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# taz.de -- Musiker und Fußballfan Tim Jürgens: "Nicht über Erfolg nachdenke…
> Tim Jürgens, Bassist der Indie-Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen
> und Sportjournalist, über die Schwierigkeit, einen stilvollen Fußballsong
> zu schreiben.
Bild: Tim Jürgens, hier noch zu guten alten Superpunk-Zeiten
taz: Herr Jürgens, schon in Ihrem Bandnamen klingt ein gewisser
Fußballbezug an.
Tim Jürgens: Ach ja, wo denn? Nein, bei der Namenswahl haben wir wirklich
nicht an Fußball gedacht. Der Name ist tatsächlich nur eine Abwandlung des
Comictitels „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“. Von
,außergewöhnlich‘ kann bei uns ja leider nicht die Rede sein. Aber
gewöhnlich zu sein, ist ja auch nicht das Schlechteste. Mir persönlich
gefällt es in diesem Alter, dass ich inzwischen erreicht habe, endlich als
Gentlemen durchzugehen – wenn auch nur als ein gewöhnlicher.
Stimmt es, dass Sie Ihren langjährigen Bandkollegen Carsten Friedrichs in
der Fankurve kennengelernt haben?
Wir hingen Mitte der Neunziger, wie damals viele Hamburger Musiker, oft in
Heinz Karmers Tanzkaffee an der Budapester Straße in St. Pauli ab. Wir
trafen uns also meistens Freitagnacht am Tresen, und samstags zum
Katerentlüften um 15.30 Uhr im Volksparkstadion. Fußballerisch war es schon
damals eine bleierne Zeit: In sechs Jahren, die ich HSV-Dauerkarteninhaber
war, haben wir vielleicht zwei gute Matches gesehen. Also hielten wir uns
mit dem üblichen Gefrotzel bei Laune: „Die spielen so schlecht, ich glaub’,
ich schick meine Dauerkarte zurück – die vom letzten Jahr. Harharhar.“
Derzeit sind in Ihrer Band drei HSV-Fans und zwei St. Paulianer. Wie
funktioniert das?
Wie soll das schon gehen? Der Mai im Tourbus war schrecklich, als der HSV
am Abgrund stand. Die St. Paulianer meldeten sich ständig von ihren
billigen Plätzen im Bus zu Wort: „Hauptsache, die Rothosen steigen ab.“ Wir
versuchten, deren Sprüchen mit Gleichmut zu begegnen. Aber klar, da geht
ein Riss durch die Band. Die St. Paulianer, Gunther und Philipp, stehen von
den Zuschauern aus gesehen zusammen auf der linken Seite der Bühne – und
der Mikroständer von Carsten ist die Demarkationslinie, hinter der dann die
Erstligainteressierten auf der Bühne ihren Platz haben.
Gibt’s da denn ernsthaft Zoff vor der Bühne?
Keine Ahnung, ob die Fäuste geflogen wären, wenn der HSV abgestiegen wäre.
Von meiner Seite aus bestimmt nicht. Ich stamme aus Ostfriesland, ich bin
anders als Carsten also nicht am Volkspark aufgewachsen. Außerdem haben wir
Ostfriesen von Natur aus eine gewisse rationale Distanz zu den Dingen. Als
Jugendlicher konnte ich mich mit Typen wie Horst Hrubesch
(Ex-Bundesligaspieler u.a. beim HSV, A. d. Red.) identifizieren. Der hat
einen Spruch geprägt, den man ohne Weiteres auch auf das Leben in einer
Band übertragen kann: „Wir haben zusammengestanden und die Scheiße
durchgezogen.“ Das gefällt mir. Eine gewisse Distanz habe ich übrigens
ohnehin zum Profifußball – da brauchen wir jetzt gar nicht von der
Kommerzialisierung und Eventisierung des Fußballs anzufangen.
Vielleicht doch! Hat denn der Fußballsport durch diese Entwicklung Schaden
genommen?
