# taz.de -- Chaos in Proficlubs: Das Hamburger Sommertheater | |
> In Brasilien rollt der Ball, in Hamburgs Proficlubs rollen Köpfe – beim | |
> HSV, beim HSV Handball und beim FC St. Pauli. | |
Bild: Kürzeste Amtszeit von allen: Handball-Manager Holger Liekefett. | |
## Der Hamburger SV | |
Dass der Hamburger SV in den vergangenen Monaten ein Chaos-Club war – das | |
ist wohl das einzige, worauf sich die rivalisierenden Fraktionen | |
verständigen können. Zumindest eine von ihnen hegte die Hoffnung, dass sich | |
das mit der Ausgliederung der Fußball-Profiabteilung in die sogenannte HSV | |
AG zum 1. Juli schlagartig ändern würde. Doch deren Start ging nun erstmal | |
gründlich in die Hose. | |
Die Nachricht der Woche ist, dass der HSV seinen bislang nur von Hertha BSC | |
ausgeliehenen, besten Stürmer Pierre-Michel Lasogga fest an sich bindet – | |
und dafür über acht Millionen Euro Ablöse zahlt. Acht Millionen? Von einem | |
Verein, den über 100 Millionen Verbindlichkeiten drücken? | |
Der – zumindest finanziell – starke Mann hinter den Verfechtern des | |
AG-Modells, Spediteur Klaus-Michael Kühne, hatte einmal mehr seine Hilfe | |
angeboten, und zwar in Form eines Kredits, der kein Kredit bleiben sollte: | |
Kühne verlangte, vertraglich festzuschreiben, dass das Darlehen in Anteile | |
an der HSV AG umgewandelt würde. Es sollte mit jenen „bis zu“ 25 Millionen | |
Euro verrechnet werden, die Kühne schon vorher als Finanzspritze zugesagt | |
hatte. „Geht nicht“, sagte der HSV-Vorstand: Die AG ist noch nicht in Kraft | |
und der amtierende Vorstand des Vereins kann nicht über das Vermögen der | |
künftigen Kapitalgesellschaft verfügen. | |
Dass der HSV bis heute keine AG ist, liegt an Klaus Meetz, einem alten | |
Recken des Vereins, einem deutschen Meister, allerdings im Volleyball, und | |
damit dem Restverein zugehörig, in dem viele ohne die Fußballprofis um die | |
Zukunft fürchten. Meetz hat die Registrierung der AG um zunächst zwei | |
Wochen verzögert, indem er gegen den zuständigen Amtsrichter einen | |
Befangenheitsantrag eingereicht hat. Dass er in die nächste Instanz gehen | |
will, hat er schon angekündigt. Schwerer wiegen seine Vorwürfe gegen den | |
amtierenden Vorstand: Der habe 17,5 Millionen Euro aus der Anleihe für ein | |
Nachwuchsleistungszentrum zweckentfremdet, um der DFL seine Liquidität | |
nachzuweisen. | |
Woher also das Geld nehmen, um Lasogga zu kaufen? Da war ja noch Hakan | |
Çalhanoğlu, der sich für vier Wochen krank schreiben ließ, als der HSV ihn | |
nicht nach Leverkusen ziehen lassen wollte. Der HSV pokerte die Ablösesumme | |
auf über 14 Millionen Euro hoch und hat nun seinen besten Torschützen | |
Lasogga (13) gebunden, seinen zweitbesten Çalhanoğlu (11) verloren. Kühne | |
hatte das geahnt und dem HSV via Hamburger Abendblatt gedroht: „Ich muss | |
mir ernsthaft überlegen, ob ich es nicht leid bin, (...), wenn jetzt | |
plötzlich Çalhanoğlu wider besseres Wissen gegen unseren Willen verkauft | |
wird.“ | |
Nun gibt sich Kühne plötzlich zufrieden, aber HSV-Sportchef Oliver Kreuzer | |
tritt nach: Dass Çalhanoğlu „am Tag des Transfers wieder gesund ist, sagt | |
alles“, mokierte er sich in der Bild-Zeitung über seinen Ex-Spieler, der | |
bis zum 15. Juli krankgeschrieben war. Çalhanoğlu kann’s egal sein: Er ist | |
weg und Kreuzer, der sich schon jetzt alles vom künftigen AG-Boss Dietmar | |
Beiersdorfer absegnen lassen muss, vermutlich auch bald. Und Beiersdorfer, | |
