| # taz.de -- Bildung vor der Schule: Stille Revolution im Kindergarten | |
| > Vor zehn Jahren startete das Berliner Bildungsprogramm für Kitas mit dem | |
| > Versprechen von mehr Chancengleichheit. Daraus wurde nichts. | |
| Bild: Mehr Chancengleichheit? Von wegen! | |
| Alles begann mit dem Pisa-Schock. Als die internationale Schülerstudie | |
| Anfang des Jahrtausends nachwies, dass in kaum einem Land der | |
| Bildungserfolg derart abhängig ist von der sozialen und ethnischen Herkunft | |
| wie in Deutschland, setzte landauf, landab der Reformeifer ein. In Berlin | |
| ging man damals einen besonderen Weg: Man schaute nicht nur auf die | |
| Schulen, auch die Kitas sollten erneuert werden. Schließlich, so hatte man | |
| erkannt, wird in der frühsten Kindheit der Grundstein gelegt für den | |
| späteren Bildungsweg. | |
| So entstand vor zehn Jahren das „Berliner Bildungsprogramm für die Bildung, | |
| Erziehung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen bis zu ihrem | |
| Schuleintritt“ – kurz: BBP. Es gehe darum, „mehr Chancengleichheit“ für | |
| alle Kinder zu ermöglichen, erklärte der damalige SPD-Bildungssenator Klaus | |
| Böger im Vorwort. Das Programm fand international Beachtung und wurde in | |
| verschiedene Sprachen übersetzt. In anderen Bundesländern, etwa Bremen, | |
| fand es später Nachahmer. | |
| Heute haben alle Bundesländer irgendeine Form von „Bildungsplan“ für ihre | |
| Kitas. Der gute alte Kindergarten als pädagogisch aufgewerteter | |
| „Aufbewahrungsort“ für Kinder, deren Eltern arbeiten müssen, hat | |
| ausgedient. Der Kindergarten von heute soll eine regelrechte | |
| Bildungseinrichtung sein. Laut BBP geht es letztlich darum, „Anregungen“ zu | |
| geben, damit jedes Kind „Kompetenzen“ entwickelt, die es „benötigt, um in | |
| der Welt, in der es aufwächst, bestehen zu können und handlungsfähig zu | |
| bleiben bzw. zu werden“. | |
| Böse Zungen sagen, die fürsorgliche Rhetorik bemäntele nur schlecht, worum | |
| es gehe: die Kita als Zurichtungsanstalt, in der Kinder zu nützlichen | |
| Mitgliedern der Gesellschaft angelernt werden – damit sie selbiger später | |
| nicht auf der Tasche liegen. Positiv formuliert geht es darum, den | |
| natürlichen kindlichen Wissensdrang in Bahnen zu lenken, die den | |
| „ethisch-normativen Überzeugungen innerhalb der Gesellschaft“ entsprechen, | |
| so dass „jedes einzelne Kind gleiche Rechte und gute Chancen für eine | |
| lebenswerte Perspektive“ hat, wie es das BBP sagt. | |
| In Berlin stand und steht diese längst nicht abgeschlossene | |
| „Kita-Revolution“ unter besonderen Vorzeichen: Zum einen gibt es hier, wie | |
| in den neuen Bundesländern, eine hohe Kitaquote. Im Vergleich zu | |
| Westdeutschland gehen in der Hauptstadt deutlich mehr Kinder zur Kita – und | |
| früher. Man erreicht hier daher einen Großteil der Kinder schon weit vor | |
| Schulbeginn. | |
| Zum anderen ist in Berlin der Anteil sozial benachteiligter Kinder und | |
| solcher mit nichtdeutscher Herkunft besonders hoch – also jener | |
| „Pisa-Verlierer“, die vor allem von den Segnungen der Kita profitieren | |
| sollen. Ihnen soll, so die Hoffnung, die mit dem BBP verknüpft wurde, die | |
| Kita das beibringen, was Berliner Eltern vielfach nicht (mehr) leisten | |
| können – von Kulturtechniken wie Zähneputzen oder mit der Schere schneiden | |
| über soziales Verhalten bis zu gutem Deutsch. | |
| Dieses Angebot lässt sich die Stadt einiges kosten: Rund 1,3 Milliarden | |
| Euro gibt der Senat jährlich für Kindertagesstätten aus. Teuer ist vor | |
| allem, dass in Berlin – wie sonst nur in Rheinland-Pfalz – die letzten drei | |
| Kita-Jahre für Eltern kostenlos sind. Damit hat man es aber geschafft, noch | |
| mehr Kinder in die Kitas zu bringen. Viel Geld kostet auch der massive | |
| Ausbau, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. Berlin wächst, immer | |
| mehr Menschen schicken ihre Kinder früher in die Kita – auch weil es seit | |
| vorigem Sommer einen Rechtsanspruch auf einen Platz schon ab einem Jahr | |
| gibt. | |
| Doch trotz aller Anstrengungen fällt die Bilanz nach zehn Jahren BBP nur | |
| gemischt aus. Zwar gibt es deutliche Fortschritte bei den | |
| Deutschkenntnissen von Kindern mit Migrationshintergrund. Aber nach wie vor | |
| haben viele Kinder bei der Einschulung Sprachdefizite – vor allem die armen | |
| und migrantischen Kinder. Von „Chancengleichheit“ kann bis heute nur sehr | |
| eingeschränkt die Rede sein. | |
| Der Senat hat das Problem vor allem bei jenen wenigen Familien ausgemacht, | |
| die das „Bildungsangebot Kita“ bis heute nicht annehmen. Künftig gibt es | |
| daher eine Kitapflicht für Kinder, die nicht gut genug Deutsch sprechen. | |
| Wenn Kita eine der Schule vorgelagerte Bildungseinrichtung sein soll, ist | |
| das nur konsequent und passt zur zeitgemäßen Logik des „Förderns und | |
| Forderns“, die man schon aus der Arbeitswelt der Erwachsenen kennt. Nun | |
| gilt sie eben von der Wiege an. | |
| Mehr zu Sprachförderung in Kitas und über die neue Kitapflicht lesen Sie in | |
| der taz.am wochenende | |
| 11 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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