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# taz.de -- Der Nationalpark New Forest: Zäune aufstellen ist verboten
> Ein Paradies für Naturfreunde: Der Nationalpark New Forest südlich von
> London setzt auf nachhaltigen Tourismus. Rund 4.500 halbwilde Ponys
> laufen dort frei herum.
Bild: Nicht jeder mag es, wenn die Pferde bis an die Theke kommen.
Achtung! Abbremsen! Mitten auf der Straße steht eine fette schwarz-weiße
Sau. Ihre drei Ferkel wühlen am Straßenrand nach Eicheln. Gemächlich setzt
sich das Schwein in Gang und lässt uns vorbeifahren. Einige Kurven weiter
bremsen wir schon wieder. Diesmal weiden braune und schwarze Ponys und
Fohlen am Straßenrand. Wenig später überquert eine Kuh mit ihrem Kälbchen
die Straße.
Im Nationalpark New Forest, etwa eineinhalb Stunden südlich von London,
sind Tiere auf der Straße, in Vorgärten und auf Parkplätzen ein
alltäglicher Anblick. Aber die meisten sind natürlich da, wo sie
hingehören: auf den Wiesen und in den Wäldern. Die Gegend ist berühmt für
ihre 4.500 halbwilden Ponys und ihre monatelang frei lebenden Esel und
Rinder.
Im Herbst dürfen auch noch die Hausschweine frei herumlaufen. Sie sollen
die vielen abgefallenen Eicheln fressen, die für die Ponys und Rinder
giftig sind. Die Schweine übernehmen diesen Job gerne. „Und sie werden
dabei schön fett für den Weihnachtsbraten“, erläutert Richard Stride diesen
speziellen New-Forest-Kreislauf.
Stride ist Commoner, also ein Landwirt, dessen Tiere im New Forest frei
grasen dürfen. Er ist aber auch Verderer, das heißt, er wurde von den
anderen Bauern in den zehnköpfigen Verderers‘-Court gewählt, der im New
Forest alle wichtigen Entscheidungen über den Umgang mit der Natur und den
Tieren trifft. Stolz zeigt uns der 61 Jahre alte Engländer mit der
typischen Schirmmütze auf dem Kopf das am Waldrand stehende Haus seines
Sohnes.
„Ist das nicht ein wunderbarer Platz für ein Haus? Ein Paradies!“ Zwanzig
Schweine und etliche Ponys und Rinder der Familie Stride sind in den
Wäldern rund um das Haus unterwegs. „Und wie fangen sie die Tiere wieder
ein?“, fragen wir erstaunt.
„Kein Problem“, sagt Stride, „die Schweine und Rinder kommen freiwillig
wieder nach Hause und die Ponys werden nur einmal im Jahr eingefangen.“
Das Recht, die Tiere frei herumlaufen zu lassen, stammt aus dem Jahr 1079,
als Wilhelm der Eroberer „Nova Foresta“ zu seinem Jagdgrund erklärte und
das für die Jagd hinderliche Aufstellen von Zäunen verbot. Der New Forest
ist also weder neu, noch besteht er vornehmlich aus Wald. Wiesen und
Heideland machen über die Hälfte des Nationalparks aus. Dort wachsen vor
allem Gras, Ginsterbüsche und Heidekraut. Wald und Heide sind von
Wanderwegen und Fahrradrouten durchzogen.
Gleich bei unserer ersten Wanderung erleben wir einen magischen Moment:
Hinter einem großen Ginsterbusch kommt plötzlich ein braunes Pony hervor.
Hinter ihm folgt ein weißes und noch eines und noch eines. Ergriffen sehen
wir zu, wie sich die ganze Herde in Bewegung setzt und über die weiten
Wiesen Richtung Waldrand galoppiert.
## Zu zahm ist auch nicht gut
Wenig später begegnen wir einer anderen Herde, die friedlich zwischen den
Büschen grast. Eines der Ponys kommt zutraulich auf mich zu. Obwohl ich es
gerne streicheln würde, halte ich mich zurück. Ich erinnere mich an ein
Kapitel in unserem New-Forest-Führer. Dort stand, man solle die Tiere nicht
streicheln, weil sie sich sonst zu sehr an die Menschen gewöhnen und sich
das Risiko erhöht, dass sie in die Ortschaften laufen.
