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# taz.de -- Die Wahrheit: Absolut intensiv
> Die deutsche Sprache ist für ihren großen Wortschatz berühmt, doch
> vermehrt werden Allzweckworte benutzt, wo eigentlich sprachliche
> Präzision herrschen sollte.
Das Deutsche hat einen Vorzug: seinen großen Wortschatz, angeblich ist nur
der englische größer. Es hat auch einen Nachteil: Sein Wortschatz ist viel
zu groß. Dafür gibt es einen zweiten Vorteil: Es ist eine präzise Sprache.
Das aber ist gleich die zweite Schattenseite. Dass das dritte Gütezeichen
des Deutschen, seine Anschaulichkeit, ebenfalls ein Übel ist, ist damit
klar.
Zum Glück werden diese Fehler jetzt ausgemerzt. Wo man früher unter einem
Wust von Wörtern das richtige herausklauben musste, genügt heute eines, das
alle ersetzt. Statt Höhepunkt, Meilenstein, Markstein, Meisterwerk,
Glanzlicht oder Krönung genügt ein simples „Highlight“, das auch für
„schönstes Erlebnis“ oder „das Beste“ stehen kann. „Was war dein Hig…
im Jahr 2013?“, fragt der Reporter eines Stadtmagazins. „Für mich war der
Sommer das Highlight“, antwortet der Passant, weil beider Sprachgefühl
nicht das beste ist.
Die Highlights des ökogemäßen Sprachgebrauchs sind natürlich „zeitnah“ …
„nachhaltig“, dank derer „bald, demnächst, pünktlich, ohne Verzögerung…
beziehungsweise „langfristig, dauerhaft, auf lange Sicht, anhaltend“ binnen
Kurzem, Quatsch: zeitnah auf die rote Liste der vom Aussterben gefährlich,
Unsinn: nachhaltig bedrohten Wörter gelangten.
Die Artenvielfalt ist selbstredend auch anderswo bedroht. Die sprachliche
Monokultur breitet sich aus, wie hiermit nicht gesagt oder geäußert,
sondern „kommuniziert“ sei. Eine Liste wird „nur intern kommuniziert“
(taz), nämlich diskutiert oder besprochen, damit unliebsame Dinge, statt
öffentlich verbreitet oder nach außen getragen, „nicht nach außen
kommuniziert“ werden; man lernt eine Fremdsprache nicht, um sich im Ausland
gut zu verständigen, sondern um mit Einheimischen intensiv zu
„kommunizieren“.
Intensiv kommuniziert wird auch ebendieses Adjektiv, besonders intensiv im
Sport: Eine packende Begegnung, ein spannendes Duell, eine kampfbetonte
Partie und eine leidenschaftliche Auseinandersetzung sind egalweg
„intensiv“, das einst engagierte Mitglied ist jetzt dem Verein „intensiv
verbunden“ (taz).
Bequem ist das, weil man nicht den einen anschaulichen und eindeutigen
Ausdruck suchen muss. Das Allzweckwort passt, wackelt und hat Luft, aber
für die Verständigung genügt es. Indem sich der Sinn nicht aus dem
einzelnen, scharf gefassten Begriff, sondern ungefähr aus dem Zusammenhang
ergibt, nähert sich das Deutsche den Sprachen an, die der Rest der Welt
benutzt. Weniger Wörter, diese aber mit großer Bedeutungsfülle – das taugt
besser fürs tägliche Gerede, nein: fürs Kommunizieren.
Das Schriftdeutsche, aus der die heutige Standardsprache hervorgegangen
ist, war eine Kanzlei-, also Amtssprache. Eine Behörde muss sich eindeutig
ausdrücken, damit sich kein Untertan auf ein Missverständnis herausreden
kann. Diesen ursprünglich autoritären Sprachgebrauch zurückzudrängen, wäre
demnach ein Zeichen, dass die Demokratie endlich im Denken und Fühlen der
Leute angekommen ist – nur dass Demokratisierung hier Nivellierung heißt.
Die Verarmung wird jedoch drapiert: Der Wortschatz ist dürftig, das
einzelne Wort aber sollte am besten „extrem“, „total“ und vor allem
„absolut“ aufgemotzt sein. Andere Vokabeln werden dafür wegrasiert: Dann
heißt es „der absolute Abstiegskandidat“ (statt: sichere), es gibt
„absolute Topmannschaften“ (statt: echte), man beklagt eine „absolut
unfähige Verwaltung“ (völlig, in jeder Hinsicht) und vermerkt, dass „ein
Leben absolut anders verläuft“ (ganz), was ein „absoluter Glücksfall“
(großer) sein kann; und während Putin „absolut populär“ (äußerst) ist,
sieht sich Reiner Calmund allen Ernstes als „absoluten Vertreter der
Arbeitnehmer“ (entschiedenen).
Dabei könnte man das Wörtchen absolut, Quatsch: ganz, nämlich: weglassen.
Der „absolute Renner“ im Verkauf ist bloß ein Renner und „eine absolut
zentrale Forderung“ fast so großer Unfug wie die „absolute Minderheit“, …
als Gegenbegriff zur eingebürgerten „absoluten Mehrheit“ eine Menge von
weniger als 50 Prozent bezeichnen müsste. Doch das weiß die absolute
Mehrheit „absolut nicht“ (überhaupt) und ebenso wenig, dass „das Absolut…
ein Hegel’scher Begriff ist, der „Gott“ ins Weltliche übersetzt. Alles
andere ist relativ. Wenn also für ein Bankhaus ein neuer Standort „der
absolute Favorit“ unter mehreren Alternativen ist, dann ist er nur der
relative Favorit – eine Wendung, bei der hoffentlich nicht nur die absolute
Minderheit merkt, wie beknackt schon die originale Formulierung ist.
Wenn Friedrich Schleiermacher einst schrieb, Frömmigkeit sei das Gefühl
„schlechthinniger Abhängigkeit von Gott“, so müsste man heute schlechthin
„absoluter“ schreiben, derart dominiert „absolut“ den Sprachgebrauch. S…
ich „dominiert“? Dazu können Sie jetzt selbst mal Beispiele sammeln.
Vielleicht finden Sie bei einer gründlichen, nö: „intensiven“ Suche sogar
ein paar Prachtstücke, nee: „Highlights“. Oder machen andere großartige,
ach was: „geniale“ Funde, „okay“?
4 Aug 2014
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Sprache
Kommunikation
Sprachkritik
Krieg
Justiz
Sprache
Berlin
Sprachkritik
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