# taz.de -- Linzer Ausstellung „Höhenrausch“: Die Mutter aller Hüpfburgen | |
> Die Stadt Linz erfreut in der Ausstellung „Höhenrausch“ mit historischen | |
> Perlen inmitten aktueller Positionen zum Thema Raum in Bewegung. | |
Bild: Die Netze in der Schlucht zwischen Parkgarage und dem Kulturquartier stam… | |
Das enorme Vergnügen, das der kleine Windhauch bereitet, der den dünnen | |
weißen Vorhang am Eingang des OK, des Offenen Kulturhauses in Linz bewegt, | |
es muss der sommerlichen Hitze geschuldet sein. Wind! Welche Wonne! | |
Dabei steht die Luft im Raum. Wie man einen Moment später bemerkt – und | |
genauso, dass sich der Vorhang gar nicht bewegt. Oder doch? Tatsächlich | |
verwirrt, dass man zwei halbtransparente Stoffbahnen sieht. Davon weht eine | |
vor der Glasfront des Eingangsbereichs im Wind, derweil die andere | |
bewegungslos hinter dem Glas hängt, das sie zunächst verbirgt. „Eyelids“ | |
heißt die Installation des brasilianischen Künstlers Eduardo Basualdo | |
(*1977) beim diesjährigen „Höhenrausch“, der den „Raum in Bewegung“ | |
thematisiert. | |
Der „Höhenrausch“ ist das inzwischen zum Markenzeichen gewordene | |
Sommerformat des oberösterreichischen OÖ Kulturquartiers. Zum ersten Mal | |
fand er 2009 statt, als Linz Kulturhauptstadt Europas war. Vorangegangen | |
waren der „Schaurausch“ 2007 mit Kunst in 50 Schaufenstern der Stadt und | |
der „Tiefenrausch“ 2008, mit dem die Kunst in die riesigen unterirdischen | |
Stollengänge der Landeshauptstadt abgetaucht war. Die waren von | |
KZ-Häftlingen aus Mauthausen für die hier her verlagerte Stahl- und | |
Rüstungsproduktion der 1938 gegründeten „Reichswerke Hermann Göring“ | |
ausgebaut worden und hatten zum Teil auch als Luftschutzkeller für die | |
Bevölkerung gedient. | |
Mangels weiterer städtischer Brache, die für ein Ausstellungsformat mit | |
ausschließlich installativen und medialen künstlerischen Arbeiten geeignet | |
gewesen wäre, wurde schließlich im Kulturhauptstadtjahr die Dachlandschaft | |
der Gebäude entdeckt, die das Offene Kulturhaus umgeben, so das | |
Passage-Einkaufszentrums, das City-Parkhaus oder die Ursulinenkirche. | |
## Das Spielerische zieht an | |
270.000 Besucher waren eine eindrucksvoll positive Resonanz auf das | |
Ausstellungsexperiment, das Martin Sturm, Direktor des OK, mit seinem | |
Kuratorenteam und weiteren Beratern wie dem Kunstkritiker Paolo Bianchi | |
oder dem Kulturwissenschaftler Tomas Macho der zeitgenössischen Kunst | |
ausgerichtet hatten. Das durfte man unbedingt weiterführen und dabei | |
bewusst das Spielerische in den Vordergrund rücken – mit ungebrochenem | |
Erfolg. Täglich 1.100 BesucherInnen wollen derzeit ihren Höhenrausch mit | |
rund 20 künstlerischen Positionen erfahren. | |
Der beginnt dann auch gleich ziemlich spektakulär. Denn vertikal verspannt | |
Numen/For Use, das österreichisch-kroatische Künstlerkollektiv, in der | |
sogenannten Schlucht, also dem Zwischenraum zwischen dem OK-Gebäude und der | |
Parkgarage, vier überdimensionale Netze. Sie formen eine flexible, federnde | |
Struktur mit Wänden, Stegen und Durchgängen, die es erlauben, von unten | |
direkt in den dritten Stock hochzusteigen. Ein wenig erscheint der „Raum in | |
Bewegung“ Abenteuerspielplatz nicht nur der Kinder, sondern vor allem der | |
