Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nachrichten von 1914 – 30. Juni: Die Untersuchung in Sarajewo
> Nach dem Attentat auf das österreichische Thronfolgerpaar deutet vieles
> auf eine größere Verschwörung hin. Mehrere Verdächtige wurden bereits
> verhaftet.
Bild: Gavrilo Princip (2.v.r) wird am 28.06.1914 in Sarajevo nach seinem Attent…
Sarajewo, 29. Juni.
Die Leichen des Erzherzogs Franz Ferdinand und der Herzogin von Hohenberg
sind heute abend nach dem Bahnhofe überführt worden, um über Metkorint nach
Wien gebracht zu werden. Die Überführung gestaltete sich zu einer
gewaltigen Trauerkundgebung der Bevölkerung. Um 6 Uhr abends rückten die
Truppen, die das Spalier zu bilden hatten, vor dem [1][Konak] auf. Den
Kondukt führte der Kommandant des 15. Armeekorps Freiherr v. Appel. In den
Straßen, die der Zug passierte, war ein dichtes Militärspalier gestellt,
hinter dem sich viele Tausende, hauptsächlich Frauen aus dem Volke,
aufgestellt hatten.
Die Leichen waren in dem schwarz verhängten und mit Blattpflanzen
geschmückten Salon des Konaks in prunkvoller Weise aufgebahrt worden. Neben
den Särgen hielten Offiziere verschiedener Waffengattungen und
Leibgardisten die Ehrenwache. An den Wänden war eine ungeheure Menge von
Kränzen aufgestellt. Um 6 Uhr erschien Erzbischof Stadler mit großer
Assistenz und nahm die Einsegnung der Leichen vor.
Hierauf wurden beide Särge von Offizieren zu den bereitgestellten
Leichenwagen gebracht. Unter dem Geläut der Glocken setzte sich der
Trauerzug zum Bahnhof in Bewegung. An der Spitze ritt der
Konduktkommandant, Freiherr v. Appel, in langsamem Schritt folgten drei
bosnische Infanteriebataillone, dann ein gemeinsames Infanteriebataillon,
eine [2][Eskadron] Kavallerie, hierauf die Garnisonsmusik.
Ein weiteres Bataillon Infanterie ritt dem Kranzwagen vor. Dann folgten die
beiden Leichenwagen, flankiert von Offizieren der Leibgardeinfanterie.
Hinter dem Leichenwagen schritt die Geistlichkeit mit dem Erzbischof
Stadler an der Spitze. Dann folgte der Hofstaat des Erzherzogs, an der
Spitze Obersthofmeister Baron Rummerskirch und Flügeladjutant Oberst Dr.
Bardolf sowie Landeschef Potiorel mit den obersten Behörden.
Eine unabsehbare Menge von Offizieren, Beamten der Landesregierung sowie
Infanterie- und Kavallerieabteilungen bildeten den Schluss. Zwischen dem
stummen Spalier der Truppen und Zuschauer nahm der Zug seinen Weg bis zu
dem einen Kilometer entfernt liegenden Bahnhof (Biftris). Auf dem Bahnhofe
stand der Hofsonderzug bereit, in den ein Leichenwagen eingestellt war. Die
beiden Särge wurden von dem Prunkwagen gehoben, und Erzbischof Stadler nahm
nochmals eine Einsegnung vor.
Hierauf wurden die Särge einwaggoniert, und der Zug setzte sich langsam in
Bewegung. Von den Festungswerken donnerten die Salven der Geschütze den
Toten den Abschiedsgruß. Die Mannschaften, die vor dem Bahnhofe Aufstellung
genommen hatten, gaben Generaldecharge ab. Der Sonderzug führt die Leichen
bis nach Metkowich. Dort werden die Leichen auf das Kriegsschiff „Viribus
Unitis“ gebracht und über Triest nach Wien geführt.
##
Budapest, 29. Juni.
Die Behörden entwickeln, wie aus Sarajewo gemeldet wird, in der
Untersuchung über das Attentat eine außerordentliche Energie. Nach den
bisherigen Ergebnissen der Untersuchung ist es als gewiss anzunehmen, das
die Fäden der Verschwörung – denn um eine bis ins Einzelne organisierte
Verschwörung handelt es sich zweifellos – nach Serbien hinüberleiten. Die
bisher vorgenommenen zahlreichen Verhaftungen und Hausdurchsuchungen
bestätigten diesen Verdacht der Behörde. Ein grelles Licht auf die Zustände
werfen Gerüchte von der bevorstehenden Verhaftung des Landtags- und
Vizepräsidenten des serbischen Stuhl- und Verwaltungsrates, des Spiritus
rektor der gesamten serbischen politischen und nationalen Bewegung in
Bosnien, Origorje Jeftanowitsch, der auf Grund seiner Stellung auch Sitz
und Stimme im Landtag hatte.