so sieht es aus, hat den ersten Machtkampf mit Kühne gewonnen. | |
## Der HSV Handball | |
Es wäre eine dreiste Verniedlichung, beim HSV Handball nur von Chaostagen | |
zu sprechen. Aus Tagen sind Wochen geworden, aus Wochen Monate. Und all | |
diejenigen, die gehofft hatten, dass es fortan nur aufwärts gehen könnte | |
nach dem glücklichen Erhalt der Lizenz für die Bundesliga, wurden eines | |
Besseren belehrt. | |
In den Prozess des Verfalls eines Spitzenklubs wob sich eine dramatische | |
Entwicklung ein. Trainer Martin Schwalb erlitt am Donnerstag einen schweren | |
Herzinfarkt. Der 51-Jährige, der den HSV zum Gewinn der Meisterschaft und | |
der Champions League geführt hatte, wurde mit einem Hubschrauber ins | |
Klinikum Heidberg geflogen. Schwalb schwebte in Lebensgefahr. | |
Inzwischen hat er die Intensivstation wieder verlassen. Nur wenige Stunden | |
vor dem Schicksalsschlag war ihm auf der Geschäftsstelle des HSV Handball | |
mitgeteilt worden, dass er die Kündigung erhalten werde. Ein kausaler | |
Zusammenhang zwischen dem Rauswurf beim HSV und dem Herzinfarkt lässt sich | |
natürlich nicht belegen. | |
Nun versuchen die Rudolphs - Mäzen Andreas und Gesellschafter Matthias - | |
die Macher im Verein, ihren Umgang mit Schwalb umzudeuten. Eine | |
Weiterbeschäftigung Schwalbs beim HSV, etwa als Geschäftsführer, sei sehr | |
gut möglich, heißt es plötzlich. Dabei hatte Andreas Rudolph seine | |
Bürgschaft in Höhe von 4,5 Millionen Euro, die für die Erlangung der | |
Bundesligalizenz elementar war, mit der Bedingung verbunden, Schwalb sollte | |
beim HSV als Trainer keine Zukunft mehr haben. | |
Es knirscht aber auch an anderen Stellen. Nachdem die Rudolphs in | |
dramaturgisch perfekter Inszenierung vier Minuten vor dem Ablauf der Frist | |
der Handball-Bundesliga (HBL) die Zusicherung über eine Bürgschaft in Höhe | |
von 4,5 Millionen Euro zukommen lassen haben, kehrte alles andere als Ruhe | |
ein. Zunächst erklärten die Aufsichtsräte Wolfgang Fauter und Maximilian | |
Huber ihren Rücktritt. Für sie sei der herrische Führungsstil der Rudolphs | |
nicht mehr ertragbar. Einen Tag später gab Geschäftsführer Holger Liekefett | |
seinen Abschied bekannt. Liekefett hatte es vier Monate beim HSV | |
ausgehalten. Für seinen Rückzug gab er private Gründe an. Auch | |
Interimspräsident Frank Spillner will nicht mehr kandidieren. | |
Der Rücktritt der Aufsichtsräte habe ihn "erbost", sagte Andreas Rudolph. | |
Es sei eine "absolute Respektlosigkeit, wenn zwei, die nie den Finger | |
gehoben haben, um zu helfen, sagen: So geht es nicht weiter", fügt er | |
hinzu. | |
Eigentlich hätte vieles besser werden sollen nach dem Erhalt der Lizenz, | |
der erst in dritter Instanz - vor dem HBL-Schiedsgericht - zu Stande | |
gekommen war. Am 21. Juli soll die Saisonvorbereitung beginnen, mit einem | |
Kader, der entsprechend der finanziellen Lage verkleinert wurde und der mit | |
Elan für einen Neuanfang sorgen soll. Stattdessen befindet sich der Klub | |
nun noch stärker in der Abhängigkeit der Rudolphs. Der Trainerposten ist | |
genauso vakant wie viele Positionen im Verein. Das Tohuwabohu gipfelte in | |
Schwalbs Herzinfarkt. | |
Der HSV gehört im Handball sicher zu den unbeliebtesten Klubs im Land. Und | |
es gibt gewiss Fans anderer Vereine, die mit Blick auf den HSV sagen: | |
"Macht den Laden dicht!" Nun ist es nicht mehr ausgeschlossen, dass auch | |
einige so denken, die dem Klub lange wohlgesinnt waren. | |
