# taz.de -- Prozess wegen Genitalverstümmelung: „Wir sind halb Teufel, halb … | |
> Erstmals steht in Großbritannien ein Arzt wegen der Beschneidung von | |
> Frauen vor Gericht – ein Wendepunkt im Umgang mit dem Thema. | |
Bild: Arzt vor Gericht: Dhanuson Dhamarsena am 15. April. | |
LONDON taz | Zum ersten Mal wird in Großbritannien ein Prozess wegen der | |
Beschneidung von Frauen geführt. Der Ostlondoner Arzt Dhanuson Dhamarsena | |
steht in London wegen Genitalverstümmelung vor Gericht, die er im November | |
2012 an einer frisch entbundenen Mutter im Londoner Whittington-Krankenhaus | |
verübt haben soll. Angeblich wollte er eine vorgefundene Beschneidung | |
reparieren. | |
Der zweite Angeklagte, Hasan Mohamed, soll den Arzt dazu angestiftet haben. | |
Beide plädierten zur Prozesseröffnung vor dem Amtsgericht Westminster am | |
15. April auf „nicht schuldig“ und wurden bis zum nächsten Prozesstermin am | |
5. Mai auf freiem Fuß belassen. Die Identität des Opfers ist nicht bekannt. | |
Der Fall markiert einen Wendepunkt im britischen Umgang mit dem Thema | |
Frauen- und Mädchenbeschneidung. Female Genital Mutilation (FGM) ist in | |
Großbritannien seit 1985 verboten und wird seit 2003 mit hohen Strafen | |
belegt, aber noch nie gab es deswegen auch nur eine Anklage. In | |
Großbritannien leben nach Angaben der staatlichen Gesundheitsbehörde NHS | |
66.000 Frauen mit beschnittenen Genitalien. Derzeit sind 24.000 Mädchen | |
unter 15 Jahren von Beschneidung bedroht. | |
Frauenorganisationen starteten vor einigen Monaten eine Kampagne, um das zu | |
ändern. Auch die berühmte pakistanische Aktivistin Malala Yousafzai schloss | |
sich der Kampagne an. Nachdem die Aktion in kurzer Zeit über 150.000 | |
Unterschriften verbuchte, erhielt Fahma Mohamed nicht nur eine positive | |
Reaktion des Bildungsministers, sondern auch Besuch von UN-Chef Ban Ki | |
Moon. | |
## Zwei weitere Verfahren in Vorbereitung | |
Schließlich reagierte die englische Staatsanwaltschaft und gab Mitte März | |
den jetzt begonnenen Prozess bekannt. Zwei weitere Verfahren sind in | |
Vorbereitung. Im April veröffentlichte das Bildungsministerium schließlich | |
einen Leitfaden für Lehrer, um Beschneidung an Kindern erkennen und damit | |
korrekt umgehen zu können. | |
Die Aufgeschlossenheit der Regierung ist nicht nur auf die | |
Unterschriftenkampagne zurückzuführen. Im Etat für Entwicklungshilfe sind | |
ohnehin Gelder von umgerechnet über 40 Millionen Euro für den Kampf gegen | |
Mädchenbeschneidung im Ausland vorgesehen. Aber bislang fehlte das | |
Bewusstsein, auch im eigenen Land aktiv zu werden. Die im Juni 2013 | |
eröffnete Hilfsstelle der Regierung hat seit ihrer Eröffnung über 152 | |
Gesuche entgegengenommen, meist von Lehrern und Gesundheitsbeauftragten. | |
Aber nur 20 Mädchen wurden direkt beraten. | |
Eine von der Regierung in Auftrag gegebene Untersuchung dazu, warum die | |
geltenden Gesetze gegen Mädchenbeschneidung bisher nicht angewandt wurden, | |
kam zum Schluss, dass es zwar Einstimmigkeit bezüglich der Verwerflichkeit | |
der Beschneidung gibt, jedoch wenig Klarheit über Vorgehensweisen. | |
## Betroffene befürchten ethnische Diskriminierung | |
Dennoch gibt es unter Betroffenen auch Kritik an der Debatte. Die | |
somalischstämmige Schriftstellerin Nadifa Mohamed fürchtet eine verschärfte | |
Diskriminierung Angehöriger ethnischer Minderheiten, in denen Beschneidung | |
normal ist – beispielsweise Somalis. Sie nennt das Beispiel einer | |
hochschwangeren Frau, deren Geschlechtsorgan fast vollständig zugenäht war | |
und die deshalb von der gesamten gynäkologischen Krankenhausabteilung als | |
Kuriosum begutachtetet wurde. | |
Medien würden nun somalische Frauen als dumm, verrückt und bestialisch | |
hinstellen: „Wir sind halb Teufel und halb Kind“, gibt Nadifa Mohamed diese | |
Sichtweise wieder, „und können deshalb nicht mit der Erziehung unserer | |
eigenen Kinder beauftragt werden.“ | |
Ein anonymer Kontakt aus der somalischen Gemeinschaft sagte der taz, dass | |
Mädchenbeschneidung ohnehin bei der dritten und vierten somalischen | |
Generation in Großbritannien nicht mehr vorkomme und auch in Somalia selbst | |
abnehme. Trotzdem würden nun Somalierinnen und Frauen anderer einschlägig | |
in Verruf geratenen ethnischen Gruppen in Schulen und bei der Ein- und | |
Ausreise stigmatisiert. Die Organisation Muslim Womens’ Network in | |
Birmingham fordert, neben Beschneidung sollten auch andere Formen von | |
Gewalt gegen Frauen beachtet werden. | |
1 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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