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# taz.de -- Zentrum gegen Genitalverstümmelung: „Raus aus dem Elend“
> In Zehlendorf eröffnet das bundesweit erste Zentrum für Frauen mit
> Genitalverstümmelung. Auch in Berlin seien 5000 bis 6000 Frauen
> betroffen, sagt Chefarzt Roland Scherer.
Bild: Missio-Mitarbeiterin Elisabeth schaut im kenianischen Ort Gilgil auf Inst…
taz: Wie kam es dazu, in Berlin ein Krankenhaus für Frauen zu gründen,
denen Genitalverstümmelung widerfahren ist?
Roland Scherer: Zu einem internationalen Ärztekongress habe ich letztes
Jahr die Aktivistin Waris Dirie eingeladen, die einen eindrucksvollen
Vortrag gehalten hat. Seit diesem Kongress haben wir sehr guten Kontakt.
Ihr ist es wichtig, politisch gegen die weibliche Beschneidung zu kämpfen,
sie hatte aber bisher keinen medizinischen Partner dafür gefunden. In
unserer Klinik haben wir diese Expertise: Wir sind auf typische Folgen von
weiblicher Beschneidung wie Darm- und Beckenbodenverletzungen
spezialisiert. Gemeinsam mit Waris Diries Engagement können wir viel
bewegen.
An wen richtet sich Ihr Angebot?
Weibliche Genitalverstümmelung ist eine 5.000 Jahre alte Tradition, die vor
allem in Afrika verbreitet ist. Trotz Verbot wird sie aber auch in Europa
noch praktiziert. Dabei gibt es sie sowohl in christlich als auch in
islamisch geprägten Ländern. Für die betroffenen Frauen in Afrika ist es
oft unmöglich, hierher zu reisen, viele sind Analphabetinnen. Primär werden
deshalb wohl Frauen in Europa unser Angebot in Anspruch nehmen. Langfristig
wollen wir aber auch ÄrztekollegInnen aus Afrika fortbilden.
Wie groß ist das Problem der weiblichen Genitalverstümmelung in Europa?
In Berlin gehen wir von 5.000 bis 6.000 Betroffenen aus, in Deutschland
sind es etwa 30.000 bis 40.000 Frauen, häufig aus Einwandererfamilien aus
Ostafrika. In Europa sind es schätzungsweise mehrere Millionen Frauen.
Wer sind die Betroffenen?
Meist sind die Mädchen bei dem Eingriff zwischen vier und zehn Jahren.
Teils werden sie im Urlaub beschnitten, oder die Beschneiderinnen kommen
hierher. Ein Problembewusstsein entsteht erst, wenn ein Loslöseprozess von
der Familie stattfindet. Überhaupt sehen sich Frauen mit der Problematik
oft erst konfrontiert, wenn es in einer Gesellschaft nicht der Normalfall
ist – so wie in Europa.
Wie sieht Ihre Hilfe konkret aus?
Rekonstruktionsoperationen sind in den Familien oft nicht anerkannt. Wir
wollen die Frauen aber nicht zu einer Operation überreden, sondern dabei
begleiten, wenn sie es wollen. Die Operation ist außerdem der kleinste Teil
– die Betreuung ist sehr wichtig. Dabei wollen wir niedrigschwellige
Angebote: Wir arbeiten mit Selbsthilfegruppen, einer Seelsorgerin, einem
Psychologen und Übersetzerinnen zusammen. Mit den Frauenärztinnen gibt es
weibliche Ansprechpartnerinnen. Wir rechnen mit 50 bis 100 Patientinnen im
Jahr. Ich wünsche mir, dass jede Frau, die beschließt, aus ihrem
gesundheitlichen Elend herauszukommen, die Möglichkeit dazu hat.
Wer ist Teil des Zentrums?
Mit dabei sind etwa der Runde Tisch gegen weibliche Beschneidung und Mama
Afrika. Die haben die besten Möglichkeiten, Frauen unser Angebot
vorzustellen: Die meiste Information über das Zentrum geht wohl über
Mund-zu-Mund-Propaganda.
Was kosten die Operationen?
Eine Operation kostet um die 8.000 Euro. Bei Versicherten trägt das die
Krankenkasse. Wir wollen aber auch Nicht-Versicherte behandeln. Das muss
dann erst mal das Krankenhaus tragen. Dafür haben wir einen Förderverein
eingerichtet, der durch Spenden finanziert wird. Vielleicht werden etwa 20
bis 30 Patientinnen pro Jahr nicht krankenversichert sein. Das werden wir
wohl stemmen können.
Wann kann man sagen, dass der Kampf gegen weibliche Beschneidung gewonnen
ist?
Ich würde mir wünschen, dass es unser Zentrum nicht geben müsste. Aber ich
bin realistisch. Unser Kampf ist nur ein kleiner Baustein. Leider
beobachten wir: Genitalverstümmelung nimmt eher zu, als dass sie abnimmt.
10 Sep 2013
## AUTOREN
Anna Kusserow
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