| # taz.de -- Die Wahrheit: Hacke, knülle, rotzevoll | |
| > Eine Ethnologin aus Grönland untersucht den größten linguistischen Schatz | |
| > der Deutschen: ihr überreiches Vokabular zur Trunkenheit. | |
| Bild: Hundert Wörter für Trunkenheit. Aber nur ein Schild zur Prävention der… | |
| In jeder Kultur gibt es bestimmte Dinge, für die es besonders viele Wörter | |
| gibt, und andere, für die ein einziges Wort reicht. „Das ist kein Zufall, | |
| sondern Ausdruck der Wertschätzung einer Gesellschaft“, sagt Dr. | |
| Arnapkapfaaluk Ashevak, Dozentin für Mitteleuropäische Ethnologie an der | |
| Universität Nuuk. Jetzt hat die grönländische Wissenschaftlerin eine | |
| aufsehenerregende Entdeckung gemacht: Die Deutschen kennen hundert Wörter | |
| für den Zustand der Trunkenheit. | |
| „Sie leben nun mal in einer ganz anderen Welt als wir Inuit. Für uns ist | |
| Besoffensein eben einfach Besoffensein. Wer aber verschiedenste | |
| Aggregatzustände der Trunkenheit unterscheiden kann und dies sogar in seine | |
| Sprache festschreibt, für den hat dieser Teil des Lebens besondere | |
| Bedeutsamkeit“, erklärt die zierliche Expertin mit den eisblauen Augen. | |
| Eine schier beindruckende Fülle an fein abgestuften Begriffen hat Dr. | |
| Arnapkapfaaluk Ashevak herausgefiltert: Ob alkoholisiert oder betrunken, | |
| hackedicht oder stockbesoffen, knülle, bums- oder rotzevoll, beschickert, | |
| beduselt, benebelt, stralle, lattenstramm, angeheitert, angesäuselt, | |
| berauscht, beschwipst, sturzbesoffen und 84 mehr. Was den Inuit der | |
| geliebte Schnee und den Engländern der Penis (ding-a-ling, | |
| beef-thermometer, to name but a few) ist den Deutschen eben der Suff. | |
| Mithilfe eines Postdoc-Stipendiums hat die junge Ethnologin zwei Jahre in | |
| Deutschland gelebt, mitten unter der Bevölkerung, und die rauschhaften | |
| Synonyme gesammelt: Auf Spielplätzen und in U-Bahn-Schächten, auf | |
| SPD-Parteitagen und in Leitartikeln der FAZ, auf DAX-Treffen und | |
| Abi-Flatrate-Partys, bei ausufernden Damenkränzchen und exzessiven | |
| Suhrkamp-Empfängen war die Forscherin unermüdlich zugange, um die deutsche | |
| Sprachvielfalt möglichst eingehend zu studieren. | |
| ## Vier, fünf Hefeweizen weggeschädelt | |
| Das Interessante dabei: „Zum Teil zeigen sich erhebliche | |
| Bedeutungsunterschiede“, analysiert Dr. Arnapkapfaaluk Ashevak ihren Fund. | |
| „Betüddelt“ zum Beispiel meine den lediglich leicht angetrunkenen Zustand | |
| der sonst beherrschten, norddeutschen Dame. Das verwandte „angeschnasselt“ | |
| wiederum enthalte die kaum ernst zu nehmende Pseudo-Angetrunkenheit | |
| rheinischer Abiturientinnen. Außerdem, so Dr. Ashevak, stünde es unbedingt | |
| in Verbindung mit sahnigen Likören. | |
| „Angetrunken“ sei wiederum das Zwischenresultat des langsamen, gediegenen, | |
| eher kontemplativen Alkoholmissbrauchs, „knülle“ hingegen des taghellen, | |
| raschen, geselligen Mittagspausensuffs und „allzeitbreit“ ein | |
| postmodern-ironisches Versatzstück der dauerbreiten Generation Alkopop. | |
| „Abgefüllt“ bezeichne, so die Inuk-Wissenschaftlerin, in seiner passiven | |
| Anmutung die willenlose deutsche Hausfrau zwischen zwanzig und fünfzig, | |
| „bumsvoll“ das solide mittlere Stadium der Trunkenheit, kurz vorm Klimax, | |
| wo das Gefühl der Euphorie beinahe ins Melancholische kippe. „Lattenstramm“ | |
| sei dagegen eindeutig im äußeren Endstadium der Trunkenheit anzusiedeln. | |
| Daneben existierten noch zahlreiche regional gefärbte Begriffe, | |
| insbesondere in Norddeutschland. „Hier ist das Saufen nun mal zentraler | |
| Teil der Alltagskultur“, erklärt Dr. Arnapkapfaaluk Ashevak die | |
| verschwenderische nordische Bandbreite von „betütert“ bis „benusselt“. | |
| Letzteres ist Ashevaks Lieblingsterminus, welchen sie bislang jedoch nur | |
| ein einziges Mal gehört hat: auf der Reeperbahn kurz nach Sonnenaufgang aus | |
| dem Munde von Udo Lindenberg höchstselbst. | |
| Doch nicht nur als Zaungast hat Ashevak ihre Feldstudien betrieben. „Ab und | |
| an“, sie lächelt ihr verschmitztes Inuit-Lächeln, „auch als teilnehmende | |
| Beobachterin!“ Dutzende Selbstversuche habe sie an sich durchgeführt: vier, | |
| fünf Hefeweizen weggeschädelt, sich zum eigenen Erstaunen plötzlich in | |
| süddeutscher Mundart wiedergefunden, um sich lallend als „zua“ oder | |
| „blunzenvoll“ zu titulieren. | |
| Mit ihren spektakulären Ergebnissen hat sich Dr. Arnapkapfaaluk Ashevak in | |
| der Fachwelt einen Namen gemacht. Im September geht sie zurück an ihre Uni | |
| in Nuuk. Doch: „Wer weiß“, sagt die Inuk, „vielleicht kehre ich in ein p… | |
| Jahren nach Deutschland zurück.“ Denn hier, das habe sie beim letzten | |
| Bundespresseball bereits erspüren können, existiere ein weiteres, üppiges | |
| Sprachfeld, das geerntet werden wolle: „Eimerweise Wörter für Erbrechen!“ | |
| Reihern, kotzen, rückwärts essen, über die Zunge scheißen, göbeln, | |
| bogenhusten - aber dieser linguistische Schatz harrt noch der Hebung durch | |
| Dr. Arnapkapfaaluk Ashevak. | |
| 5 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ella Carina Werner | |
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