Erwachsenen zu sein. | |
## Das Luftige bleibt irritierend frisch | |
Zu diesem Eindruck trägt oben angekommen besonders das spektakuläre | |
„Riesen-Billard“ des Künstler-Architekten-Kollektivs Haus-Rucker-Co aus dem | |
Jahr 1970 bei. Die enorme, 13,5 Meter lange, 9 Meter breite und einen Meter | |
hohe Luftmatratze schwebt mitsamt ihren zwei überdimensionierten | |
Luftbillardkugeln geradezu über dem OK. | |
Die Installation im Grenzbereich von Architektur, Design und Kunst, die | |
einstmals die Institution Museum irritieren und provozieren wollte, | |
irritiert noch heute – nun wegen ihrer nachhaltigen Frische. Denn die ihr | |
zugrunde liegende, typische 60er/70er-Jahre-Idee, Räume zu entwickeln, die | |
neue, zwanglosere Formen von Gemeinschaftserlebnissen ermöglichen, war | |
selten so erfolgreich wie in der Form dieses Riesenspaßes, der als die | |
Mutter aller nachfolgenden Hüpfburgen gelten muss. | |
Das Museumsstück – erstmals wurde die Matratze vor nicht ganz einem halben | |
Jahrhundert in der Kunsthalle Düsseldorf aufgeblasen – ist Auftakt in die | |
neue Dachlandschaft des „voestalpine open space“. Diese luftige, aus einen | |
Hochregallagersystem abgewandelte Stahlkonstruktion wird die nächsten fünf | |
Jahre Spielstätte und Kunstraum für Aktionen und Installationen sein. | |
## Ungeniert moderen und technologieaffin | |
Der Sponsor ist das Nachfolgeunternehmen des Stahl- und Rüstungskonzerns | |
Voest, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus den schon erwähnten Reichswerken | |
Herman Göring hervorging. Die Globalisierungskrise und den Niedergang der | |
Stahlindustrie hat voestalpine mit innovativer Bravour und Spezialstahlen | |
gemeistert, was Linz weiterhin ein hohes Steuereinkommen sichert. Daher | |
kann die Stadt, wie es OK-Direktor Martin Sturm formuliert, „in die | |
Software investieren“, was sinnvoll ist, weil „die Hardware nur wenig | |
hergibt“. Frei von Vorgaben traditioneller touristischer Art, zeigt man | |
sich daher kulturell ungeniert modern und technologieaffin. | |
## Durch die Wasserwand | |
So wie es die „Wasserfall-Schaukel“ des Künstlerkollektiv Dash 7 aus | |
Brooklyn, New York, auf dem Parkdeck zu symbolisieren scheint. Wie der Name | |
andeutet, schwingen zwei Schaukeln durch eine Wasserwand, die freilich | |
elektronisch so gesteuert ist, dass das Wasser stoppt, wenn die Schaukel in | |
die Wasserwand eintaucht. | |
Bei so viel technischer Poesie unterschreibt man die Annahme, dass Räume | |
Lebewesen sind, die sich dehnen, strecken oder drehen, wie der | |
Architekturtheoretiker Franz Xaver Baier sagt, im Lauf des Rundgangs | |
jederzeit. Denn auf höchst anschauliche Weise erfährt man da, wie die | |
schwingenden Kronleuchter von Suzann Victor (*1959) dieses Lebewesen in | |
Schieflage bringen, wie ihm Nils Völker (*1979) mit 96 blauen Müllsäcken | |
eine atmende Wand schenkt, und wie es von John Wood (*1969) & Paul Harrison | |
(*1966) in ihren (videodokumentierten) 30 Sekunden Aktionen völlig auf den | |
Kopf gestellt wird. | |
## ■ Bis 19. Oktober, OÖ Kulturquartier, Linz | |
24 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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Kunst | |
Ausstellung | |
Performance-KünstlerIn | |
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