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# taz.de -- Filmstart „Oktober November“: Schwingung bis in die Waldhütte
> Götz Spielmanns Kinofilm „Oktober November“ zeigt vor allem eines: An der
> Wohnungseinrichtung erkennt man, wer fest im Leben steht und wer nicht.
Bild: Nora von Waldstätten in „Oktober November“.
Ein Schauspieler und eine Schauspielerin lästern am Anfang von „Oktober
November“ über ihr aktuelles Engagement bei einem Fernsehkrimi. Er macht
sich keine großen Illusionen über seine Rolle: Die sei reine Staffage, nur
dazu da, sie – den Star der Sendung – heller leuchten zu lassen. Sie
wiederum macht sich lustig über den jungen Regisseur, der immer so laut
„Action“ und „Cut“ brüllt, als sei er in Hollywood.
Götz Spielmanns Nachfolger des Festivalerfolgs „Revanche“ (2008) ließe si…
allerdings – mit nur ein wenig bösem Willen – selber als Fernsehdramolett
in ZDF-20:15-Uhr-Manier nacherzählen: Ein Landarzt in den besten Jahren hat
eine Affäre mit der Tochter des Dorfgastwirts. Deren Schwester wiederum ist
erfolgreiche Schauspielerin in der großen Stadt, weiß aber zwischen ihren
ganzen Rollen gar nicht mehr, wer sie wirklich ist.
Selbstbestätigung suchend, lässt sie sich mit verheirateten Männern ein. Da
ihr Vater, ein Patriarch alter Schule, Herzprobleme hat, kommt die Diva auf
Besuch in ihr Heimatdorf in idyllischer Alpenumgebung. Die unterschwelligen
Konflikte in der Familie brechen auf, und ein großes Geheimnis wird
gelüftet.
Natürlich ist „Oktober November“ keine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung, man
muss keinen Heimatfilm-Kitsch befürchten, aber er erfindet das
Familiendrama auch nicht neu, wie es die Interviews mit Regisseur und
Schauspielern im Presseheft suggerieren. Der Film habe keinen herkömmlichen
Plot, erzählt Spielmann da. Seine Erzählweise sei „ganz eigen“, ohne
„Regeln und Gewissheiten“. In Wahrheit kann man sich gewiss sein, dass, wer
innerlich erkaltet und labil ist wie TV-Schauspielerin Sonja, in einem
durchdesignten Neubau lebt; während ihr Kollege, der eigentlich am Theater
spielt und natürlich in einer Altbauwohnung lebt, fest im Leben steht. Das
gilt genauso für den von Sebastian Koch gespielten Landarzt, der in
bildungsbürgerlicher Askese in einer Waldhütte sein inneres Pendel
ausgeschwungen hat.
## Seriöses, unfrivoles Familiendrama
Dass am Ende nach einer großen Prüfung alle ein bisschen weiser und
geläuterter in den Alltag zurückkehren, dürfte auch der eher unregelmäßige
Kinogänger schnell ahnen.
Um nicht missverstanden zu werden, „Oktober November“ ist kein schlechter
Film. Er entspricht nur genau so den Anforderungen und Erwartungen an ein
erwachsenes, seriöses, unfrivoles Familiendrama wie der nächste
Superhelden-Film aus Hollywood denen an Popcornunterhaltung.
Spielmanns achter Kinofilm überzeugt vor allem als Schauspielerkino.
Besonders gut ist Ursula Strauss in der Rolle der verantwortungsbewussten
Hausfrau Verena, die anders als ihre Schwester Sonja den Landgasthof, in
dem sie aufgewachsen ist, nie verlassen hat.
Sie spielt ebenso zurückhaltend wie empathisch und bildet den perfekten
Gegenpol zu ihrer glamourösen jüngeren Schwester. Nora von Waldstätten in
der Rolle der Sonja hat die schwierigere Aufgabe, da sie ständig zwischen
verschiedenen Rollen wechseln muss: Schauspielerin vor der Kamera, Star im
öffentlichen Leben und im Kreise der Familie die kleine Schwester, die ihr
Leben lang um die Liebe des Vater gekämpft hat. Was anfangs bemüht und
künstlich wirkt, erschließt sich erst im Laufe der Zeit als facettenreich.
## Wer bin ich? Was will ich?
Sätze wie: „Du bist nicht das, was du denkst“ oder „Kein Mensch weiß, w…
er wirklich ist“ lassen den Zuschauer nie im Unklaren darüber, dass es hier
um die großen Existenzfragen geht: Wer bin ich? Was will ich? Warum gibt es
mich überhaupt? Verschiedene Lebensmodelle mit verschiedenen
Identitätsankern (Arbeit, Familie, Glaube) werden vorgestellt, wirkliche
Antworten können sie am Ende natürlich auch nicht liefern.
Formal wechselt Spielmann gekonnt zwischen lang ausgespielten Szenen und
Ellipsen. Wirklich überraschend ist aber nur der Moment, in denen er die
Pfade des Autorenfilmüblichen verlässt. In einer Szene zeigt er eine
Nahtoderfahrung des Familienpatriarchen gewissermaßen aus der Subjektive
der Seele, die über dem Körper schwebt. Ein irritierendes Erlebnis, das
später selbst der brillante Landarzt nicht erklären kann.
11 Jun 2014
## AUTOREN
Sven von Reden
## TAGS
Film
Film
Polen
Boyhood
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