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# taz.de -- Vorsitzender der „Jungen Alternative“: Der ängstliche Rebell
> Erst kurz ist Philipp Ritz Vorsitzender der AfD-Jugend. Mit
> Antifeminismus machte er Schlagzeilen. „Aufmerksamkeit ist
> Aufmerksamkeit“, sagt er kühl.
Bild: Philipp Ritz bei der Wahlkampfparty der AfD am 25. Mai
SIEGBURG / KÖLN taz | Die Welt von Philipp Ritz besteht aus Angst. Angst
vor Überfällen, Angst vor Diebstahl, Angst vor Sozialbetrug. Davor, dass
ihn jemand in der Disko zusammenschlägt. Dass Deutschland sich überschulden
könnte und ihm eine Frau seinen Job wegnimmt, wegen Feminismus, Quoten,
Gleichmacherei. Und wenn es so weitergeht, da ist sich Philipp Ritz sicher,
ist auch das Geld bald nichts mehr wert.
„Das kann doch nicht sein“, sagt er, wenn er über diese Themen redet. Seit
drei Monaten ist Philipp Ritz Vorsitzender der Jungen Alternative (JA), der
Jugendorganisation der Alternative für Deutschland. Ihn kennt fast niemand,
genauso wenig wie die Junge Alternative. Die Mutterpartei AfD ist gerade
mit sieben Prozent in das Europaparlament eingezogen.
Philipp Ritz bleibt kühl. „Ich habe mir zwei bis drei Prozent mehr
erhofft“, sagt er. Alle paar Minuten bricht bei der Wahlparty der AfD Jubel
aus, wieder ist das Ergebnis um ein Zehntelprozent gestiegen. „Wir konnten
im Wahlkampf als Junge Alternative einen erheblichen Anteil zusteuern“,
sagt Ritz. Parteifreunde beschreiben Philipp Ritz als Macher, als
Parteimanager. „Ritz ist kein Ideologe“, sagt einer.
## „Geile Flyer“
Einen Monat zuvor steht Philipp Ritz, 32, schwarzer Anzug, rosafarbenes
Hemd, akkurat gegelte Haare, auf dem Vorplatz des Kölner Doms, die Hände in
den Taschen. Die AfD macht Wahlkampf, eine Jazzband spielt, bevor die
Spitzenkandidaten sprechen. Philipp Ritz beobachtet den Auftritt,
„Rampenlicht ist was für die anderen“, sagt er.
Während ein Feuerwehrauto mit der Aufschrift „Eurowehr“ hupend auf die
Domplatte fährt, meint er: „Es liegt in unserer Verantwortung, welche Welt
wir unseren Kindern hinterlassen.“ Gerade will er erklären, wieso er
glaubt, dass es Deutschland ohne den Euro besser gehen würde, da kommt ein
Parteifreund auf ihn zu. „Hast du die geilen Flyer gemacht?“ Philipp Ritz
nickt. „Die sind echt der Hammer.“ Ritz lächelt stolz.
Alle paar Tage setzt er sich an seinen Computer und bastelt mit Photoshop
neue Themenplakate. Da ist dann etwa die Rückenansicht von fünf Frauen in
knappen Bikinis zu sehen. „Gleichberechtigung statt Gleichmacherei“ steht
darunter. „P(r)o Vielfalt in Europa.“ Damit hat es die Junge Alternative
sogar als „Verlierer des Tages“ in die Bild-Zeitung geschafft.
„Aufmerksamkeit ist Aufmerksamkeit“, sagt Philipp Ritz ungerührt. „Das w…
nicht bloß ein Scherz.“ Die Frauen auf dem Bild hätten unterschiedliche
Hautfarben, Poformen, Haarschnitte. Das symbolisiert die Vielfalt in
Europa, sagt er. Sexismus? „Na ja“, Ritz wiegt den Kopf: „Die Frauen haben
sich ja freiwillig fotografieren lassen.“
Als Philipp Ritz gerade ein paar Tage Vorsitzender war, hat er sich seine
erste Facebook-Kampagne ausgedacht. Mitglieder der Jungen Alternative
halten Schilder hoch, auf denen Sätze stehen wie „Ich bin kein Feminist,
weil Hausfrau ein Beruf ist“ oder „Ich bin keine Feministin, weil ich
selbst was in der Birne habe“. Die Emma warf der JA vor, rückwärtsgewandt
zu sein, antiemanzipatorisch. Sogar in Saudi-Arabien wurde über die
Kampagne von Philipp Ritz berichtet: Junge Deutsche kämpfen gegen die
Übermacht der Frauen, hieß es. Einige hundert Mal wurden die Bilder
geteilt, fast 3.000 Follower gewann die Junge Alternative bei Facebook
hinzu. „Besser hätte es wirklich nicht laufen können“, sagt Ritz und fän…
an zu kichern.
