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# taz.de -- WM-Kolumne Ordem e Progresso: Allianz der Volksverdummer
> Brasiliens TV-Sender bieten den Zuschauern Dauergerede, nackte Tatsachen
> und den Weg zu Gott. Fußballexperte Ronaldo macht dabei keine gute Figur.
Bild: Lustiger Fremdkörper im TV: Brasiliens ehemaliger Fußballstar Ronaldo.
Man kann ja nicht immer im Stadion sein oder in Kneipen, um sich
Fußballspiele anzuschauen. Manchmal gucken wir die Kicks auch im
brasilianischen Fernsehen an, auf Rede Globo, Kanal 11. Was gleich
auffällt: Die Kommentatoren quatschen alles zu. Es gibt keine Sekunde, in
der nicht geredet wird. Manchmal schalten wir den Ton ab.
Nur wenn Ronaldo in der Pause oder nach dem Spiel als Experte auftritt,
drehen wir auf laut, weil Ronaldo so lustig ist: Das Dickerchen wurde von
den Fernsehleuten in einen Anzug gesteckt, der wie ein Körperpanzer wirkt.
Ronaldo weiß nicht, wohin mit seinen Armen, und wenn er spricht, kriegt er
die Zähne nicht auseinander. Was für ein Genuschel! Das Unwohlsein dringt
ihm aus jeder Pore, weswegen er manchmal auch plötzlich verschwunden ist
und von einem eloquenteren Experten ersetzt wird. Der arme Ronaldo, denken
wir, was ist nur aus ihm geworden. Als Fernsehfaktotum muss er sein Dasein
fristen.
Aber irgendwie passt er auch wieder hinein in dieses O-Globo-Fernsehen, wo
immer Remmidemmi herrscht. Die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland mögen
den Fußballjournalismus auch gerade zugrunde richten, aber auf Rede Globo
geht’s immer noch ein bisschen seichter, boulevardesker und kreischender
zu. Bei einer Fußballübertragung können sie letztlich nicht sooo viel
falsch machen, beim Abendprogramm aber schon.
Geradezu fasziniert waren wir von der Sendung Domingao do Faustao, offenbar
eine Institution in Brasilien, moderiert von einer Knallcharge, dem
64-jährigen Faustao, der als moderierender Hansdampf allerlei lustige
Filmchen ankündigte und das eh schon enthusiastische Publikum auf
Betriebstemperatur hielt. In den Werbepausen tanzte ein leicht bekleidetes
Frauenballett für Faustao und die Zuschauer. Wir dachten unwillkürlich an
Tutti Frutti mit Hugo Egon Balder, der aber im Vergleich zu Faustao wie ein
Intellektueller aus der Frankfurter Schule wirkt.
## Seelenfänger im TV
Weiter ging’s mit der völlig überzeichneten Telenovela Caras & Bocas und
dem Märchenkostümfestival Meu Pedacinho de Chao. Hilfe! Was Rede Globo da
treibt, muss jeden Arte-Gucker in die Flucht schlagen. Aber auf den anderen
Brasi-Kanälen ist es auch nicht viel besser.
Erweckungsprediger verkünden dort zum Beispiel ihre Botschaften, die in
Brasilien auf fruchtbaren Boden fallen. Vor allem Evangelikale finden
Zulauf. Die „Igreja Universal do Reino de Deus“, die Weltkirche des
Gottesreiches, mischt ganz vorn mit bei der Seelenfängerei. Der Kern ihrer
Lehre lässt sich einfach zusammenfassen: „Bringet aber den Zehnten ganz in
mein Kornhaus, auf dass in meinem Haus Speise sei.“ (Maleachi 3, 10) So
machen sie beide, Rede Globo und die Pfingstkirchler, Brasilien nicht eben
reicher. Es ist eine Allianz der Volksverdummer.
2 Jul 2014
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
WM 2014
Fußball
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Ramadan
Hier spricht Brasilien
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