# taz.de -- Medienfestival zur Überwachung: Big Brother, we are watching you | |
> Das European Media Art Festival in Osnabrück steht unter dem Motto „We, | |
> the Enemy – Leben unter Verdacht“ und ironisiert die Überwachung. | |
Bild: Klein, kompakt, politisch: Elana Artemenkos "Comfortable Protest" | |
OSNABRÜCK taz | In diesem Jahr hätte das European Media Art Festival (EMAF) | |
gar keinen anderen Themenschwerpunkt als die Überwachung der Medien wählen | |
können. Denn Edward Snowdens Enthüllungen haben unseren Blick auf die | |
digitalen Medien grundlegend verändert. Jetzt wissen wir, dass im Netz | |
jeder als potenzieller Täter gilt, der unter Beobachtung steht und dessen | |
Daten gespeichert werden. | |
Das soeben gestartete European Media Art Festival in Osnabrück zeigt, wie | |
sich Künstler dem Thema widmen. Dabei bezieht sich das Motto „We, the | |
Enemy“ auf die ersten Worte der US-Verfassung. „We, the People oft the | |
United States ...“, lauten sie. Aus „Wir sind das Volk“ ist für das | |
Festival-Motto „Wir sind die Feinde“ geworden. | |
Seit 1988 werden auf dem EMAF aktuelle Trends der Medienkunst präsentiert, | |
und im Zentrum steht immer noch das Filmprogramm. Über 20 Programme mit | |
experimentellen Kurzfilmen werden gezeigt, darunter auch die neueste Arbeit | |
von Birgit Hein: „Abstrakter Film“, ein Streifen, der Handyaufnahmen von | |
Kampfhandlungen in Libyen, Syrien und dem Jemen, die ins Netz gestellt | |
wurden, zu einer Collage montiert. | |
## Whistleblowerin zu Gast | |
Zudem richtet das Festival jedes Jahr eine ganz traditionelle Konferenz mit | |
Vorträgen und Diskussionen aus. Stargast ist diesmal Annie Machon, die in | |
den 1990er-Jahren als Nachrichtenoffizierin beim britischen Geheimdienst | |
arbeitete und Informationen über illegale Aktionen veröffentlichte. Danach | |
musste sie durch ganz Europa fliehen. Inzwischen leitet sie eine Stiftung, | |
die sich für Whistleblower einsetzt und Geld für deren Verteidigung | |
sammelt. | |
Die Spielwiese des Festivals ist jedes Jahr wieder die Ausstellung in der | |
Kunsthalle, die diesmal neue und ältere Arbeiten zum Thema präsentiert. So | |
ist gleich zu Beginn eine minimalistische Arbeit von Björn Melhus zu sehen. | |
„Policia“ von 2007 besteht aus nur zwei Videobildern eines fliegenden | |
Polizeihubschraubers. Sie genügen, um in der Montage die Illusion eines | |
bewegten Rotoren zu schaffen, der zugleich statisch wirkt. | |
Harun Farocki, einer der Stammgäste des Festivals, wird seine | |
Videoinstallation „Ich glaubte Gefangene zu sehen“ zeigen. Darin hat er | |
Bilder von Überwachungskameras aus einem amerikanischen | |
Hochsicherheitsgefängnis montiert. | |
Einige der Exponate sind zudem kaum noch als Kunstwerke erkenntlich, | |
sondern wirken eher wie politische Aktionen. So hat der Web-Blog „Everyday | |
Rebellion“ von Arash T. Riahi und Arman T. Riahi kaum einen ästhetischen | |
Mehrwert. Dafür machen die beiden Iraner deutlich, wie internationale | |
Protestbewegungen kooperieren können, indem sie deren Taktiken im Netz | |
verbreiten. Denn Multiplikatoren sind heute so wichtig wie die Schöpfer. | |
Auch die Schweizer Christoph Wachter und Mathias Jud arbeiten mit ihrem | |
Projekt „Under Surveillance / Under the Radar“ eher politisch. Ihre | |
Wandzeichnungen über polizeiliche Kontrolle und Überwachung sind | |
enttäuschend konventionell. | |
Umso interessanter sind ihre Aktionen, bei denen sie für Außenseitergruppen | |
digitale Netzwerke entwickeln, die unabhängig von den großen Systemen | |
funktionieren und weder überwacht noch abgeschaltet werden können. Ein | |
Beispiel für diese low-tech-Strategie ist die Dosenantenne, die aus ein | |
paar Drähten und einer Konservendose besteht und den Ausstellungssaal mit | |
dem 300 Meter weit entfernten Festivalzentrum verbindet. | |
## Schüchterne Kamera | |
Einen ironischen Gegenentwurf zur gängigen Überwachungstechnologie bietet | |
die Installation „The Shy Camera“ von Gregor Kuschmirz. Eine bewegliche | |
elektronische Kamera ist mit einem Sensoren verbunden, der auf Bewegungen | |
reagiert. Wenn sich ein Besucher nähert, wendet sich die Kamera ab. | |
Franz Reimer hat für seine Arbeit „The Situation Room“ den Kontrollraum des | |
Weißen Hauses nachgebaut, in dem Obama die Tötung Osama Bin Ladens | |
verfolgte. Das berühmte Bild, das nicht die Tötung, sondern die sie | |
betrachtenden Politiker zeigt, wird so entmystifiziert. In der Ausstellung | |
kann sich jeder Besucher auf den Präsidentenplatz setzen. Aber auf dem | |
Bildschirm sieht er nur sich selbst. | |
Eine ironische Reflexion der jungen Protestbewegung in Russland ist Elana | |
Artemenkos „Comfortabel Protest“ – ein multifunktionales | |
Demonstrationspaket, das als Rucksack zu tragen ist und sich zu einem | |
Schild entfalten lässt, auf dem man eine Parole notieren kann. Schirm und | |
Erste-Hilfe-Paket gehören auch dazu. Und wenn man müde ist, kann man es als | |
Hocker benutzen. Ein nur aus Holz, Stoff und Plastik gebasteltes Objekt. | |
Aber ganz auf der Höhe der Zeit. | |
## European Media Art Festival: 23. 4. bis 27. 4., Osnabrück | |
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23 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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