## Schnittmengen mit der neuen Rechten
Auf der Bühne in Köln spricht AfD-Vorsitzender Bernd Lucke über den Euro
und den quasi sicheren Sitz der AfD im Europaparlament. Philipp Ritz hört
ihm nicht zu. „Muss nicht sein, ich kenne die Rede schon.“ Er blickt zur
Seite, an den Rand der Domplatte. Die Antifa hat sich zur Demo aufgestellt.
Er läuft ein paar Schritte in die Richtung der Demonstranten, die Polizei
hat sie abgeschirmt. „Nicht wir sind gefährlich, die sind gefährlich“, sa…
er. Was die Protestler rufen, kann er nicht hören. „Ist ohnehin immer das
Gleiche.“
Die Alternative für Deutschland polarisiert. „Wir leben in einer
Konsensdemokratie“, sagt Ritz, „es gibt zu viele Denkverbote, die müssen
wir aufbrechen.“ In der AfD geht es oft um Denkverbote, sie behauptet von
sich, sie hätte den „Mut zur Wahrheit“.
Der Soziologe Alexander Häusler sagt: „AfD und Junge Alternative
profilieren sich damit, politisch unkorrekt zu sein.“ Der Parteienforscher
hat die beiden Organisationen untersucht. Sein Urteil ist eindeutig: „Es
gibt bei der Jungen Alternative deutliche inhaltliche Schnittmengen mit der
Neuen Rechten.“ Der Landesvorsitzende von Baden-Württemberg etwa äußert
sich regelmäßig in rechtskonservativen Blättern wie der Blauen Narzisse,
der Aula und der Jungen Freiheit. „Die rechte Klientel wird bewusst
angesprochen“, sagt Häusler. Die JA steht laut Häusler für den rechten
Flügel der AfD. „Sie ist wie alle Jugendorganisationen noch mal deutlich
radikaler als die Gesamtpartei.“
## Der „Genderwahnsinn“
Nicht Euroskeptizismus und Wirtschaftspolitik stehen im Mittelpunkt,
sondern Sicherheit in U-Bahnen und der „Genderwahnsinn“. Die Ausdrucksweise
der Plakate und Flyer erinnert an die Sprache der Rechten. „Selbstjustiz
ist die neue Polizei“, heißt es auf einem der Flyer von Philipp Ritz.
„Kriminalität härter angehen. Harte Arbeit wartet“, steht auf einem
anderen. Das sind die Themen, mit denen die JA bei jungen Wählern punkten
will. Bei der letzten Bundestagswahl hat die AfD bereits das Klischee der
Seniorenpartei widerlegt. Wäre es nach den Wählern unter 30 gegangen, säße
sie heute im Bundestag.
Ein Nachmittag im April, Philipp Ritz sitzt in einem Brauhaus in Siegburg
bei Bonn. Dunkle Fliesen, Holzverkleidung, gedimmtes Licht. In der Ecke ein
Stammtischwimpel, im Radio dudelt Helene Fischer. „Atemlos durch die Nacht,
spür’ was Liebe mit uns macht.“ Die Welt, vor der sich Philipp Ritz
fürchtet, ist weit weg von hier. In Brasilien zum Beispiel, wo die Menschen
mit der Gefahr leben, jederzeit erschossen zu werden.
Aber auch in Köln, da ist es inzwischen fast genauso gefährlich, sagt er.
„Wir erleben die Folgen einer Kuscheljustiz, die bei Regelverstößen erst
viel zu spät Grenzen aufzeigt.“ Seine Sätze sind verschachtelt, lang, die
Stimme ist leise. Seine Gedanken springen: Vom Philosophen Thomas Hobbes
und dem Gewaltmonopol des Staates über Kinder ohne Schulabschluss hin zu
Vergewaltigern, die frei rumlaufen.
