# taz.de -- Streit um Klassikfestival in Ostfriesland: Vernichtungssonaten | |
> Eine Musikerfamilie investiert jahrelang in einen Klassiksommer. Es kommt | |
> zum Streit mit den staatlichen Förderern – und zum Gerichtsprozess. | |
Bild: Julia Marie König und Iwan König am Klavier im Konzertsommer 2013. Iwan… | |
AURICH/HAMBURG taz | Kennen Sie den? Treffen sich zwei Ostfriesen zum | |
Geigespielen. Sagt der Eine: „Morgen spiele ich alleine. Dann hört das | |
Publikum nur noch mir zu.“ Doch als er am nächsten Tag die Bühne betritt, | |
steht der andere Ostfriese schon längst dort und spielt selbst. Also | |
beginnt auch er zu fiedeln, so laut er kann – bis niemand mehr die Melodie | |
des anderen versteht. | |
Die Pointe fehlt? Wolfram König trägt seinen Geigenkasten in den | |
Gerichtssaal. Wie dieser Witz ausgeht, entscheiden die Richter. | |
Vor 30 Jahren gründete Wolfram König ein Kammermusikfestival und nannte es | |
„Musikalischer Sommer in Ostfriesland“, so fing es an. Mehr als 100 Musiker | |
spielten Jahr für Jahr in jenen beschaulichen Nordseeküstenstädtchen, die | |
Emden heißen oder Aurich. Konzerte in Parks, Burgen und Kirchen. Das | |
Festival wuchs, auf 10.000 Zuhörer, Sommer für Sommer. Bis vor drei Jahren. | |
Bis zur „feindlichen Übernahme“, wie König sie nennt, obwohl man es auch | |
eine „freundliche Übernahme“ nennen könnte – von langjährigen | |
Unterstützern. | |
In den neunziger Jahren hatte König den Staat gebeten, ihm zu helfen. Die | |
Behörde, deren Aufgabe es ist, Kultur an der Küste zu fördern, ist die | |
Ostfriesische Landschaft – ein höherer Kommunalverband aus den Landkreisen | |
Aurich, Leer und Wittmund sowie der Stadt Emden. In ihrem roten Haus, unter | |
spitzen Giebeldächern, saß König mit den Herren der Landschaft zusammen und | |
sie tranken Tee mit einem Schuss Sahne. | |
Fortan wollten sie die Aufgaben teilen: König kümmert sich um die Geiger | |
und Pianisten, die Behörde um das Geld von Sponsoren und Spendern. Sie | |
gaben sich die Hand darauf, so wie sie es hier immer tun. | |
## Kosten von 1,1 Millionen Euro | |
Die Jahre vergingen und bald kümmerten sich mehrere Mitarbeiter fast | |
ausschließlich um das wachsende Event: Dirk Lübben und seine | |
Lebensgefährtin, zum Beispiel. Man kennt sich ja in Ostfriesland. | |
Doch als Lübben im März 2011 dem Kulturausschuss der Ostfriesischen | |
Landschaft vom Musikalischen Sommer berichtet, kommt es zum Streit. Das | |
Festival sei zu teuer: Mehr als 1,1 Millionen Euro habe es in den | |
vergangenen Jahren gekostet, kritisiert ein Landschaftsrat, und damit seien | |
die Mitarbeiter noch nicht entlohnt gewesen. Lübben wehrt sich. Er und der | |
Rat vertreten „unterschiedliche Auffassungen über die finanzielle und | |
personelle Ausstattung des Festivals“, steht anschließend im Protokoll. | |
Wolfram König wundert sich darüber. Die Gagen für die Kammermusiker seien | |
doch gar nicht so hoch. Er lässt sich die Abrechnung des vergangenen Jahres | |
zeigen und wundert sich noch mehr. | |
## Wohin floss das Geld? | |
Er beginnt nach Ungereimtheiten zu suchen. Ein Zahlungseingang vom | |
Fernsehsender NDR fällt ihm auf: 17.500 Euro hat die Ostfriesische | |
Landschaft als Spende verzeichnet, doch im Geschäftsbericht, den er auf der | |
Internetseite des Medienhauses findet, steht ein anderer Betrag: 25.000 | |
Euro. Wohin ist die Differenz geflossen? Bedient sich die Behörde am | |
Spendentopf seines Festivals? König will mehr Bilanzen sehen – „aber es gab | |
keine Reaktion“, sagt er. Vertraglich sei König nämlich, so Vertreter der | |
Landschaft, „einzig für die künstlerische Leitung zuständig“. | |
