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# taz.de -- Kriminologe zur elektronischen Fußfessel: „Das Feld ist politisc…
> Die elektronische Fußfessel ist kein Allheilmittel, kann aber zur
> Sicherheit beitragen, sagt Jörg Kinzig. Der Kriminologe leitet ein
> Forschungsprojekt zur Aufenthaltsüberwachung.
Bild: Für die einen „Spielzeug der Justiz“ und für die anderen wirksame A…
taz: Herr Kinzig, in Hamburg argumentiert die Justizbehörde, dass die
sogenannte elektronische Fußfessel abschreckende Wirkung habe. Ist das
belegt?
Jörg Kinzig: Belegt ist das bisher nicht. Es ist auch schwierig zu belegen.
Der Gesetzgeber geht jedoch davon aus. Bei der Einführung der Fußfessel hat
man damit argumentiert, dass sich der ehemalige Straftäter vor der etwaigen
Begehung einer neuen Straftat sagen soll: Es besteht eine höhere
Wahrscheinlichkeit, dass ich erwischt werde. Dieses Konzept beruht auf
einem rational agierenden Straftäter.
Den es in der Realität so gibt?
Selbstverständlich kann man die Frage stellen, ob das alle oder nur ein
Teil der Straftäter sind. Wir haben im Strafgesetzbuch hohe Strafen für
viele Delikte und trotzdem begehen Menschen immer wieder Straftaten.
Rein theoretisch wäre doch eine Studie zum Abschreckungseffekt denkbar, bei
der eine Gruppe Entlassener eine elektronische Fußfessel trägt und eine
andere nicht.
Ein guter Gedanke. Es müsste in diese Richtung gehen. Idealiter müsste man
dazu allerdings eineiige Zwillinge finden, bei denen weitere Faktoren
ähnlich sind. Über viel mehr als Tendenzen wird man nicht hinauskommen.
Überzeugt Sie als Kriminologe die Argumentation der Befürworter der
Fußfessel?
Da will ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, denn wir evaluieren
gerade deswegen an unserem Institut in einem Forschungsprojekt die
elektronische Fußfessel. Insgesamt bin ich, was den Einsatz anbelangt,
offen. Man muss aber sehen, dass sie allenfalls ein Baustein im Rahmen
einer ganzen Fülle von Weisungen innerhalb der Führungsaufsicht ist. Es
wäre unseriös, sie als Allheilmittel zu bezeichnen. In bestimmten
Konstellationen kann sie aber vermutlich zur Erhöhung der Sicherheit
beitragen.
Es gibt eine sonderbare Unverhältnismäßigkeit zwischen der geringen Zahl
der Fälle und der öffentlichen Aufmerksamkeit dafür. Woran liegt das?
Es hat etwas zu tun mit der Klientel, um die es geht. Die Fußfessel ist im
Zuge der deutschen Reaktion auf die Entscheidungen des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte zur Sicherungsverwahrung ins Gesetz
gekommen. Es gibt in Deutschland nicht viele ehemalige Sicherungsverwahrte,
aber wenn es bei ihnen zu Rückfällen kommt – das ist zum Glück selten –,
erzeugt das eine besondere Aufmerksamkeit in den Medien und der
Rechtspolitik. Dagegen kümmert man sich kaum um die vielen Menschen, die
jeden Tag aus den Justizvollzugsanstalten entlassen werden oder diejenigen,
die aus den psychiatrischen Krankenhäusern kommen.
Die Hamburger Grünen kritisieren, dass die elektronische Fußfessel für vier
Personen die Stadt seit 2011 rund 180.000 Euro gekostet hat. Ist das zu
viel für eine Maßnahme der Führungsaufsicht?
Die Frage, die dahinter steht, ist: Was sind wir bereit, in den Bereich der
Bewährungshilfe und der Führungsaufsicht zu investieren? Da hat die
Kriminalpolitik die Tendenz, zu sagen: Es soll möglichst billig sein. Diese
Kostenerwägungen sind zulässig, aber man darf sie nicht verabsolutieren.
Wir wollen ja auch für Sicherheit sorgen. Außerdem muss man sehen, dass
Haftplätze als Alternative auch nicht ganz billig sind.
Wobei in Deutschland, anders als in Skandinavien, der Ansatz, Haft durch
die elektronische Fußfessel zu vermeiden, kaum verfolgt wird.
Es wurde in Modellversuchen ausprobiert, aber man ist wieder davon
abgekommen. Der klassische Proband ist jetzt ein schwerer Straftäter, der
aus dem Vollzug entlassen werden muss, häufig, weil er seine Strafe
vollständig verbüßt hat.
Dabei leuchtet es ein, sozial gut eingebundene Ersttäter möglichst nicht zu
inhaftieren. Warum wird das nicht verfolgt?
Das hat sich mir bisher nicht vollständig erschlossen. Die Evaluationen in
Hessen waren nicht so negativ.
Vor dem Verfassungsgericht ist noch die Klage eines Mannes gegen das Tragen
der elektronischen Fußfessel anhängig. Halten Sie den Widerspruch für
aussichtsreich?
Ich wäre da eher vorsichtig. Allerdings ist es ein Problem dieser
Maßregeln, die schuldunabhängig sind – der Täter hat ja seine Strafe
abgesessen –, dass gleichwohl Beschlüsse über mehrere Seiten gefasst
werden, was er alles nicht darf. Da kann man die Frage der
Verhältnismäßigkeit aufwerfen. Ein Polizeibeamter hat mir zu Recht einmal
gesagt: Es könnte ein Problem sein, dass man die stationäre
Sicherungsverwahrung durch eine mobile Sicherungsverwahrung ersetzt.
Was versprechen Sie sich von Ihrer Evaluation der elektronischen Fußfessel?
Die gültige Form der elektronischen Aufenthaltsüberwachung ist am 1. 1.
2011 eingeführt worden und dazu gibt es noch keine Forschung. Wir gehen der
Frage nach, wann die Fußfessel angewandt wird, wie sie wirkt und wo die
damit verbundenen Probleme liegen. Konsequenzen hat dann der Gesetzgeber zu
ziehen.
In Hamburg hat die Opposition die Fußfessel ein „Spielzeug der Justiz“
genannt und damit suggeriert, dass objektive Kriterien keine große Rolle
spielen.
Das scheint mir sehr plakativ. Ich würde es anders formulieren: Im Bereich
der Sicherungsverwahrten haben wir sicherlich das Problem, dass seit Ende
der 90er-Jahre fast jedes Jahr ein neues Gesetz hinzu gekommen ist. Dort
hinein fügt sich die elektronische Aufenthaltsüberwachung. Das ist aber
weniger eine Frage der Justiz als eine des Gesetzgebers – der hat sich
bislang nicht zu einer umfassenden Reform durchgerungen, weil das Feld
politisch offensichtlich so umkämpft ist.
4 Jun 2014
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Fußfessel
Sicherheitsverwahrung
Kriminologie
Justiz
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