Philipp Ritz macht eine kurze Pause, ein Schluck Cola light. Er hält inne,
stützt eine Hand gegen die Tischplatte, wiegt seinen massigen Körper im
Stuhl und nimmt Anlauf. „Unser Slogan als Junge Alternative ist ja
’Verstand statt Ideologie‘. Ich bin der festen Überzeugung, dass es das
heute braucht, mehr Verstand.“ Philipp Ritz gehört einer Partei an, die oft
auf ihren Verstand hinweist. Akademiker und Geschäftsleute haben die AfD
gegründet, ihr Vorsitzender Bernd Lucke ist Professor für
Wirtschaftswissenschaft.
Philipp Ritz hat Betriebswirtschaft studiert. Er stammt aus einem
Akademikerhaushalt: Mutter Apothekerin, Vater Ingenieur. Ritz ist Manager
bei einem Pharmadisponenten, dort überlegt er sich neue Geschäftsmodelle.
„Ein bisschen wie in der Politik“, sagt er. Politiker will er trotzdem
nicht sein. Er will in keinem Parlament sitzen, nicht im Landtag, nicht im
Europaparlament, zumindest sagt er das. „Ich will die Dinge im Stillen
verändern.“
## Der Mehrparteigänger
Die wenigen Gäste im Brauhaus sitzen an diesem Nachmittag vorne an der Bar
oder draußen. Die Kellnerin läuft vorbei. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“
Wenn vor ihr die Tür zur Küche aufschwingt, dringt der Klang fester Schläge
heraus. Die Schnitzel werden geklopft. Philipp Ritz hat schon viel Zeit in
Brauhäusern und Gaststätten wie dem Roten Löwen in Siegburg verbracht. Hier
treffen sich die Ortsvereine von Parteien. Beim Bier wird ausgeklüngelt,
wer Bürgermeisterkandidat wird und wo das Grillfest stattfindet.
Ritz war Kassenwart, Beisitzer, Schriftführer, stellvertretender
Ortsvereinsvorsitzender bei verschiedenen Parteien. Im Wahlkampf 1998, als
kurz darauf CDU und FDP abgewählt wurden, geht er in seinem Heimatort
Dahlem in der Eifel zur Jungen Union. „Weil mir Helmut Kohl sympathisch
war“, sagt er, „und weil ich Rot-Grün für eine Gefahr hielt“. Später i…
bei der FDP und den Julis aktiv, die Wirtschaftspolitik war besser als bei
der CDU, sagt er. „Es wurde fast nichts von dem umgesetzt, was 2009 im
Wahlprogramm stand.“ Er klingt resigniert, enttäuscht. Er glaubt, dass
Politiker korrupt sind, dass sie irgendwann anfangen zu lügen, um ihre
Macht zu sichern.
Deshalb hat er darauf gewartet, dass eine neue Partei gegründet wird.
„Eine, die Schluss macht mit den Seilschaften und auf rationale Politik
setzt.“ Noch am selben Tag, als die Website der Alternative für Deutschland
online geht, tritt er ein. Endlich tut sich mal was, denkt er. Ihn
fasziniert, dass es bei der jungen Partei keine Tabus, keine Denkverbote
gibt. „Wir sind bürgerliche Rebellen“, sagt er.
Das klingt nach Aufstand. Die AfD will jetzt das Europaparlament
aufmischen, sich von der Konsensdemokratie absetzen. Die Stimmung auf der
Wahlparty am Sonntag ist euphorisch. Philipp Ritz ist mitten drin. Für ihn
wird sich jedoch nichts ändern. Er wird später nach Hause fahren, nach
Sankt Augustin bei Bonn. Dort ist es immer noch am sichersten. Morgen ist
wieder ein ganz normaler Tag. Er wird sich an seinen Laptop setzen,
Photoshop starten. Philipp Ritz hat schon eine Idee für die nächste
Bildmontage. Der Schreibtisch ist ein guter Ort für einen bürgerlichen
Rebellen.
28 May 2014
## AUTOREN
Timo Steppat
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