## Der FC St. Pauli | |
Warum wechselt der Aufsichtsrat des FC St. Pauli einen Präsidenten aus, dem | |
er selbst eine erfolgreiche Amtszeit bescheinigt? Die Nachricht, dass | |
Stefan Orth seinen Sessel für den Hamburger Medienunternehmer Oke Göttlich | |
räumen soll, löste in den Medien Irritationen aus - reflexhaft war von | |
Krise und Machtkampf die Rede. Doch darum geht es nicht. | |
Der Aufsichtsrat hat die Aufgabe, den Vereinsmitgliedern den aus seiner | |
Sicht besten Kandidaten für das Präsidentenamt vorzuschlagen, das im | |
November zur Wahl steht. Seit Februar haben sich die Räte mit dieser | |
Personalie beschäftigt, auch Orth war stets informiert und einer von drei | |
Kandidaten. | |
Am Ende entschied das Gremium einstimmig einen guten durch einen aus seiner | |
Sicht noch besseren Präsidenten ersetzen. "Jedes Präsidium hat seine Zeit", | |
sagt Aufsichtsrat Marcus Schulz, der Orth als "Sechser", der im Spiel für | |
solide Aufbauarbeit steht, charakterisiert. Nun aber werde ein "Zehner", | |
ein kreativer Spielgestalter gesucht. | |
Als zentrale Herausforderung der kommenden Jahre hat der Aufsichtsrat | |
ausgemacht, dem FC St. Pauli ein "einmaliges Profil zwischen Vermarktung | |
und Identität" zu verleihen. In einem Umfeld, in dem Profiabteilungen aus | |
Vereinen ausgegliedert und Clubs als Marketingabteilungen von Konzernen | |
gehalten werden, bedürfe es einer klaren Strategie, den "etwas anderen | |
Verein" neu zu positionieren und trotz aller Professionalität die Ideale, | |
die die aktive Fanszene auf St. Pauli etabliert hat, zu beleben. Diese | |
strategische Kompetenz sieht der Rat bei Göttlich,bei Orth sieht er sie so | |
nicht. | |
Für Orth ist seine Demission "nicht nachvollziehbar" und genau damit | |
offenbart er einen Grund, warum der Rat sich gegen ihn entschied. Orth | |
versteht nicht, warum seine Erfolge der Vergangenheit - die Sanierung des | |
Clubs, Stadionneubau und Modernisierung des Jugendleistungszentrums - dem | |
Rat für die Zukunft nicht ausreichen. Er begreift nicht den Unterschied | |
zwischen erfolgreichem Tagesgeschäft und dem geforderten zukunftsweisenden | |
Denken. | |
Stefan Orth, das ist vor allem der nette Herr Orth. Nach der divenhaften | |
Rampensau Corny Littmann, der den Club vor dem Untergang bewahrte, tat | |
diesem ein schwächerer Präsident gut. Denn die wichtigen Fäden zogen Orths | |
Vizes Bernd-Georg Spies, Gernot Stenger und Tjark Woydt. Doch Spieß und | |
Woydt standen ohnehin nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung. | |
Nun wird ein Leader gesucht, der zugleich Teamplayer ist. Göttlich trauen | |
die Räte das zu: Er gilt als gut vernetzt, führungsstark, innovativ und | |
kommunikativ. Der 38-jährige Ex-taz-Redakteur ist seit Jahren im Club | |
verankert, ackerte ehrenamtlich, ohne je ins Rampenlicht zu drängen. Als | |
Gründer einer Firma, die erfolgreich kleinen Plattenlabels den Weg zum | |
digitalen Markt öffnet, kennt er sich mit Nischen in einem von großen | |
Playern beherrschten Markt aus. All das macht ihn für den Aufsichtsrat zum | |
idealen Kandidaten. | |
Doch Göttlich wird es schwer haben, der Druck ist immens, gerade weil er | |
einen Präsidenten beerbt, der als erfolgreich gilt. Nun muss er es nur noch | |
besser machen. | |
8 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan Kahlcke | |
Marco Carini | |
Christian Görtzen | |
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