüren. In mehr als zehn Jahren Berufserfahrung vertrat er etwa | |
200 Soldaten. „Wenn man eine Ausbildung bei der Bundeswehr bekommen hat, | |
ist eine Verweigerung mittlerweile fast unmöglich“, sagt er. | |
## Zweifel kamen schon zu Beginn | |
Nach der Schule, mit 18 Jahren, erschien Josef Kaiser im Kreiswehrersatzamt | |
zur Musterung. Der Karriereberater der Bundeswehr machte ihm die | |
Offizierslaufbahn schmackhaft: ein sicherer Job, kostenloses Studium und | |
dabei schon Geld verdienen. Außerdem glaubte Kaiser damals, durch seine | |
Arbeit bei der Bundeswehr „seinen Beitrag zu Stabilität und Frieden“ zu | |
leisten, wie er heute sagt. | |
Wie alle Offiziersanwärter lernt Kaiser in sechs Monaten Grundausbildung | |
Marschieren und Schießen. Es folgen neun Monate Offizierslehrgänge. | |
Schließlich spendiert die Bundeswehr ihrer zukünftigen Führungsmannschaft | |
ein Studium an einer ihrer zwei Universitäten in München und Hamburg. | |
Kaiser macht seinen Master in Elektroinformationstechnik in | |
Regelstudienzeit – die ist kurz, in vier Jahren muss der Abschluss her. | |
Doch noch während des Studiums schlichen sich Zweifel ein. In seiner | |
Verweigerung schrieb Kaiser von derben Kameraden, die „scharf darauf sind, | |
auf einen Menschen zu schießen“. | |
Zudem brachte eine Krankheit seines Vaters ihn dazu, über den Tod | |
nachzudenken. Für ein paar Semester studierte er in China. Seitdem besteht | |
die Welt für ihn „nicht mehr nur aus Schwarz und Weiß“. Die Bundeswehr ha… | |
er zunehmend als zu „bipolar“ empfunden. | |
Noch bevor Kaiser mit einem Master in der Tasche zurück zur Truppe musste, | |
fasste er den Entschluss zu verweigern. Im September 2013 schickte er sechs | |
eng bedruckte Seiten an das Bundesamt für zivilgesellschaftliche Aufgaben | |
in Köln, das für Verweigerungen von Soldaten zuständig ist (siehe Kasten). | |
Die Bundeswehr hat ein Interesse daran, junge Offiziere wie Josef Kaiser zu | |
halten. Schließlich hat sie viel in die Ausbildung der Rekruten investiert. | |
Viele Studiengänge, besonders die technischen, sind renommiert – und die | |
Rekruten wurden darüber aufgeklärt, was die Verpflichtung bedeutet, die sie | |
unterschrieben haben. | |
## Der Bund braucht Nachwuchs | |
Zudem braucht die Armee jetzt, wo der nicht mehr automatisch in die | |
Kasernen gespült wird, mehr denn je qualifizierten Nachwuchs. | |
Untersuchungen gehen davon aus, dass rund 13 Prozent der Offiziersposten | |
unbesetzt sind. Verweigerungen fast fertig ausgebildeter Rekruten sind das | |
Letzte, was der Bund in dieser Situation braucht. | |
Um Interessenkonflikte zu vermeiden, laufen Verweigerungen über das Kölner | |
Bundesamt für zivilgesellschaftliche Aufgaben, eine Unterstelle des | |
Familienministeriums. Dort kümmern sich sechs Sachbearbeiter um die | |
Verweigerungsanträge. Doch wie unabhängig ist das Amt tatsächlich von der | |
Bundeswehr? | |
Zumindest eine Parallele ist deutlich: Mit Beginn der Bundeswehrreform und | |
den steigenden Verweigerungen stiegen auch die Ablehnungen. 2008 | |
verweigerten 19 Offiziere, 14 schieden dadurch vom Dienst aus. Im Jahr | |
darauf kamen sogar alle 13 Antragsteller durch. Das änderte sich mit der | |
Reform: 2012 wurden fast ein Drittel der Anträge abgelehnt. Die betroffenen | |
Soldaten müssen weiter für die Bundeswehr arbeiten. | |
„Sie sind nicht berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern“, | |
schrieb das Bundesamt im Dezember 2013 auch Josef Kaiser. Und: „In Ihrem | |
Fall bestehen Zweifel an der Wahrheit der Angaben.“ Er legte Widerspruch | |
gegen die Ablehnung ein – erfolglos. Pfuscht die Bundeswehr dem Amt ins | |
Handwerk? | |
Nein, beteuert die Bundesregierung als Antwort auf eine parlamentarische | |
Anfrage der Linkspartei. Bei Treffen zwischen Verteidigungsministerium und | |
Bundesamt „wurde lediglich die Verfahrensweise des Bundesamtes erläutert“. | |
Auf Anfrage der taz dementieren sowohl das Ministerium als auch die | |
Bundeswehr, Einfluss genommen zu haben. Das Bundesamt für zivile Aufgaben | |
teilt schriftlich mit, keine Vorgaben erhalten zu haben. | |