Die Persönlichkeit Jeftanowitschs hat in serbischen Kreisen Bosniens und
der Herzegowina überragende Bedeutung. Jeftanowitsch, einer der reichsten
Männer Bosniens, gilt als eifriger Förderer aller
serbisch-nationalistischer Bestrebungen und war vor der Annexion das Haupt
jener Partei unter den Serben, die antidynastische Bestrebungen verfolgten.
Sein Schwiegersohn ist der frühere Sektionschef im serbischen Ministerium
des Äußeren und späterer Gesandte in Sofia, Dr. Spalaikowitsch, der während
seiner Tätigkeit im Ministerium des Äußeren als Leiter der großserbischen
Agitation in den südslawischen Ländern Österreich-Ungarns galt.
Spalaikowitsch spielte auch in dem Prozeß eine große Rolle, den seinerzeit
die serbischen Nationalisten gegen den Historiker Dr. Friedjung angestrengt
hatten, und bei dem Spalaikowitsch als Kronzeuge durch Entlastung der
serbo-kroatischen Koalition auftrat. Auch sonst unterhielt Jeftanowitsch
mit fast allen bedeutenden Persönlichkeiten Serbiens eine äußerst rege
Verbindung. Seit der Annexion hat sich Jeftanowitsch ein wenig von der
Öffentlichkeit zurückgezogen. Man beschuldigt ihn aber, dass er mehr im
Geheimen weitergearbeitet habe. Jeftanowitsch ist auch Eigentümer des
Hotels „Europa“, gegen das sich bekanntlich die Wut der nichtserbischen
Bevölkerung Sarajewos in erster Reihe gewendet hat.
fg. Sarajewo, 29. Juni
In Rewefinje wurde der Führer der serbischen Rarodgruppe, Athanasius Sola,
Abgeordneter und Mitglied des bosnischen Landtags, unter dem Verdacht der
Teilnahme an der Verschwörung gegen den Thronfolger verhaftet.
Sarajewo, 29. Juni (W. L. B.)
Außer den beiden Attentätern wurden sogleich auch einige der Mitschuld
verdächtige Personen verhaftet. Die bisherigen Erhebungen ergaben, dass
beide Täter Landesangehörige und serbisch-orthodoxen Glaubens sind.
Gabrinowitsch gestand, vor kurzer Zeit in Belgrad gewesen zu sein, wo er
Bomben zu dem ausdrücklichen Zweck eines Attentates auf den Erzherzog
erhalten habe. Der zweite Täter gestand, er habe seit seiner Rückkehr aus
Belgrad den Vorsatz gehabt, eine hochstehende Person zu erschießen, um
dadurch die serbische Nation für die angebliche Unterdrückung zu rächen.
Bei der Ausführung des Attentats habe er sich absichtlich zwischen zwei
bekannte Studenten gestellt, von welchen er gewusst habe, dass sie noch
nicht verdächtig waren. Von dem Bombenattentat Gabrinowitschs habe er
nichts gewusst. Wegen der Überraschung über das Bombenattentat sei er nicht
schussfertig gewesen, als der Erzherzog das erste Mal vorbeigefahren sei.
##
Teilnahme Kaiser Wilhelms an den Beisetzungsfeierlichkeiten.
Sowohl der amtliche „Reichsanzeiger“, wie die offiziöse „Norddeutsche
Allgemeine Zeitung“ widmen dem ermordeten Thronfolger und seiner Gemahlin
herzliche Nachrufe. Der „Reichsanzeiger“ schreibt über die Bluttat von
Sarajewo:
„Worte können dem Abscheu, der Empörung, dem Entsetzen nicht gerecht
werden, womit die Kunde von dieser Gräueltat in Deutschland aufgenommen
wird. Unschätzbare Werte sind zerstört durch das fluchwürdige Verbrechen,
das den Thronerben der habsburgischen Monarchie und an seiner Seite die
edle, bis zum letzten Atemzuge tapfere Frau jäh aus dem Leben gerissen hat.
