| # taz.de -- 1. Mai in Berlin: Protestieren, aber richtig! | |
| > Am Kampftag der Arbeiterklasse dürfen natürlich auch alle | |
| > Nichtproletarier auf die Straße gehen. Nur wohin? Die taz gibt Tipps. | |
| Bild: 1. Mai: Wieder richtig was los in Berlin. | |
| ANTIKAPITALISTISCHE WALPURGNISNACHT | |
| Zielgruppe: Alle, die glauben, dass an steigenden Mieten nicht der einzelne | |
| Yuppie, sondern der Kapitalismus insgesamt schuld ist. Und alle mit | |
| sportlichen Ambitionen: Die Route kreuz und quer durch den | |
| geschichtsträchtigen Wedding ist gut sieben Kilometer lang. Auch noch in | |
| den Mai zu tanzen wird danach schon zur Herausforderung. | |
| Forderungen: Zwei große Themen dominieren die Demonstration: Verdrängung | |
| auf dem Wohnungsmarkt und rassistische Ausgrenzung von MigrantInnen. Passt | |
| beides sehr gut in den Wedding. | |
| Neuigkeiten: Nicht so viele: In Sachen Inhalt, Ausdruck und Publikum wird | |
| sich wohl wenig ändern. Na ja, die Probleme sind ja auch noch die gleichen | |
| wie im letzten Jahr. | |
| Spaßfaktor: „Dies ist kein Spaziergang“, lautet die Ansage der | |
| VeranstalterInnen. Ob das als Drohung oder Versprechen zu verstehen ist, | |
| sei jedem selbst überlassen. | |
| Was bringt’s, hinzugehen? Mal raus aus Kreuzberg, den Wedding wieder | |
| erröten lassen – und Konditionstraining gibt’s obendrauf. | |
| DGB-DEMO | |
| Zielgruppe: Alle, die das Gefühl haben, dass sie für ihre Arbeit nicht gut | |
| genug bezahlt werden. Alle, die der Meinung sind, dass Arbeit eigentlich | |
| ausreichend da ist – nur ungerecht verteilt. Und alle, die mal wieder | |
| traditionsschwangere Gewerkschaftsatmosphäre schnuppern wollen. | |
| Forderungen: Gesetzlicher Mindestlohn für alle, ausreichende Renten, | |
| Mitbestimmungsrechte bei Leiharbeit und Werkverträgen, bessere | |
| Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben und last not least mehr Steuern | |
| auf große Vermögen. | |
| Neuigkeiten: Jährlich kommen mehr junge Leute! Laut DGB Berlin Brandenburg | |
| steigt die Zahl unter 27-jähriger Mitglieder stetig, um mehr als 3 Prozent | |
| allein von 2012 auf 2013. Mit etwas Glück sind die dann auch bei der Demo | |
| vertreten. | |
| Spaßfaktor: Definitiv höher, als viele der ehrwürdigen Mutter der | |
| 1.-Mai-Demos zutrauen: Die Stimmung ist gut, wenn Leute, die täglich | |
| zermürbende Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen führen, sich einmal im | |
| Jahr selbst dafür feiern. Enthusiasmus und Wut steigen proportional zu | |
| sinkenden Löhnen. | |
| Was bringt’s, hinzugehen? Gutes Karma und die Möglichkeit, beim | |
| After-Demo-Bier im Gespräch mit gestandenen GewerkschafterInnen den eigenen | |
| Horizont in Sachen Geschichte und Aktualität des Arbeitskampfs zu | |
| erweitern. | |
| MYFEST | |
| Zielgruppe: BerlinerInnen, die Sehnsucht nach den Grillrauchschwaden im | |
| Tiergarten haben, denen es dort aber noch zu kalt ist und die sich lieber | |
| im Gedränge warm schubbern lassen. Und TouristInnen, die mal erleben | |
| wollen, dass Kreuzberg wirklich so ist, wie alle immer sagen. | |
| Forderungen: Mehr Musik, mehr Bier, mehr Köfte …! | |
| Neuigkeiten: Noch mehr Musik, auch mehr Kultur: Auf neunzehn Bühnen bietet | |
| das diesjährige Myfest Musik und Kleinkunst. | |
| Spaßfaktor: Wem Volksfeste für gewöhnlich zu spießig sind, der ist auf dem | |
| Myfest richtig. Und wer zwischen Folklore und Punk nichts findet, was ihm | |
| gefällt, kann sich an den vielen Infoständen am Mariannenplatz politisch | |
| weiterbilden. | |
| Was bringt’s, hinzugehen? Neben Grillgeruch in den Klamotten und Piepsen in | |
| den Ohren das gute Gefühl, dass Kreuzberg wirklich so ist, wie alle immer | |
| sagen. Achtung: Trotz Schubberns warm genug anziehen! Abends wird’s noch | |
| ganz schön kühl im Mai. | |
| 18-UHR-DEMO | |
| Zielgruppe: Linke, die vieles schlecht finden – und solche, die sich im | |
| Berliner Demo-Überangebot nicht mehr zurechtfinden und keine neuen Termine | |
| merken können. | |
| Forderungen: Wie immer ziemlich groß: Soziale Revolution weltweit will die | |
| diesjährige Demo. Die einzelnen Blöcke werden etwas konkreter: Der | |
| Krisenblock prangert die deutsche Rolle in der europäischen | |
| Austeritätspolitik an, der Mietenblock fordert mehr bezahlbare Wohnungen, | |
| und vorneweg marschieren griechische GewerkschafterInnen gegen die Politik | |
| der Troika. | |
| Neuigkeiten: Nach Jahren der Ausflüge nach Neukölln und Mitte bleibt die | |
| Demo dieses Jahr wieder in Kreuzberg. Spannend ist, ob es auch dieses Jahr | |
| so friedlich bleibt wie die letzten Male. Und ob viele Zeitungen am | |
| nächsten Tag trotzdem die gleichen Motive drucken wie seit fast 30 Jahren. | |
| Spaßfaktor: Mittel – weil die Redebeiträge oft fast so scheiße formuliert | |
| sind, wie das System ist, über das geschimpft wird. Durch Berlin ziehen mit | |
| ziemlich vielen Menschen, die mit ziemlich vielen Dingen unzufrieden sind | |
| und das auch sagen, kann aber auch ziemlich nett sein. | |
| Was bringt’s, hinzugehen? Man könnte sagen: Wen Komplexität eher | |
| überfordert, der ist hier richtig. Man könnte aber auch sagen: Die | |
| Feindbilder werden mal wieder klar formuliert – und im besten Fall gibt es | |
| ein großes Zugehörigkeitsgefühl. | |
| 30 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| M. Gürgen | |
| A. Wierth | |
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