# taz.de -- Abhöraffäre in Polen: Der letzte Akt im Weichselgate | |
> Die Abhöraffäre fällt auf die Presse zurück: Hat sich die polnische | |
> Illustrierte „Wprost“ zum politischen Handlanger gemacht? | |
Bild: 2003: „Wprost“-Cover mit Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der… | |
WARSCHAU taz | Für die meisten Polen war es ein Schock. Gerade erst hatten | |
sie 25 Jahre Freiheit gefeiert und wenig später ein großes Mahnmal | |
gegenüber der einst allmächtigen Zensurbehörde in Warschau enthüllt, als | |
sie im Privatsender TVN24 mitverfolgen konnten, wie Staatsanwälte und | |
Geheimdienstler vom Chefredakteur der Zeitschrift Wprost die Herausgabe | |
einer Audiodatei forderten. Der Tumult in der Redaktion war ungeheuer. Viel | |
zu viele Kameramänner drängten sich in den engen Fluren und nahmen | |
verwackelte Bilder auf. Journalisten schrien „Skandal“ und „Verletzung der | |
Pressefreiheit“, andere telefonierten ununterbrochen und verschickten | |
Kurznachrichten. | |
Zunächst solidarisierten sich alle mit der Redaktion. Sicher war es illegal | |
gewesen, über Monate hinweg Privatgespräche polnischer Politiker, Banker | |
und Geschäftsleute in verschiedenen Warschauer Restaurants und Kneipen | |
mitzuschneiden. Doch ihre Publikation würde Korruption und Machtmissbrauch | |
aufdecken, glaubten viele. Und hielten zu Wprost-Chefredakteur Sylwester | |
Latkowski, der sich vor laufender Kamera wild schreiend und gestikulierend | |
weigerte, seinen Laptop und einen USB-Sticks herauszugeben, auf dem die | |
Audiodateien gesichert waren. Geheimdienstler und Staatsanwälten mussten | |
die Redaktion mit leeren Händen verlassen. Das gab Applaus. | |
In den Tagen darauf begann sich das Karussell der Pressekonferenzen immer | |
schneller zu drehen. Der Generalstaatsanwalt wollte die Aktion erklären, | |
der Justizminister fand sie unangemessen, die Oppositionsparteien meldeten | |
sich mehrmals täglich zu Wort, gossen Öl ins Feuer und forderten den | |
freiwilligen Rücktritt der angeblich diskreditierten Regierung. Und der | |
polnische Staatspräsident Bronislaw Komorowski sprach vage von Neuwahlen, | |
über die aber das Parlament entscheiden müsse. | |
Das Wort elektrisierte viele Journalisten, obwohl kaum ein Politiker – | |
weder von der Regierungskoalition noch von der Opposition – Interesse daran | |
hatte, wie sie in Interviews immer wieder deutlich machten. Und während in | |
der englischen Presse schon der Ausdruck „Weichselgate“ die Runde mache, | |
verglich ein deutscher Journalist den Abhörskandal mit der Spiegel-Affäre | |
von 1962. | |
Die in voller Länge im Fernsehen übertragene Pressekonferenz des | |
liberalkonservativen Premiers Donald Tusk aber führte vor Augen, dass es | |
noch eine andere Perspektive gab. Kühl analysiert, hatte keiner der illegal | |
abgehörten Politiker, Banker und Geschäftsleute etwas Rechtswidriges gesagt | |
oder getan. Selbst Notenbankchef Marek Belka nicht, dem vorgeworfen worden | |
war, er hätte mit Zinserleichterungen für die Wiederwahl der | |
liberalkonservativen Regierung sorgen wollen. Erst beim Abhören des | |
gesamten Gesprächs wurde klar, dass es sich um einen geldpolitischen | |
Minivortrag für den Innenminister handelte. | |
## Aufnahmen mit Sensationscharakter | |
Nachdem die Regierung nun auch die Vertrauensfrage überstanden hat, | |
gewinnen die Gespräche anderen Sensationscharakter – vor allem wegen der | |
Herkunft der Aufnahmen. Schon in der Pressekonferenz hatte Tusk Fragen | |
gestellt, die zu allererst die Journalisten von Wprost hätten ausräumen | |
müssen: „Wer ist der Auftraggeber? Warum hat er die Regierungspolitiker und | |
ihre Gesprächspartner über Monate hinweg bespitzeln lassen? Warum will er, | |
dass die Aufnahmen jetzt publiziert werden? Warum hat er ausgerechnet die | |
Zeitschrift Wprost ausgewählt?“ | |
Als herauskam, dass die vier bislang verhafteten Verdächtigen – zwei | |
Kellner und zwei Unternehmer als Auftraggeber der Abhöraktion – Kontakte | |
nach Russland oder zu Russen hatten, begannen in Polen wilde | |
Verschwörungstheorien zu kursieren. Könnte womöglich der russische | |
Geheimdienst hinter der Abhöraktion stehen? Um ganz bewusst den polnischen | |
Staat zu destabilisieren? Um Polen in der EU und den USA zu diskreditieren? | |
Die bisherigen Ermittlungsergebnisse stützen dies nicht. Vielmehr deutet | |
alles darauf hin, als sei die Aktion ein privater Rachefeldzug für ein | |
verhindertes Kohlegeschäft in zwei- oder sogar dreifacher Millionenhöhe | |
gewesen. Marek Falenta und Krzysztof Rybka, die Miteigentümer der Firma | |
Sklady Wegla (Kohlenhalde), zahlten den beiden Kellnern anscheinend rund | |
30.000 Euro für ihre Dienste. Beide behaupten, unschuldig zu sein. Die | |
Kellner hingegen sind geständig. | |
## Weitere illegal abgehörten Gespräche | |
Die Zeitschrift Wprost, gegründet 1982, war in den ersten zehn bis 15 | |
Jahren ein angesehenes Nachrichtenmagazin, wandelte sich später zu einem | |
rechten, politischen Boulevardblatt, verlor aber dennoch massiv an Auflage. | |
Im März verkaufte die Illustrierte nur noch knapp 50.000 Exemplare. Die | |
beiden „Skandalnummern“ hingegen – so die Auskunft des Verlages – fanden | |
150.000 und 300.000 Käufer. Wprost will in den kommenden Wochen auch die | |
weiteren illegal abgehörten Gespräche veröffentlichen. Dabei ist inzwischen | |
klar, dass die „Sensationen“ nicht inhaltlicher Natur sind. Was schockiert, | |
ist die derb-vulgäre Sprache, in der hochrangige Staatsbeamten sich | |
unterhalten, die Bordellwitze und die peinlich antisemitischen Anspielungen | |
auf Exfinanzminister Jacek Rostowski. | |
Tomasz Lis, der Chefredakteur von Newsweek Polska, warf der | |
Wprost-Redaktion vor, ihre „Enthüllungen“ hätten rein gar nichts mit der | |
Freiheit der Presse zu tun. Statt gut zu recherchieren, machten sie sich zu | |
Stenotypisten illegal abgehörter Politikergespräche. Mit der | |
Watergate-Affäre habe das absolut nichts gemein, eher schon mit dem | |
Abhörskandal des englischen Boulevardblattes News of the World. Als aufkam, | |
dass deren Journalisten die Smartphones von Prominenten und Politikern | |
gehackt hatten, ließ Herausgeber Rupert Murdock das Blatt schließen. Auch | |
andere Journalisten sehen in Wprost nun nur noch den Handlanger von | |
Kriminellen. Ob das Blatt den Skandal überlebt, ist offen. | |
27 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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