Wer dieses Spiel liebt, der wird bei mitreißenden Spielen kaum darüber
nachdenken, was diese Matches an Geld bedeuten. Da geht’s einfach ums
Gewinnen. Das ist diese Faszination für das Kompetitive, die ich schon als
Kind auf dem Bolzplatz gespürt habe – davon kommt man irgendwie nicht los.
Ich frage mich, warum wir nicht verstehen wollen, dass die Fifa nichts
anderes ist, als ein auf Gewinnmaximierung ausgerichtetes Unternehmen, das
sich nicht darum schert, was Völker oder Menschen wollen. Profifußball ist
eine begehrte Ware. Fertig.
Schmälert die Brutalität, mit der in Brasilien die WM gegen die Interessen
eines Großteils vor allem der armen Bevölkerung durchgeboxt wurde, nicht
die Vorfreude?
Wie gesagt, das Geschäftsgebaren der Fifa kann und sollte man sehr kritisch
sehen. Ein Fußballverband wie der DFB mit 6,8 Millionen Mitgliedern könnte
auch sagen: Freunde, wir spielen bei der WM nicht mit. Aber als
Fußballinteressierter ist eine WM doch immer Ausnahmezustand. Das deutsche
Team spielt ja im Vergleich zu dem Betonfußball, mit dem ich groß geworden
bin, heute großartigen Fußball. Jetzt ist die große Frage: Muss ich ein
schlechtes Gewissen haben, wenn die im Halbfinale der WM auf die
wahrscheinlich noch bessere Mannschaft von Brasilien treffen? Ganz ehrlich:
Mir ist das zu kompliziert.
Was ist denn besser am Amateurfußball?
Ach, besser? Fußball hat doch auf allen Ebenen seinen Reiz. Im
Amateurbereich gibt es diese übertriebenen Sicherheitskontrollen noch
nicht, auch keine elektronischen Chips, mit denen man sein Bier bezahlt. In
manchen Stadien wird noch eine regionale Schnapsspezialität angeboten und
die Muttis in den Buden haben diesen robusten, seit Jahrzehnten
ausgebildeten Bierschwemmen-Schnack drauf.
Stehen Sie denn häufiger mal bei der Regionalliga am Rand?
Wir besuchen während der Tour jedenfalls, so es die Zeit und die Route
zulassen, regelmäßig Amateurspiele: Spiele wie Fortuna Köln gegen den SC
Wiedenbrück. Oder nach unserem Gig in München waren wir bei der zweiten
Mannschaft von 1860 München, die gegen Viktoria Aschaffenburg gespielt hat.
Das sind mal echte Fußballniederungen.
In München waren über 4.000 Leute im Stadion, bei einem Regionalligaspiel.
Faszinierend.
Mit „Die Gentlemen-Spieler“ haben Sie einen richtigen Fußballsong. Wer
waren die Gentlemen-Spieler?
Die Nummer erzählt die Geschichte, wie schwer es der Fußball hatte, im
Deutschland der piekfeinen Turnväter um die Jahrhundertwende Akzeptanz zu
finden. Damals wurde das Spiel noch als ordinäre „Fußlümmelei“
abqualifiziert. Der Sport wurde ja quasi aus England importiert – und
zunächst als „undeutsch“ abgetan. Da schwang auch viel Nationalismus mit.
Aber die Gentlemen-Spieler haben sich nicht beirren lassen und sich trotz
aller Widerstände am Sonntag im Park getroffen und gegen den Ball getreten.
Das Genre Fußballsongs ist nicht gerade eine Goldgrube.
Im Gegenteil. Wenn man einen Hit landet, kann man schon sehr lange davon
zehren. Aber in wohl keinem Genre gibt es mehr Schrott. Carsten, der den
Text geschrieben hat, hat auch wahnsinnig lange darüber nachgedacht, wie er
die Nummer anlegt. Keiner der üblichen Mitgröl-Gassenhauer nach dem
Prinzip: „Deutschland vor, noch ein Tor.“ Einen Fußballsong zu schreiben,
der stilvoll ist und gleichzeitig so von dem Sport erzählt, dass kein
stumpfer Gassenhauer dabei rauskommt, das ist schon schwer.
