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# taz.de -- Trauer vor der Brandruine in Odessa: „Wir haben einfach Angst“
> Den Behörden trauen sie nicht, den Platz vor der Ruine des
> Gewerkschaftshauses räumen wollen sie nicht. Für die Wahl interessieren
> sie sich auch nicht.
Bild: Blumen vor dem abgebrannten Gewerkschaftshaus in Odessa.
ODESSA taz | Rund zwei Dutzend Menschen harren vor der Brandruine aus. Der
Platz vor dem abgezäunten und ausgebrannten einstigen Gewerkschaftshaus in
Odessa, etwa 200 Meter vom Hauptbahnhof entfernt, ist schon von Weitem zu
erkennen: Eine Fahne der Stadt Odessa weht auf Halbmast, unzählige Kerzen
und ein Blumenmeer. Hier wird der Toten vom 2. Mai gedacht, als das Gebäude
samt mehrerer Dutzend darin verschanzter prorussischer Demonstranten in
Brand geriet.
Zwei Autos der Miliz wachen in einigem Abstand über die Veranstaltung. Vor
drei Wochen noch, so berichtet Nina, habe die Miliz die Demonstranten
vertreiben wollen, vergeblich. Man werde diesen Platz nicht verlassen, so
ein älterer Demonstrant. Hier ist derzeit der einzige Ort in der
Hafenstadt, an dem ohne Angst offen über Politik diskutiert wird.
Viele, die den Platz vor dem versperrten Eingang des Gewerkschaftshauses
betreten, verbeugen und bekreuzigen sich vor den Porträts der Toten, die
meisten legen mitgebrachte Blumen vor einem Bild eines getöteten Aktivisten
ab. Viele können beim Anblick der Porträts der toten Demonstranten und des
ausgebrannten Gebäudes vor Trauer ihre Tränen nicht zurückhalten.
Kaum jemand spricht an diesem Platz über den 25. Mai, den ukrainischen
Wahltag. Alle sprechen über den 2. Mai. Irgendwo steht eine große
Sammelbüchse. Man sammelt Geld für die Hinterbliebenen der Toten und die
Anwälte der Inhaftierten.
## Die Trauernden sind eingeschüchtert
„Es ist ja schon seltsam: Die Toten des 2. Mai sind Aktivisten des
Anti-Maidan und in Untersuchungshaft sitzen auch nur Anhänger der
Anti-Maidan-Bewegung“, sagt einer der Demonstranten. „Das zeigt doch: Mit
den Morden des 2. Mai wollten die in Kiew unsere Bewegung für
Föderalisierung in Schock versetzen, uns mundtot machen. Teilweise haben
sie das geschafft. In Odessa traut sich keiner mehr, eine Veranstaltung für
die Föderalisierung zu organisieren. Doch wir hier vor dem
Gewerkschaftshaus werden immer mehr. Tagsüber sind wir zwanzig, um 18 Uhr
kommen jeden Tag über hundert Menschen.“
Irgendwann kommt dann doch noch jemand auf die Wahl zu sprechen. Auch wenn
auf mehreren Plakaten vor dem Gewerkschaftshaus zum Wahlboykott aufgerufen
wird, sind sich die Anwesenden keineswegs einig, ob ein Wahlboykott Sinn
gemacht hätte.
Viele Föderalisierungsanhänger vor dem Odessaer Gewerkschaftshaus haben an
der Wahl teilgenommen. Manche wollten die Präsidentschaftswahlen
boykottieren, sich aber gleichzeitig an den Wahlen zum Bürgermeister von
Odessa beteiligen. Praktisch sei das aber nicht ratsam gewesen, meint
Natascha, die wählen ging: Jeder Wähler habe zwei Stimmzettel erhalten, und
nur den für die Kommunalwahlen abzugeben, hätte eine Fälschung des
Präsidentenstimmzettels erleichtert. Das Misstrauen hier ist groß.
## Seit Tagen keine Nachrichten
Und bereits wenige hundert Meter weiter scheut man sich, offen über Politik
zu reden. Der Fahrer eines Mercedes 450 sagt, er habe seit mehreren Tagen
schon keine Nachrichten mehr gesehen oder gelesen. „Wie soll ich ein
Wahlergebnis interpretieren, das ich gar nicht kenne?“
In einem kleinen Café sagt ein Gesprächspartner: „Seit dem 2. Mai haben wir
einfach Angst. Das sollte eine Warnung an die Bevölkerung gewesen sein. Ich
habe das verstanden – und werde mich deswegen nicht mehr weiter mit Ihnen
über Politik unterhalten.“
Ein anderer: „Ich denke, die Wahl von Poroschenko bedeutet noch mehr
Bürgerkrieg. Kurz nach seinem Wahlsieg hat er erklärt, er werde innerhalb
weniger Stunden im Osten mit eiserner Hand aufräumen.“
28 May 2014
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Odessa
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
Euromaidan
Slowakei
Gazprom
Ukraine
Kyjiw
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