Ostfriesen begegnen sich mit Starrsinn. Wolfram König fordert die | |
Entlassung von Dirk Lübben und seiner Freundin aus dem Festivalbüro. Als | |
Alternative schlägt er vor: seinen Sohn, Iwan König, und dessen Partnerin. | |
Neues Personal für das Klassikfestival? Die Landschaft reagiert: Der | |
künstlerische Leiter des Festivals, verkündet die Behörde, ist von nun an | |
nicht mehr der Geiger König. Sondern der Pianist Matthias Kirschnereit. | |
Drei Sommer sind seitdem vergangen. Auf Ebbe folgte die Flut. | |
## Es geht um ein Lebenswerk | |
Vielleicht wäre es für König nicht schlimm gewesen, seinen Posten | |
abzugeben. Er ist Musiklehrer, er kann mit Missklängen umgehen. Ihn | |
schmerzen die Lügen. Das Hamburger Landgericht verhandelt an diesem | |
Junitag: sein Lebenswerk. | |
In schwerer Robe sitzt sein Anwalt auf einer Holzbank und sagt: „Die wollen | |
uns vernichten.“ In Ostfriesland gibt es jetzt ein neues Festival. | |
Kammermusik im Sommer, in Parks, Burgen und Kirchen. Es heißt: | |
„Gezeitenkonzerte“. | |
Die Königs haben ein dickes Gutachten anfertigen lassen, von einem | |
Musikwissenschaftler aus Lübeck. Die Klavierabende und die Weltmusik, die | |
Barockkonzerte und der Erlebnistag – in Tabellen listet der Professor auf, | |
welche Festivalelemente die Ostfriesische Landschaft mit ihren | |
Gezeitenkonzerten vom Musikalischen Sommer übernommen haben. | |
Er hat gegen die Gezeitenkonzerte geklagt. Er will zumindest Schadenersatz. | |
Denn die Sponsoren von damals überweisen nach wie vor Dirk Lübben und | |
seinem Festivalbüro ihr Geld. „Wir setzen die Zusammenarbeit mit der | |
Ostfriesischen Landschaft im vierten Jahr in Folge fort und sehen den | |
Gezeitenkonzerten mit Matthias Kirschnereit erwartungsfroh entgegen“, | |
schreibt die Statoil Deutschland GmbH im Jahr 2012 auf ihrer Homepage. | |
Dabei war der Ölkonzern noch bis 2011 der Hauptförderer des Musikalischen | |
Sommers. | |
## Sponsoren sind abgewandert | |
Zu diesem Gerichtstermin ist Wolfram König aus Wien angereist. Dort lebt er | |
jetzt. Sein Sohn Iwan sieht ihm ähnlich, auch wenn dessen Haar dunkel ist | |
und seins schon schlohweiß: die blauen Augen, das spitze Kinn. Iwan König | |
ist jetzt ebenfalls künstlerischer Leiter – in Stellvertretung. Den | |
„Musikalischen Sommer in Ostfriesland“ organisieren er und seine Freundin | |
nun trotzdem selbst. In Parks, Burgen und Kirchen. Parallel zu den | |
Gezeitenkonzerten. | |
Auch wenn die „Freunde des Musikalischen Sommers in Ostfriesland“ jetzt der | |
„Freundeskreis der Gezeitenkonzerte“ sind. Auch wenn statt der | |
Geldinstitute, die früher Königs Kammermusik bezahlt haben, heute nur noch | |
das Sanitätshaus Moormerland Geld spendet oder die Firma Thiele Tee aus | |
Aurich. Herr Thiele ist einer der Ostfriesen, die ihre Spenden unter den | |
beiden Konzertreihen aufteilen, die in seiner Region konkurrieren. | |
Die Behörde hat längst zurückgeklagt. Der Landschaftsdirektor, der die neue | |
Kammermusik für Ostfriesland veranlasste, ist eigentlich kein Mann, der | |
sich viel mit Violinen beschäftigt. Rolf Bärenfänger ist Archäologe. Seinen | |
Anwalt lässt er jetzt nach Fundstücken im Internet graben. Wegen verletzter | |
Fotorechte will die Behörde jetzt Schadensersatz von den Königs. | |
Zwei Ostfriesen können sich nicht vertragen und liefern sich stattdessen | |
ein Wettrüsten der Klaviermusik. Keine schlechte Komödie, gäbe es da nicht | |
eine bittere Note: Auf der einen Seite kämpft eine Künstlerfamilie mit | |
ihrem privaten Vermögen. Auf der anderen Seite der Staat. | |
## Einstweilige Verfügung erwirkt | |
Die Ostfriesische Landschaft gab es schon, als der Norden weder Kommunen | |
