| # taz.de -- DKPler Matthias Wietzer über Berufsverbote: „Eine lebenslange Be… | |
| > Niedersachsen will die Opfer politisch motivierter Berufsverbote | |
| > rehabilitieren. Lehrer Matthias Wietzer über inquisitorische Anhörungen, | |
| > Überwachung, Diskriminierung. | |
| Bild: Ihm wurde Nähe zur Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) vorgeworfen: L… | |
| taz: Herr Wietzer, Niedersachsens Landtag diskutiert über die | |
| Rehabilitierung der Opfer des Radikalenerlasses, mit dem in den 70ern und | |
| 80ern vor allem Linke aus dem Öffentlichen Dienst geworfen wurden. Wie hat | |
| Sie dieser Erlass getroffen? | |
| Matthias Wietzer: Berufsverbot hatte ich von 1978 bis Anfang 1991. Ich | |
| konnte zwölf Jahre und sechs Monate nicht als Lehrer arbeiten – obwohl | |
| meine beiden Examen mit „Gut“ bewertet worden sind und ich als | |
| Lehreranwärter bereits Beamter auf Probe war. Insgesamt war ich über 40 | |
| Jahre im Visier des sogenannten Verfassungsschutzes. | |
| Wie das? | |
| Noch 2012 hat mir das niedersächsische Innenministerium mitgeteilt, es sei | |
| bekannt, dass ich aktives Mitglied und Sprecher der Initiative “Rettet die | |
| Stadtbibliothek Limmerstraße“ in Hannover bin. Ich bin also all die Jahre | |
| weiter beobachtet worden. Selbst mein Engagement in der Bürgerinitiative | |
| stand unter Generalverdacht, obwohl die von Persönlichkeiten wie dem | |
| ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff unterstützt wurde. | |
| Warum durften Sie nicht als Lehrer arbeiten? | |
| Man hat mir meine Nähe zur Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) | |
| vorgeworfen. Konkret ging es um Kandidaturen auf der Liste des MSB | |
| Spartakus für das Studierendenparlament in Göttingen und um eine | |
| Ratskandidatur für die DKP. Selbst eine Spende von 20 Mark für die Zeitung | |
| Unsere Zeit wurde mir 1978 zur Last gelegt. | |
| Die DKP galt als ferngesteuert aus Ost-Berlin. Können Sie es nicht | |
| verstehen, dass Sie damals in Zeiten des Kalten Kriegs als unzuverlässig | |
| eingeschätzt wurden? | |
| Die DKP war und ist eine legale Partei, die unser Grundgesetz gegen | |
| Angriffe verteidigt. Tausende fortschrittlich engagierte junge Menschen mit | |
| unterschiedlicher politischer Couleur wurden damals der | |
| Verfasssungsfeindlichkeit bezichtigt, auch SPD-Mitglieder. | |
| Trotzdem blieb die Angst, Sie könnten Ihre SchülerInnen politisch | |
| indoktrinieren. | |
| Die Vorstellung, dass ich mit der roten Fahne über den Pausenhof gelaufen | |
| wäre, ist absurd. Im Gegenteil: Ich habe mich immer zum Grundgesetz bekannt | |
| und in der Schule selbstverständlich neutral verhalten. Das ist mir vom | |
| Schulleiter und vom Elternrat bestätigt worden. Die für mein Berufsverbot | |
| zuständige Anhörkommission des niedersächsischen Innenministers hat das | |
| nicht interessiert. ’Wo kommen wir denn hin, wenn die Eltern das | |
| entscheiden‘, meinte ein Kommissionsmitglied bezeichnenderweise. | |
| Wie sah die Anhörung aus? | |
| Sie war total einseitig, inquisitorisch – ich hatte den Eindruck, als | |
| stünde das Urteil schon vorher fest. Selbst in Kleinigkeiten wie dem | |
| Aufhängen von Wahlplakaten wurde auf anonymisierte Zeugenaussagen | |
| verwiesen. Doch wer diese Zeugen sein sollten, wurde mir nicht mitgeteilt. | |
| Sie sind vom Inlandsgeheimdienst bespitzelt worden? | |
| Offensichtlich ja. Die Kommission berief sich auf Erkenntnisse des | |
| Verfassungsschutzes, die dieser von Informanten erhalten hatte. Wer die | |
| waren, wussten angeblich nicht einmal die Kommissionsmitglieder. Mit | |
| Unterstützung der Lehrergewerkschaft GEW und des Deutschen | |
| Gewerkschaftsbundes habe ich fünf Prozesse geführt, um wenigstens als | |
| angestellter Lehrer arbeiten zu können. Zwei habe ich gewonnen, drei | |
| verloren. | |
| Und dann? | |
| Insgesamt war ich fünf Jahre arbeitslos. Ansonsten habe ich mich mit | |
| Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, bis hin zu einer | |
| Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bei einem kirchlichen Projekt. Dabei bin ich | |
| Atheist. | |
| Ab Anfang der 90er durften Sie unterrichten - und sind sogar Beamter | |
| geworden. Wie das? | |
| Die faktische Rücknahme der Berufsverbote war eine der ersten | |
| Amtshandlungen der rot-grünen Landesregierung von Gerhard Schröder. Viele | |
| von uns wurden eingestellt. Aber durch die Hintertür, dass sollte nicht an | |
| die große Glocke gehängt werden. Offenbar wollten SPD und Grüne die stramm | |
| antikommunistische CDU von Ex-Ministerpräsident Ernst Albrecht nicht | |
| provozieren. Eine offizielle Entschuldigung für unsere jahrzehntelange | |
| Diskriminierung fehlt bis heute. | |
| Und die wünschen Sie sich jetzt vom Landtag? | |
| Ja. Nötig ist aber auch eine Entschädigung. Viele Betroffene hatten gerade | |
| eine Familie gegründet und standen vor dem Nichts. Unsere berufliche | |
| Existenz sollte aus politischen Gründen vernichtet werden. Einige von uns | |
| haben jetzt Rentenansprüche von gerade einmal 500 Euro. Mir fehlen | |
| monatlich etwa 300 Euro an meiner Pension. Das ist eine lebenslange | |
| Bestrafung. | |
| 20 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Wyputta | |
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