| # taz.de -- Schlagloch Sexismus: Medschen in der Villa | |
| > Ich mag Heidi Klum. Sie ist so misogyn wie viele andere, so sexistisch | |
| > wie die gesamte Modebranche. Doch der Rassismus fehlt. | |
| Bild: Mut zum Makel: Heidi Klum | |
| Wieder zieht eine Generation von Germany’s top Model ins Finale ein und | |
| wieder zeigt sich: Es ist so leicht, über Heidi Klum zu schimpfen. Wie sie | |
| ihre „Medschen“ in einer Villa bei Los Angeles einquartiert, ihnen | |
| beibringt, zwischendurch nur rohe Paprika oder Karotten zu snacken, in den | |
| absurdesten „Schuhen“ ebenso absurd zu laufen und auf Knopfdruck sexy oder | |
| „high fashion“ zu sein. | |
| Das ist natürlich alles hochgradig albern, sicherlich ein schlechtes | |
| Vorbild für andere junge Menschen, die dann auch vorm heimischen Spiegel so | |
| bescheuert Laufen und Dünnsein üben; es ist körperfeindlich und sexistisch. | |
| Aber es ist eben nicht sexistischer als der Rest. Nicht sexistischer als | |
| Mode generell (über die ich an dieser Stelle bereits geschrieben habe) oder | |
| als das übrige Fernsehen. Tatsächlich finde ich sogar die Art, wie Heidi | |
| Klum ständig geschmäht wird, ebenfalls ziemlich sexistisch. | |
| In meinen Augen ist Heidi Klum eine willensstarke Frau, die sich nicht die | |
| Butter vom Brot nehmen lässt, die in jungen Jahren ausgewandert ist und, | |
| selbst eine Art deutsche Vorzeigeblondine, jahrelang mit einem Schwarzen | |
| verheiratet war. Ich weiß nicht genau, was davon dem Heidi-Schmäh das | |
| meiste Futter gibt, aber irgendetwas scheint die Leute ziemlich zu stören. | |
| ## Mut zum Makel | |
| Anders als ihre KritikerInnen jedenfalls kann Heidi Klum etwas, das | |
| Seltenheitswert hat: Sie kann andere Frauen loben. Bisweilen merken andere | |
| Mitglieder der Jury an, dass ein Medschen zu „dominant“, „eingebildet“ … | |
| einzelgängerisch sei. (Also ungefähr das, was man bei einem Mann | |
| durchsetzungsfähig nennt.) Heidi verteidigt sie dann stets und sagt, sie | |
| mag es, dass das Medschen weiß, was sie will. | |
| Oft heißt es auch, Frauen untereinander seien zickig und konkurrent. Heidi | |
| Klum dagegen beißt nicht weg, sondern lobt und tätschelt. Heidi sagt so | |
| Sachen wie: „Süß siehst du aus da oben!“ , „Wowwowwow!!“ und „Tolle… | |
| tolle Figur, tolles Alles-Toll.“ Daran mag sprachlich etwas auszusetzen | |
| sein, menschlich nicht. | |
| Aber muss man an ihrer Ausdrucksweise herumnörgeln? Immerhin hat Heidi auch | |
| den Mut zum Makel – eine bei Frauen rare Tugend! –, sie redet ungeschliffen | |
| drauflos, und in einer Staffel hatte sie sich in den Kopf gesetzt zu | |
| singen. Das klang schräg, aber eitel war das nicht. Einmal hatte sie ein | |
| unbequemes Kleid an, das im Sitzen ständig hochrutschte; sie machte es zum | |
| Running Gag. | |
| ## Die Arbeitsplatz-Deko | |
| Eine Kandidatin nannte sie neulich, in freundlichem Ton, eine „Schabracke“, | |
| da zog Heidi nur belustigt die Augenbrauen hoch und sagte, früher habe man | |
| das negativ gemeint. Sogar Frauen, deren Beruf es nicht ist, jung und schön | |
| zu sein, hüten ihr Geburtsjahr wie ein Familiengeheimnis; Heidi Klum | |
| hingegen sagt fröhlich, altersmäßig könne sie die Mutter der Medschen sein. | |
| In einer früheren Folge mussten sich die Medschen in einen weißen Rahmen | |
| stellen und sexy tanzen. Danach trat Heidi an und tanzte etwa halb so | |