kannte noch deren Kulturetat. In ihrem historischen Ständesaal debattierten | |
früher Ritter, Bürgern und Bauern. Mit der Zeit verschwanden die Ritter, | |
die Behörde aber blieb. Heute überweisen ihr die umliegenden Gemeinden | |
Steuergelder, damit sie Denkmäler schützt und Kulturschaffende fördert. Im | |
Moment landet ein beträchtlicher Teil dieser Summe auf dem Konto einer | |
Oldenburger Anwaltskanzlei. | |
Gegen die Vermutung der Königs, die Landschaftsmitarbeiter hätten | |
Sponsorengelder für den Sommer in die eigene Tasche abgezweigt, erwirkte | |
der Anwalt eine einstweilige Verfügung: Öffentlich dürfen sie so etwas nun | |
nicht mehr sagen. | |
Wenn Journalisten um einen Einblick in die Finanzen der Behörde bitten, | |
schreibt der Anwalt einen Brief: Man habe „gravierende Zweifel hinsichtlich | |
der Begründetheit der Anfrage“. | |
Auch die Landkreise, von denen die Mittel der Kulturbehörde stammen, können | |
keine Auskunft darüber geben, wie genau die Landschaft sie an kulturelle | |
Einrichtungen verteilt – genauso wenig wie das niedersächsische | |
Kulturministerium, obwohl es bis 2011 allein den Musikalischen Sommer mit | |
bis zu 25.000 Euro im Jahr finanzierte. Wie die Landschaft das Geld | |
verwendete, müsse man sie schon selbst fragen, heißt es von der | |
Landesregierung in Hannover. Königs Vorwürfe von damals lässt sie | |
unkommentiert. | |
In Aurich sitzt Iwan König in der Stube, in der auch der Flügel steht, und | |
legt neben Teestövchen, Kluntje und Sahne die Programmhefte der vergangenen | |
Jahre auf den Tisch. | |
Im Jahr 2012 spielte eine Pianistin Bachs Goldberg-Variationen in der | |
Kirche in Backemoor für seinen Musikalischen Sommer. 2014 spielt ein | |
Pianist eines der Gezeitenkonzerte in der Backemoorer Kirche: die | |
Goldberg-Variationen, nämlich. „Das ist ein Plagiat“, sagt König. | |
„Wir wollten eigentlich versuchen, hier eine Einigung zu finden“, sagt der | |
Hamburger Richter und dreht sein lächelndes Gesicht abwechselnd den Königs | |
zu und dem Behördenanwalt. | |
## Große Namen angefragt | |
Wolfram König hat für dieses Jahr große Namen angefragt. Midori Goto aus | |
Japan, zum Beispiel, für ein Konzert in der Lambertikirche in Aurich. „Eine | |
Weltviolinistin“, sagt er. Das verstehen „kultivierte Leute“. König hat | |
sein Programm dem Kulturministerium in Hannover vorgelegt, in der Hoffnung | |
auf Förderung – so wie in den Jahren vor den Gezeitenkonzerten. | |
Doch auch unterhalb von Ostfriesland hat sich der Wind gedreht: „In den | |
letzten Jahren konnte aufgrund der programmatisch-künstlerischen | |
Ausrichtung des Festivals keine Förderung mehr gewährt werden“, schreibt | |
ihm das Ministerium. Die Behörden-Konzerte erhalten dagegen seit 2012 eben | |
jene 25.000 Euro vom Land, die Königs früher für ihr Festival bekamen. | |
Wolfram König will nicht aufgeben, das hat er sich jetzt in den Kopf | |
gesetzt. Er gibt seine Kammermusik nicht auf – auch dann nicht, wenn ein | |
Urteil fällt. In diesem August wird er seinen Musikalischen Sommer in | |
Ostfriesland zum 30. Mal eröffnen. Das erste Konzert wird auch ein | |
Jubiläumsfest. | |
Die Gezeitenkonzerte haben ihr Eröffnungskonzert 2014 schon hinter sich. In | |
der Volkswagenfabrik in Emden spielte im Juni das erste Ensemble zum | |
Auftakt der Musikreihe und – wie es der Zufall will – gab es auch hier | |
einen Jahrestag zu feiern: Das Auto-Werk wird in diesem Jahr 50. „Typisch“, | |
sagt König. | |
3 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Kristiana Ludwig | |
## TAGS | |
Berlin | |
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