# taz.de -- Ukrainische Armee: Das Militär geht auf dem Zahnfleisch | |
> „Man hat uns reingelegt“, sagt ein demoralisierter Soldat. Ein Ortstermin | |
> bei einer Sondereinheit der ukrainischen Regierungsarmee. | |
Bild: Waffen-Workshop der ukrainischen Armee. | |
KIEW taz | „Desna“ ist Russisch für „Zahnfleisch“. Es ist auch der Name | |
eines ukrainischen Flusses – und so heißt auch die „Einheit zur | |
territorialen Verteidigung“ der Stadt Kiew. Es ist eines von mehreren | |
Bataillonen, das die ukrainische Regierung neu aufgestellt hat, um im | |
Vorlauf der Wahlen am kommenden Sonntag strategische Objekte zu bewachen. | |
Zu Zeiten der Sowjetunion gab es „Desna“ bereits, und die Einheit war | |
durchaus bekannt. Dann aber verlor sie an Ansehen. Sie zählt heute rund | |
2.000 Soldaten, 485 von ihnen bilden nun als 12. Bataillon die „Truppe zur | |
territorialen Verteidigung“ 60 Kilometer außerhalb von Kiew. | |
Es seien Freiwillige, sagte kürzlich der Leiter der Kiewer Stadtverwaltung, | |
Wladimir Bondarenko. Den Soldaten fehle es an nichts, Grundbedürfnisse wie | |
Nahrung und Kleidung seien gedeckt. Die Tatsachen jedoch sehen anders aus. | |
Die Soldaten sind demoralisiert und fühlen sich ausgenutzt. | |
Andrej, früher Diensthabender in einem Kiewer Militärkommissariat, erzählt: | |
„Ich wurde Anfang März einberufen. Zu Beginn haben sie uns gesagt, das | |
Ganze würde 10 Tage dauern, daraus wurden dann 45. Später versprach man | |
uns, dass wir am 16. Mai versetzt werden würden. Stattdessen bekamen wir am | |
Abend des 15. Mai einen Anruf, dass die Hälfte der Soldaten morgens um acht | |
zur ’Desna‘ geschickt wird.“ | |
Der Soldat ist empört: „Weil es der Regierung an Freiwilligen mangelt, hat | |
man uns einfach reingelegt. Die Menschen spielen hier keine Rolle, | |
Hauptsache, die Zahlen stimmen. Als der Maidan noch stand, meldeten sich | |
noch viele bei der Armee. Jetzt kommt niemand mehr freiwillig. Wen sollen | |
wir auch beschützen? Dickbäuchige Beamte, die nur einen Bürgerkrieg | |
anfachen? Dafür sind wir nicht hier. Wenn es einen echten Krieg geben | |
sollte, werde ich mir ein Maschinengewehr nehmen und für mein Volk sterben. | |
Aber für irgendwelche Turtschinows, Jazenjuks und Bondarenkos werde ich | |
mein Leben nicht lassen.“ | |
## Essen geklaut | |
Andrejs Kamerad Oleg beschwert sich über die Lebensbedingungen der | |
Soldaten: „Das Militärkommissariat hat unserer Einheit 400 Matratzen | |
übergeben. Wahrscheinlich hatte man vor, sie zu stehlen, denn man sagte | |
uns, wir müssten auf nacktem Boden schlafen. Ich habe mich dann wahnsinnig | |
aufgeregt, erst dann rückte man die Matratzen aus. Auch das Essen wird uns | |
geklaut. Gestern wurde frisches Gemüse geliefert. Wir bekamen zum | |
Mittagessen aber eine wässrige Suppe aus eingelegten Gurken und Kartoffeln. | |
Nicht mal ein Stückchen Fleisch drin.“ | |
In der Nähe der Einheit stehen viele Autos. Sie gehören den Ehefrauen, | |
Eltern und Freunden der Soldaten. Ein Treffen gestaltet sich auf der | |
Militärbasis aber oft als schwierig, die Soldaten haben nur zwei Stunden | |
Freizeit am Tag. Marina wartet auf ihren Ehemann und findet kaum Worte: | |
„Mein Mann ist in wenigen Tagen abgemagert. Er hat überall Mückenstiche, | |
man gibt den Soldaten keine Schutzmittel. Seine Arbeit hat er vor Monaten | |
verloren. Wenn das alles ein Ende hat, muss er sich was Neues suchen. Das | |
ist aber schwer, die Gehälter sind niedrig und es wird viel gekürzt. Meine | |
Tochter hört nicht auf mich, wenn der Vater nicht zu Hause ist. Nachts | |
weine ich in der Küche, damit keiner mich sieht. Ich weiß einfach nicht, | |
wie es weitergehen soll, wann das alles ein Ende hat und wann mein Mann | |
nach Hause kommt.“ | |
Übersetzung: Ljuba Naminova | |
20 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Andrej Nesterko | |
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