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# taz.de -- Was Brasilianern bei der WM Spaß macht: 200 Millionen Scolaris
> Schlecht gespielt: Die Brasilianer haben ihrem Team nicht gerne
> zugeschaut. Aber es gab Dinge, die machten trotzdem Spaß.
Bild: Brasilien hat viele Trainer. Einer war verantwortlich: Luiz Felipe Scolar…
RIO DE JANEIRO taz | Trainer sein. Sie müssen sich das so vorstellen:
Kneipe rappelvoll, das Spiel läuft. Die labilen Beine der roten
Plastikstühle biegen sich, Bierpfützen zieren den Boden, alles schreit.
Abwehr? Abhanden. Flanke? Futsch. Denken sie sich Jürgen Klopp, wenn er
zappelt und flucht und keine Kamera läuft.
Aber hier wippen dutzende, im ganzen Land ein paar Millionen von ihm
ängstlich mit den Füßen. Zunge schnalzen, aufstampfen, nochmal aufstampfen,
ach Fahrtdochallezurhölle! Wenn der echte Trainer eine Nulpe ist, wenn er
nichts begreift, wenn er aus Brasilien einen Viertplatzierten macht, dann
macht Trainsersein doppelt Spaß, denn es ist nötig. Brasilien hat rund 200
Millionen Trainer. Und jedeR ist schön anzusehen.
Ticketskandal verfolgen. Dass ihre eigenen Politiker und Polizisten korrupt
sind, wissen die BrasilianerInnen längst zur Genüge. Deswegen war es ja so
hübsch: Täglich mit ansehen zu können, wie die Kriminalpolizei von Rio de
Janeiro das Hauptquartier der Fifa auseinander nahm. Hotel Copacabana
Palace, immer wieder mal eine Durchsuchung.
Die Telenovela aus dem Reich des Fußballs, täglich eine neue Folge, hatte
alles, was ein Drama brauchte: Eine mächtige Fifa-Institution, deren
Top-Manager im Luxushotel durch den Lieferantenausgang flüchtet,
mitgeschnittene Telefonaufnahmen, die jedeR im Fernsehen nachverfolgen
konnte – und ein Gerechtigkeitsgefühl, das alle einte: Wenigstens hat jetzt
auch mal ein Fifa-Hansel mächtig Stress. Danke dafür.
Argentinier verstehen. Was den Deutschen ihre Holländer, sind den
Brasilianern ja die Argentinier. Mit ihren gigantischen Wohnmobilen, gebaut
mit dem Charme vergangener Jahrzehnte, parkten die Fußballerzrivalen die
schönsten brasilianischen Sehenswürdigkeiten zu und eigneten sich die
raren, heiß umkämpften Parkplätze an.
Brasilianer, die viel auf ihren Fußball und ihr Fleisch halten, mussten mit
ansehen, wie Messi sich ins Finale schoss – und Horden von Argentiniern auf
den Bürgersteigen Rio de Janeiros wahre Prachtsteaks grillten. Sie durften
probieren, sie waren sich einig, sie wurden Freunde. Zumindest ein
bisschen. Oder sagen wir: Kurz.
Hemd ausziehen. Eigentlich ist das ja Ehrensache: Gelbes Hemd mit grünem
Kragen, das trugen sie doch alle. Es wird voll keine Fantasiezahl geben,
die nicht untertrieben wäre, wenn wir schätzen wollen, wie viele solcher
Hemden in den letzten Wochen auf Brasiliens Basaren, Bürgersteigen und
Bierbars verkauft worden sind – dann aber dieses Kollektivausziehen.
Kurz nach der 7:1-Schmach gegen Deutschland passierte es: Alle zogen ihr
Hemd aus. Als am nächsten Morgen der Tag anbrach gab es sie fast nicht mehr
zu sehen. Ein paar Kellnerinnen trugen hier und da noch gelbe T-Shirts,
weil ihre Chefs vergessen hatten, eine schnelle Ansage zu machen. „Ein paar
Straßenhändler riefen: Hier jetzt alles deutlich reduziert.“ Aber sie
wurden nicht glücklich.
Sich auf Russland freuen. Brasilien, das war sportlich eine Schande, und
zum Glück: Ein bisschen ist Russland ja schon da. Da gibt's noch viel mehr
Korrupte und Unterdrückung und wer will, kann Schlappen sammeln: Auf der
Dachterrasse des Museums für Moderne Kunst in Rio de Janeiro präsentierte
das Land, in dem 2018 die nächste Fußballweltmeisterschaft der Herren
stattfindet, sich am Wochenende der Weltgemeinschaft, oder besser gesagt:
Einer Handvoll Gescheiterter, die eigentlich ins Museum wollten.
Die durften dann dort Babuschkas anmalen und erhielten Flip Flop-Sandalen
in russischen Farben geschenkt. Alle Brasilianer, die da waren, fanden das
toll. Denn das Beste an der WM in Russland ist: Sie ist noch seeeehr weit
weg. Viel Zeit zum Üben.
13 Jul 2014
## AUTOREN
Martin Kaul
## TAGS
WM 2014
Fußball
Brasilien
Seleçao
Luiz Felipe Scolari
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