Tiefes Weh ist in dem Unglück des verbündeten Kaiserstaates auch dem
Deutschen Reiche widerfahren. Seine Majestät der Kaiser und König verliert
einen wahren, noch in den Tagen des jüngsten Besuches in Konopischt mit
herzlicher Zuneigung begrüßten Freund. Unser erstes, innigstes Gedenken
wendet sich bei diesem schweren Schicksalsschlag dem ehrwürdigen, durch
Leid geheiligten Kaiser und König Franz Joseph zu, und treue Segenswünsche
gelten dem jungen Fürsten, dem das Los zugefallen ist, unter so
erschütternden Umständen in die Rechte und Pflichten des Thronfolgers der
Donaumonarchie einzutreten.“
In dem Artikel, den die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ an der Spitze
ihrer gestrigen Ausgabe bringt, heißt es:
Erzherzog Franz Ferdinand ist mit unserem Kaiser in herzoglicher
gegenseitiger Neigung verbunden gewesen, die fest gegründet war in der
Besinnung rückhaltlosester Bundestreue. Die Herzogin erfreute sich, wie
allgemein bekannt ist, am Berliner Hofe lebhafter Sympathien, und der
Kaiser ist ihr stets mit der achtungsvollen Ritterlichkeit begegnet. So
wird unser Kaiserhaus von dem Heimgang des Erzherzogs und seiner Gemahlin
aufs schmerzlichste getroffen. Wärmstes Mitleid wendet sich den drei
Fürstenkindern zu, die so früh und so jammervoll verwaist sind.
Unaussprechlich aber ist die Teilnahme mit dem leidgeprüften Herrscher auf
Österreich-Ungarns Thron, dem auf dieser Erde wahrlich kein erdenklicher
Schlag erspart geblieben ist. Mögen die höheren Mächte, die so Schweres
über den Kaiser Franz Joseph verhängt haben, ihm auch fernerhin die Kraft
zum Tragen verleihen. Was aber auch die Mörder in Sarajewo zu ihrer Tat
getrieben haben mag, der gewaltige und ehrwürdige Bau des habsburgischen
Reiches wird durch solchen Frevel nicht erschüttert. Die Völker, die unter
dem Doppeladler zur Größe und zum Gedeihen gelangt sind, werden sich nur
fester um ihren Kaiser und König zusammenschließen!“
Offiziös wird ferner bekannt gegeben, dass Kaiser Wilhelm sich zu den
Beisetzungsfeierlichkeiten für den ermordeten Erzherzog-Thronfolger nach
Wien begeben wird.
Quelle: Berliner Tagblatt, Telegramme unserer Korrespondenten
30 Jun 2014
## LINKS
[1] http://www.duden.de/suchen/dudenonline/Konak
[2] http://www.duden.de/suchen/dudenonline/Eskadron
## TAGS
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
Sarajevo
Attentat
aera
1914
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
Sarajevo
aera
aera
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
aera
Sarajevo
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachrichten von 1914 – 5. Juli: Kaiser Franz Josef über die Mordtat
Der Tod seines Neffen und Thronfolgers hat Kaiser Franz Josef schwer
getroffen. Doch die Zuneigung der Bevölkerung lindert seinen Schmerz.
Nachrichten von 1914 – 4. Juli: Berliner Asphalt bei 54 Grad
Die Straßenbeläge in Berlin leiden unter der direkten Sonneneinstrahlung.
In mancher Wohnstraße werden Pferdehufe und Wagenräder ihre Spuren
hinterlassen.
Nachrichten von 1914 – 3. Juli: Deutsche und italienische Küche
Hierzulande tun viele der italienischen Küche unrecht, wenn sie sie mit
Zwiebel- und Knoblauchgenuss gleichsetzen. Ein Kochbuch will das ändern.
Nachrichten von 1914 – 2. Juli: Folgen des Sarajewoer Attentats
Österreich-Ungarn ist ein kranker Staat, der nur durch die Autorität eines
84-jährigen Kaisers zusammengehalten wird. Die Krise kann einen Weltkrieg
auslösen.
Nachrichten von 1914 – 1. Juli: Sarajewo nach der Bluttat
Nach dem Attentat herrscht in Sarajewo gespannte Ruhe. Dagegen kam es in
der Provinz zu anti-serbischen Kundgebungen.
Nachrichten von 1914 – 29. Juni: Wie sie starben
Nach dem tödlichen Attentat hat die Obduktion ergeben, dass beide verblutet
sind. Die letzten Worte des Erzherzogs galten seinen Kindern.
Nachrichten von 1914 – 28. Juni: „Die großserbische Bluttat“
Ein historischer Zeitungsbericht: „Das Attentat von Sarajewo hat gezeigt,
wie gefährlich der großserbische Nationalismus ist. Es gilt, einen
Weltkrieg zu verhindern.“
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.