| # taz.de -- Kommentar EU-Doppelwahl: Europäische Avantgarde | |
| > Di Lorenzo hat als Chef des Fachblatts für Nach-dem-Munde-Reden wohl | |
| > Merkel und Renzi gewählt – das lohnte keine Straftat. Kann aber Vorbild | |
| > sein. | |
| Bild: Giovanni di Lorenzo hat Spaß am Wählen | |
| „Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb | |
| Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“ Dieser Spruch des bösen alten | |
| Kurt Tucholsky hat natürlich den Talibanbart des Sozialkundelehrers samt | |
| Frühstücksresten auf dem Karohemd. Aber hier passt er doch mal wieder. | |
| Denn wie Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der Zeit, die sonntägliche | |
| Einschlafstunde bei Onkel Jauch im Ersten aufmischte, war schon grandios. | |
| Mit maliziösem Lächeln und einer Arroganz, deren Opfer man nicht sein | |
| möchte, gestand er ein, bei der EU-Wahl mit seiner Doppelstimme einmal für | |
| die deutsche, einmal für die italienische Liste gestimmt und damit den | |
| Institutionen und ihren Regeln ein Schnippchen geschlagen zu haben. | |
| Auf Wolfgang Schäubles messerscharfe Analyse hin, man müsse nun gegen | |
| Zweifachwähler eine Regelung finden, legte di Lorenzo dann noch wunderbar | |
| gegen Günther Jauch nach: Da gebe es nun doch endlich mal eine | |
| „interessante politische Aussage in dieser Sendung“. | |
| Selbstverständlich wird man nun eine Maßnahme ergreifen, die einen solch | |
| katastrophalen Missbrauch, wie ihn sich di Lorenzo zuschulden kommen ließ, | |
| für alle Zeiten ausschließt! Man hat ja auch umgehend Maßnahmen | |
| eingeleitet, die es verhindern, dass griechische Rentner in einen | |
| verfrühten Tod getrieben werden, weil das Gesundheitssystem aufgrund des | |
| deutschen Austeritätsdiktats kollabiert. | |
| Im italienischen Strafgesetzbuch greift schon Paragraf 49 des Gesetzes | |
| 18/1979. Für doppelte EU-Stimmabgabe ist dort Haft von ein bis drei Jahren | |
| vorgesehen und eine Buße von 100.000 bis 500.000. Lire, klar: Damals gab es | |
| Europa noch nicht so. | |
| ## Doppelpass für alle | |
| In Deutschland ermittelt nun die Hamburger Staatsanwaltschaft auf eine | |
| Anzeige der sächsischen AfD hin (geht es niedriger?) nach Paragraf 107a des | |
| Strafgesetzbuches, der mit „Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit | |
| Geldstrafe“ droht. Di Lorenzo wäre also in Deutschland besser bedient. | |
| Andererseits wär es in seinem Fall nur logisch, wenn er doppelt bestraft | |
| würde. | |
| Doch in einem Europa, welches Wert darauf legt, dass seine Menschen mobil | |
| und mindestens zweisprachig sind, sollte der Doppelpass und damit die | |
| Doppelstimmabgabe nicht zum Missbrauch, sondern zur Regel erklärt werden. | |
| Di Lorenzo hat zwar als Chefredakteur des Fachblatts für | |
| Nach-dem-Munde-Reden in Deutschland wohl Merkel gewählt und in Italien | |
| Renzi – das lohnte keine Straftat. Zukünftige EurowählerInnen könnten aber | |
| durchaus unkonventioneller doppelstimmen und damit zur europäischen | |
| Avantgarde werden. | |
| Ich zum Beispiel hätte gerne eine Stimme der italienischen | |
| 5-Sterne-Bewegung gegeben – und mancher Italiener vielleicht gern den | |
| deutschen Grünen. | |
| Oder eben: Beiden. | |
| 27 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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