# taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Darunter macht er's nicht | |
> In seinem Buch schlägt Stefan Aust auf die Behörden ein, die bei | |
> NSU-Ermittlungen versagt haben. Falsche Bescheidenheit ist nicht im | |
> Spiel. | |
Bild: Sichergestellte Tatwaffe der NSU-Terrorgruppe. | |
Am 6. Juli 1993, vor fast 21 Jahren, verschwand der neun Jahre alte Schüler | |
Bernd Beckmann aus Jena. Zwölf Tage später wurde seine Leiche in einem | |
Gebüsch am Ufer der Saale gefunden. Bis heute ist ungeklärt, wer das Kind | |
ermordet hat. Seit wenigen Monaten wird in dem Fall wieder ermittelt. Die | |
Staatsanwaltschaft verfolgt eine alte Spur neu. Sie führt zu Uwe Böhnhardt | |
und dessen früherem Jugendfreund Enrico T., berichtet die | |
Nachrichtenagentur dpa. | |
Der Spezi des NSU-Mörders Böhnhardt ist aber nicht nur im Zusammenhang mit | |
dem Kindsmord verdächtig. Die Bundesanwaltschaft ist davon überzeugt, dass | |
Enrico T. daran beteiligt war, dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ | |
eine Pistole vom Typ „Ceska“ zu beschaffen. Mit dieser Waffe, so die | |
BKA-Ermittlungen, soll Böhnhardt gemeinsam mit seinem Mittäter Uwe Mundlos | |
neun der zehn Morde begangen haben, die dem NSU zugeschrieben werden. | |
Die Umstände des Todes von Bernd Beckmann gehören zu den vielen offenen | |
Fragen, die die Aufarbeitung des NSU-Komplexes hinterlässt. Die | |
dringlichste ist wohl die nach der Rolle der staatlichen Institutionen. | |
Allen voran die Frage, welche Rolle die Verfassungsschutzämter aus Bund und | |
Ländern im rechtsextremen Milieu gespielt haben. So ist schon | |
bemerkenswert, dass genau in dem Moment, in dem das Zwickauer Mördertrio | |
auffliegt, beim Inlandsgeheimdienst massenhaft Akten vernichtet werden. | |
Unterlagen über in der rechtsextremen Szene geführte V-Leute. | |
„Auf dem rechten Auge blind“: Das ist wohl die gängigste Aussage, mit der | |
das Versagen von Polizei und Justiz im Kontext der NSU-Mordserie erklärt | |
wird. Ganz falsch. Das Gegenteil gilt: viel zu nah dran, viel zu | |
verstrickt, viel zu verantwortlich. Das jedenfalls behaupten die Autoren | |
Stefan Aust und Dirk Laabs in ihrem gerade herausgebrachten Buch | |
„Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU“ (Pantheon Verlag). | |
## Ein typisches Aust-Buch | |
„Heimatschutz“ erzählt das „größte rassistische Verbrechen seit dem En… | |
des Nationalsozialismus in Deutschland“, schreibt der emeritierte | |
Politikwissenschaftler Hajo Funke. Zu Recht. Die beiden Autoren beleuchten | |
in der Tat die neue Ordnung der Neo-Nationalsozialisten in Deutschland seit | |
Anfang der neunziger Jahre, den Abgrund an rassistischer Gewalt und | |
kriminellen Verbrechen seit dem Pogrom in Rostock Lichtenhagen. | |
Und vor allem entlarven sie die verheerende Rolle neonazistischer | |
Gewaltverbrecher und Agitatoren in staatlichen Spitzeldiensten von Piatto | |
bis Corelli, von Tino Brandt bis Michael See und ihre gewaltmobilisierende | |
Wirkung. Und die Vernichtung der Unterlagen, die über diese Verstrickungen | |
Auskunft hätten geben können. | |
„Heimatschutz“ ist aber auch ein typisches Aust-Buch, so wie vor | |
Jahrzehnten schon „Der Baader-Meinhof-Komplex“ oder „Mauss – ein deutsc… | |
Agent“. Und wie immer, falsche Bescheidenheit ist nicht im Spiel. Das Fazit | |
der beiden Autoren: „Mit jeder weiteren vernichteten Akte, mit jeder nicht | |
beantworteten Frage, mit jeder neuen Lüge verstrickt sich das Bundesamt für | |
Verfassungsschutz nun weiter in einen Kampf, den es vor über 20 Jahren | |
begonnen hatte – und der Satz des Geheimdienstkoordinators und ehemaligen | |
Vizepräsidenten des BfV, Klaus-Dieter Fritsche, vor dem NSU-Ausschuss hallt | |
mit jedem Tag lauter, schriller, aber auch klarer nach: ’Es dürfen keine | |
Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln | |
unterminieren.‘“ | |
Darunter machen es Aust und Laab leider nicht. Schade. „Heimatschutz“ ist | |
eine ordentliche Erzählung. Mit etwas mehr Abstand hätte es eine | |
hervorragende werden können. | |
21 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Gast | |
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