Trotzdem scheint der Kontakt zwischen der Behörde und der Armee enger zu | |
sein als oft beteuert. So komme es vor, dass die Vorgesetzten eines | |
Verweigerers über den aktuellen Stand schneller Bescheid wissen als der | |
Verweigerer selbst, so Wehrrechtsanwalt Meyer: „Ich bin immer wieder | |
überrascht, wie gut die Kommunikationskanäle zwischen den beiden sind.“ | |
Josef Kaiser klagt jetzt vor dem Verwaltungsgericht Kassel, damit er als | |
als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wird. Zur Verhandlung wird es | |
vermutlich im Herbst kommen. Wie er streiten aktuell 66 Soldaten mit dem | |
Bundesamt vor Gericht über ihre Verweigerung. | |
Der schleppende Prozess hat Kaiser zugesetzt. Die Bundeswehr, die ihm | |
weiter sein volles Gehalt zahlt, schob ihn aufs Abstellgleis, auf einen der | |
wenigen Jobs, der nicht mittelbar mit Waffen zu tun hat: „Konferenzraum | |
aufschließen, Protokolle schreiben, Telefondienst.“ Die stupide Arbeit hat | |
ihn inzwischen krank gemacht, ein Arzt attestierte ihm eine Depression, | |
aktuell ist Kaiser krankgeschrieben. | |
Sven Pape hat geklagt und verloren. Ähnlich wie Kaiser studierte auch er | |
bei der Bundeswehr, verweigerte gegen Ende seines Masters, wurde abgelehnt | |
– und klagte. Seinen Prozess verlor er letzten Sommer in Hamburg. „Die | |
wollen ein Exempel an uns statuieren“, glaubt er. Die Bundeswehr habe ein | |
Interesse daran, dass die Verweigerung unter den Offizieren als | |
aussichtslos gilt, damit so viele wie möglich es gar nicht erst versuchen. | |
## Ausweg Dienstunfähigkeit | |
Pape ist einer von wenigen Verweigerern, die offen über ihren Fall reden: | |
Auf [1][seinem Blog] [2][http://muffinm4n.wordpress.com] schreibt er, warum | |
er unbedingt die Armee verlassen will – und was er im Streit mit den | |
Behörden erlebte. Auch an Pape nagte die Situation, machte ihn depressiv – | |
wie Kaiser kann er seit langem nicht mehr arbeiten. Seine letzte | |
Perspektive: Entlassung als dienstunfähig. | |
Inzwischen beschäftigt auch die Bundeswehr die gestiegene Zahl der | |
Verweigerer. Offiziell gibt es dazu keine Stellungnahmen. Doch aus | |
Bundeswehrkreisen heißt es, es werde vor allem über den Aufbau der | |
Offiziersausbildung nachgedacht. | |
Nach sechs Monaten Grundausbildung sind die meisten Anwärter bis zum Ende | |
ihres Hochschulstudiums nicht mehr in der Truppe. Wenn sie anschließend | |
merken, dass das Militär nicht das Richtige für sie ist, haben sie ihre | |
Ausbildung bereits genossen, für eine Verweigerung ist es meistens zu spät. | |
Davon profitieren weder Bundeswehr, die teure, unmotivierte Quittierer | |
weiter durchziehen muss, noch die Offiziere, die zu einem Job gezwungen | |
werden, den sie nicht machen wollen. Vielmehr treibt der jetzige Zustand | |
manche Verweigerer zu radikalen Schritten. | |
Weil sich tatsächlich herumgesprochen hat, wie schwer die Bundeswehr es | |
potenziellen Aussteigern macht, zog Philipp Zimmermann* die letzte | |
Konsequenz – und verpatzte absichtlich seine Unilaufbahn. „Ich bin nicht | |
mehr zu meinen Prüfungen gegangen, hab das Studium nicht bestanden, dann | |
schmeißen sie einen von alleine raus“, sagt er. Zum Abschied gab es das | |
reguläre Ausscheidergeld. Und: anders als die normalen Verweigerer muss er | |
die Kosten für seine Ausbildung nicht zurückzahlen. Die kann immerhin je | |
nach Studiendauer zwischen 10.000 und 50.000 Euro kosten. | |
Tausende Euros, die Josef Kaiser nicht hat, die er trotzdem jederzeit | |
zahlen würde. „Natürlich verstehe ich die Bundeswehr, die haben in mich | |
investiert und wollen mich nicht leichtfertig verlieren. Aber ich kann mein | |
Gewissen nicht ausschalten“, sagt Kaiser. Ja, es sei ein Fehler gewesen, | |
erst so spät zum Ende seines Studiums seine Verweigerung einzureichen. Er | |
sagt, er sei bereit, seinen Dienst abzuarbeiten – aber eben nicht in der | |
Bundeswehr. | |
* Name geändert | |
24 Apr 2014 | |
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[1] http://muffinm4n.wordpress.com | |
[2] http://muffinm4n.wordpress.com | |
## AUTOREN | |
Ferdinand Otto | |
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