In meiner Mediathek kommt Ihre Band übrigens direkt nach Die Deutsche
Fußballnationalmannschaft mit „Fußball ist unser Leben“.
Oha, Sie Armer. Was der Fußballer und Musikproduzent Jack White da 1974
gemacht hat, ist eben genau eine dieser Wirtshaus-Schunkel-Nummern, an der
sich danach auf Jahrzehnte viele abgearbeitet haben. Heute tut es mir im
Herzen weh, wie von Oliver Pocher bis zu Franz K. derzeit viele – in
Anführungszeichen gesprochen – Künstler, den Song „Three Lions“
pervertieren.
Aber das ist einer der besten Fußballsongs!
Ja, das ist ’n Supersong, definitiv. Aber der Bauplan dieses Songs, die Art
des Sounds, wird seit Jahren, gerade in Deutschland, auf das
Fürchterlichste nachgebaut. Dabei hat das Lied der Lightning Seeds in
seiner Originalversion einen hintersinnigen, melancholischen Text.
Welches sind für Sie noch schöne Fußballsongs?
Neben „Three Lions“ hat zum Beispiel der Sänger von Madness, Graham
McPherson alias Suggs, für den FC Chelsea dieses tolle „Blue Day“
geschrieben. New Order mit „World in Motion“ fand ich gut. Oder Del Amitri:
Die Schottische Rockband hat ihrer Nationalmannschaft vor der WM 1998 das
wunderbare „Don’t come home too soon“ geschrieben.
Sprechen wir über Ihre eigenen Hits. Superpunk, die Vorläuferband der Liga,
gehörte zu den besten deutschsprachigen Bands der letzten 20 Jahre …
… wenn Sie das sagen, vielen Dank …
… und sind dennoch einigermaßen erfolglos geblieben. Warum?
Aus meiner Sicht war Superpunk eine großartige, erfolgreiche Band.
Aber nicht, was den Bekanntheitsgrad oder den kommerziellen Erfolg
anbetrifft.
Der kommerzielle Erfolg war sicher nicht so, dass wir unsere Kinder und
Kindeskinder noch davon ernähren könnten. Aber wir haben alles erlebt und
getan: Wir haben auf Festivalbühnen gespielt, und wir haben ein paar Songs
gehabt, über die sich einige Leute, die zu unseren Konzerten kamen, immer
aufs Neue wieder gefreut haben. Es gab Zuschauer, die kamen erst allein,
dann mit ihren Freundinnen und nach ein paar Jahren mit ihren Kindern zum
Konzert. Das ist doch auch eine Form von Erfolg, oder?
Gerade deshalb wunderte man sich, dass Sie nie so richtig durchstarteten.
Was will man machen? Wir haben fünf Studioalben, ein Live-Album, einen
Film, eine Best-of-Scheibe und eine Abschiedstour gemacht. Mehr geht nicht.
Gerade diese Abschiedstour hat uns noch mal gezeigt, dass es da eine
kleine, feine Schar von Leuten gibt, die uns unglaublich geschätzt haben.
Die Liga klingt ähnlich wie Superpunk. Besteht die Gefahr, dass man
kommerziell wieder nicht erfolgreich sein wird?
Die erste Regel beim Musikmachen lautet für mich, nicht über Erfolg
nachzudenken. Das setzt eine Band enorm unter Druck. Denn Erfolg haben zu
müssen, ist schon ein schlechter Ansatz. Bei uns lebt keiner von der Band.
Andere deutsche Bands, auch aus dem so genannten Indie-Bereich, sind
Unternehmen. Wir bei der Liga haben alle unsere Dayjobs. Und wir zahlen bei
der Musik nicht drauf. Auch ein Erfolg: Denn es gibt eine Menge Bands, die
können nicht mal mehr auf Tour gehen, ohne zuzuschießen.
Bei vielen deutschen Bands hat man das Gefühl, da ist was Bleiernes,
Schweres in deren Musik. Bei Ihnen ist dagegen viel Leichtigkeit, auch in
den Texten.