Die Ponys leisten durch fleißiges Grasen auch einen Beitrag zum Erhalt der
lichten Wälder und der Heidelandschaft. New Forest Ponys sind weniger
empfindlich als andere Pferde, Wind, Regen und Kälte können ihnen nichts
nichts anhaben. Mit ihren rauen Zungen fressen sie sogar stacheligen
Ginster und die harten Blätter der Stechpalme.
Nicht alle Ponys leben allerdings frei. Einige von ihnen werden in
Reitställen gehalten, die Ausritte anbieten. „Die Ponys sind sehr friedlich
und etwas kleiner als Pferde. Sie eigenen sich besonders gut dazu, von
Kindern geritten zu werden“, erzählt Landwirt Richard Stride.
## Kennzeichen für die Ponys
Er gibt uns den Tipp, dass am nächsten Tag in der Nähe des Ortes Burley
eine „Drift“ stattfindet. Dabei schwärmen die Landwirte und ihre Helfer auf
Pferden und zugerittenen New-Forest-Ponys aus, um die frei herumziehenden
Ponys einzufangen und zu kennzeichnen.
Als wir am Driftplatz mitten in der Heide ankommen, stehen die Helfer mit
langen Stangen schon erwartungsvoll da. Wir sollen ganz am Rand des Platzes
stehen bleiben, rufen sie uns zu. Plötzlich kommt Bewegung in die Menge.
Laut „Hoh!“ und „Heh“ rufend preschen die Reiter heran, in ihrer Mitte
einige halb-wilde Ponys mit ihren Fohlen. Gemeinsam mit den Helfern treiben
sie die eingefangenen Tiere hinter die Einzäunung. Dort werden die Ponys
auf Krankheiten untersucht und bekommen das Brandzeichen des Hofes, in
dessen Nähe sie eingefangen wurden. Denn die Ponys leben zwar frei, aber
sie gehören alle zu einem der Höfe im New Forest. Ihren Besitzern bringen
die Ponys im Gegensatz zu den Rindern und Schweinen allerdings kaum etwas
ein.
„Früher waren sie von den Pferdefreunden begehrt, aber heute können sich
die Leute keine Reitponys mehr leisten“, berichtet Landwirt Stride. Deshalb
entlassen die Commoner nur noch wenige Hengste in die Freiheit. So wollen
sie verhindern, dass sich die Tiere weiter vermehren und eines Tages nicht
mehr genügend Gras für alle da sein wird.
## Esel und Pferde
Doch in diesem Jahr geht die Rechnung nicht auf: „Weil es weniger Hengste
gab, haben sie sich von den Eseln decken lassen“, erzählt Stride: „Jetzt
müssen wir dafür sorgen, dass weniger männliche Esel draußen herumlaufen.“
Kaum ein Commoner kann heute noch von seinen Tieren leben. Stride und seine
Söhne arbeiten hauptberuflich für die Forestry Commission, die das
Miteinander von Tourismus, Natur und frei laufenden Tieren im New Forest
organisiert.
Natürlich kommt es immer wieder zu Konflikten: „Touristen füttern die Ponys
und wundern sich, wenn diese dann zudringlich werden“, erzählt Stride.
„Oder sie lassen ihre Hunde frei laufen und unsere Ponys und Schweine
angreifen.“ Das größte Problem aber sind die Raser: „Jede Woche werden
einige Ponys oder Esel von Autos totgefahren“, klagt Stride. Die Landwirte
legen den Ponys reflektierende Halsbänder an, um noch mehr Unfälle zu
verhindern.
Ab und zu gibt es auch Ärger wegen der frei laufenden Schweine: „Einmal ist
eines in den Supermarkt in Brockenhurst eingedrungen. Ein anderes mussten
wir aus einem Swimmingpool fischen.“ Stride schimpft ausgiebig über die
„reichen Stadtmenschen, die hier Häuser kaufen, die Grundstückspreise in
die Höhe treiben und unser Leben nicht verstehen“.
Unterschiedliche Lebenseinstellungen prallen hier hart aufeinander: Mitten
im kleinen Städtchen Lyndhurst bietet ein Autohändler Ferraris und
Maseratis an. Autos und Motorräder knattern durch den Ort und stauen sich
vor den Ampeln.