| schnell und wild. Und ein Medschen sagte, wie toll sie (Heidi!) das mache: | |
| „Man muss auch bedenken, dass sie ja nicht mehr so jung ist.“ Der Kommentar | |
| wurde gesendet, und allein dafür gebührt der „Model-Mama“ Respekt. | |
| Übrigens kenne ich etliche erwachsene Frauen, die ständig „auf ihre Figur | |
| achten“ und Shopping (Kleiderkaufen) als Hobby ansehen. Anders als diese | |
| verdient Heidi so ihr Geld und verplempert es nicht bloß. Mir scheint, man | |
| nimmt Frauen ihre Komplizinnenschaft mit dem sexistischem | |
| Gesamtzusammenhang erst übel, wenn sie auch richtig erfolgreich damit sind. | |
| Und eigentlich ist GNTM auch nur auf explizite Art so sexistisch, wie etwa | |
| Stefan Raabs Sendungen implizit sexistisch sind. Bei „Schlag den Raab“ wird | |
| immer exakt eine weibliche Kandidatin vorgestellt – von fünfen. Die Spiele | |
| sind mit ihren vielen Fußballfragen, dem Matsch- und Geländewagenfreakismus | |
| deutlich eher an die Hobbys von Männern angelehnt (ja, ich weiß, dass auch | |
| viele Frauen Fußball gucken und Matsch und Geländewagen mögen – trotzdem!). | |
| Zu Raabs Pokernacht wird ebenfalls immer exakt eine Frau eingeladen, in | |
| einer Runde von sechs Spielern. Außerdem ist der Croupier weiblich und | |
| erfüllt die typische, von Pierre Bourdieu so treffend beschriebene Rolle | |
| der dekorativen Frau am Arbeitsplatz. | |
| ## Herkunft einfach kein Thema | |
| Bleibt noch die Sache mit dem Rassismus. Die sechzehnjährige | |
| GNTM-Kandidatin Aminata wurde im Internet wiederholt rassistisch | |
| angepöbelt; als dann Heidi Klum zu Aminata sagte, sie werde ihrer Hautfarbe | |
| wegen auf dem deutschen Modelmarkt womöglich weniger Jobs bekommen, das sei | |
| hier nun einmal anders als in den USA, kritisierte ein Zeit-Online-Autor | |
| ihren Umgang mit dem Rassismus als zu lax. Doch eigentlich war das nur | |
| pragmatisch. Es wäre verlogen so zu tun, als gäbe es in Deutschland keinen | |
| Rassismus; und es wäre falsch, wenn eine Mentorin eine junge Schwarze | |
| darauf nicht – bedauernd – hinweisen würde. | |
| In Klums Sendung selbst ist der ganze Herkunfts-, Religions- und Ethnokram | |
| kein Thema; einmal siegte eine junge Frau äthiopischer Abstammung, ganz | |
| selbstverständlich. Nie macht Heidi Klum eine peinliche oder auch nur | |
| überhaupt eine Bemerkung zu „exotischer“ Erscheinungsform oder Haut. Für | |
| mich, als zeitlebens mit nervigen Islam-Fragen Geplagte, ist das wohltuend | |
| zu sehen; sicher bedeutet die völlige Abwesenheit jeder rassistischen | |
| Tönung für manche Zuschauer auch eine kleine Irritation. | |
| Ich gebe also zu, dass ich – wie etliche Frauen meines Alters – diesen | |
| GNTM-Schwachsinn gern sehe. Die Frage ist jetzt nur noch: Warum? Etwa | |
| deshalb, weil hier überhaupt mal Dutzende Frauen im unmittelbaren Wettkampf | |
| zu sehen sind? Würden wir die Sendung genauso gern oder noch lieber gucken, | |
| wenn sie sich um Physik drehte und „Medschen forscht“ hieße? Oder hängen | |
| wir insgeheim noch dem Traum nach, mit wehenden Haaren im | |
| Nscho-tschi-Outfit auf einem Pferd fotografiert zu werden? | |
| Letzteres bezweifle ich, aber beweisen kann ich es natürlich nicht. | |
| 8 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Hilal Sezgin | |
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