Dieses Verquaste, diese verkrampfte, oft nur vermeintliche Doppelbödigkeit,
die man bei vielen deutschen Bands findet, umschifft Carsten in seinen
Texten. Mir persönlich bedeuten die Texte von ihm ziemlich viel. Nehmen Sie
zum Beispiel: „Es gibt nur ein Leben / deshalb weigere ich mich
aufzugeben.“ Oder in einem anderen Song singt er: „Ja, ich bereue alles.“
Nicht wie bei Edith Piaf: „Je ne regrette rien.“ Carsten erzählt auch
einfach spannende Geschichten oder nimmt sich Biografien von
Persönlichkeiten an und macht daraus einen Text.
Gibt es einen Spieler, dem Sie gerne mal einen Song widmen würden?
Wollen Sie etwa die Saufstories von George Best vertont haben oder die
traurige Geschichte des HSV-Spielers Asbjörn Halvorsen? Ich weiß nicht.
Fußballer sind Fußballer, die werden heute von den Medien zu historischen
Gestalten hochgejazzt, aber am Ende gibt es in anderen kulturellen
Bereichen viel interessantere Menschen. Und Kopfballungeheuer Horst
Hrubesch hat die Liga indirekt im Song „Nimm mich mit zum Spiel“ bereits
untergebracht.
Ich würde gern noch über den Berliner Fußball sprechen. Warum tun sich
gerade Zugezogene hier so schwer mit den ansässigen großen Vereinen?
Es trägt jeder offenbar schon seinen Verein im Herzen hierher. Und Berlin
war lange Zeit keine richtige Fußballstadt – zumindest, was den
Bundesligafußball angeht. In München, Hamburg oder Bremen ist die
Wahrnehmung der Profilklubs insgesamt viel größer, weil die Städte kleiner,
aber die Vereine erfolgreicher sind.
Dennoch könnten diejenigen, die schon ein bisschen länger hier leben, doch
zumindest eine Sympathie für die Hertha entwickeln.
Für die Zugezogenen in Mitte und Friedrichshain ist es dieser Verein im
Westend, da ist man schon mal lang unterwegs. Dazu kommt, dass Hertha lange
Zeit nicht so attraktiven Fußball gespielt hat. Sie waren in den
Bundesliga-Skandal verwickelt, zuletzt gab es zwei Abstiege. Und weil die
Titel ausblieben, hat der Verein auch nicht diese Strahlkraft wie in
München die Bayern oder in Bremen Werder. Dennoch: Was da fanmäßig abgeht,
ist echt der Hammer, wenn die sich sportlich konsolidieren, kann das ein
interessanter Klub werden. Sie haben nun einen privaten Investor gefunden –
vielleicht etablieren sie sich mittelfristig in der Bundesliga.
Haben Sie denn eigentlich selbst auch mal Fußball gespielt – oder spielen
Sie noch regelmäßig?
Meine fußballerische Karriere begann in einem Jugendteam der
Spielvereinigung Aurich. Mit 17 Jahren wurde ich dann von einem Dorfverein
mit heißen Würstchen und Schnaps zum Wechseln genötigt. Meine größten
sportlichen Erfolge: ein Probetraining bei der Landesauswahl Niedersachen
in Barsinghausen in der C-Jugend – und später das entscheidende Tor für den
TuS Westerende in der Nachspielzeit des Pokalspiels gegen Ostfrisia
Moordorf. Heute bin ich nur noch selten aktiv: Zwei Bänderrisse im Jahr
2009 im Bolzkäfig an der Fröbelstraße haben meinen Willen zum Kicken ein
bisschen eingeschränkt.
Herr Jürgens, warum wird Deutschland nicht Weltmeister werden?
Weil das DFB-Team derzeit so schlecht geredet wird, dass es bestimmt weit
kommen wird, am Ende dann aber fairerweise akzeptieren muss, dass ein
südamerikanisches Team doch noch ein kleines bisschen besser war.
9 Jun 2014
## AUTOREN
Jens Uthoff
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