## Uralte Eichen
Wenige Kilometer entfernt begegnen wir bei unserer Waldwanderung
stundenlang keinem Menschen. Zwischen Buchen und Stechpalmen steht
plötzlich eine riesige Eiche. „Sie hat fast sieben Meter Umfang und dürfte
450 Jahre alt sein“, sagt unsere Begleiterin Gillie Hayball, Leiterin der
National Park Ranger.
Ihre Aufgabe ist es, den Besuchern das ökologische Gleichgewicht im New
Forest zu erklären. „Leider gibt es nicht mehr viele alte Eichen, denn aus
dem Holz wurden früher die Schiffe gebaut. Sehr viele Eichen wurden im 18.
Jahrhundert für Admiral Nelsons Flotte abgeholzt“, erzählt die Rangerin.
Ein graues Eichhörnchen flitzt an uns vorbei. Auch dazu fällt ihr sofort
eine Information ein: „Die Grauen sind eingewandert und haben unsere Roten
ausgerottet.“
Sie macht uns auch darauf aufmerksam, dass die Laubbäume erst in etwa zwei
Meter Höhe Blätter tragen. Darunter haben die Ponys alle abgefressen. „Aber
noch lieber fressen sie junge Baum-Sprösslinge. Das ist gut so, denn
dadurch bleibt der Wald licht, für die Tiere bewohnbar und für die Menschen
begehbar“, sagt Gillie Hayball.
## Im Sumpf steht wieder das Wasser
Ökologin Sarah Oakley zeigt uns eine malerische Waldlichtung, durch die
sich ein Bach schlängelt. „Wir haben ihm sein altes Bett zurückgegeben,
jetzt ist hier wieder natürliches Sumpfland, in dem Frösche und andere
Reptilien leben.“ Der Bach war vor 150 Jahren begradigt worden, um den
Sumpf auszutrocknen. Inzwischen hat man erkannt, dass der Sumpf ein
schützenswerter Lebensraum ist. „Wie ein Schwamm bewahrt er das Wasser und
gibt es nach und nach an den Wald ab“, erläutert die Ökologin.
Das empfindliche Gleichgewicht zwischen Menschen, Tieren und Natur ist in
diesem relativ dicht besiedelten Nationalpark nicht einfach zu wahren. Zu
den 34.000 Einwohnern kommen im Jahr noch 13 Millionen Touristen hinzu. Die
Regionalverwaltung wirbt sehr dafür, dass die Touristen nicht mit dem Auto,
sondern mit dem Zug anreisen sollen. Sie zeichnet Betriebe, die besonders
nachhaltig wirtschaften, mit dem Zertifikat „Green Leaf“ aus und fordert
Touristen auf, gezielt nach Unterkünften und Geschäften mit dem „Grünen
Blatt“ zu suchen. In jedem Ort im New Forest gibt es Elektroautos, E-Bikes
und Fahrräder zu mieten. Im Sommer bietet ein oben offener Touristenbus
eine Fahrt zu den schönsten Orten an.
Die Betreiber unseres gemütlichen Bed & Breakfast „Cottage Lodge“ in
Brockenhurst verarbeiten in der Küche vor allem Lebensmittel von lokalen
Anbietern. Das Frühstück, mit Omelette, Pilzen, Bohnen, Würstchen, Toast,
Marmelade und Früchten schmeckt wunderbar.
## Lokale Produkte
Abends verwandelt sich der Frühstücksraum in das ausgezeichnete, aber etwas
teure Feinschmeckerlokal „Fallen Tree“, das von anderen Betreibern geführt
wird. Auch dieses Restaurant setzt wie die meisten anderen Lokale, Hotels,
Pensionen, Cafés und Pubs auf Produkte aus der Gegend.
Das bekannteste Pub ist das „Royal Oak“ in Fritham. In dem alten Holzhaus
aus dem 17. Jahrhundert sitzen Einheimische und Touristen beim Mittagessen.
Es gibt ausdrücklich keine Pommes, dafür aber eine warme Suppe, Pasteten,
Bauernschmaus und viele Sorten Ale vom Fass.
Waldarbeiter und Landwirte treffen sich hier auf ein, zwei oder noch mehr
Pints. Lauthals verkünden sie, wie hart das Leben im New Forest ist – und
wie unendlich viel schöner es hier ist als in der Stadt.
26 May 2014
## AUTOREN
Tina Stadlmayer
## TAGS
Nationalparks
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