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# taz.de -- Die Wahrheit: Mehre Fehler
> Im Gespräch fallen Fehler seltener auf, da das Ohr dümmer ist als das
> Auge. Vom mündlichen zum geschriebenen Schnitzer ist es aber nicht weit.
Bild: Manche Zungen beginnen zu glühen – vor lauter verquasselter Ungenauigk…
Gesprochene und geschriebene Sprache sind zwei Paar Stiefel, und das ist
auch gut so. Beispielsweise unterlaufen beim Sprechen kleine Fehler, die
man beim schriftlichen Formulieren ausmerzen muss, die aber in einer
Unterhaltung kaum auffallen und sogar unbemerkt bleiben, weil das Ohr
dümmer ist als das Auge.
Selbstredend gibt es Ausnahmen, die schon das Gehör peinigen, etwa wenn auf
der Frankfurter Buchmesse Boris Becker im Interview mit dem Hessischen
Rundfunk bekennt: „Ich sag ja auch ganz klar in diesem Buch, dass ich stolz
Deutscher zu bin.“ Wenn hingegen die taz meldet: „Er wurde durch mehre
Hiebe mit einem Schlagring am Kopf schwer verletzt“ und damit nicht Beckers
Dummsprech erklären will, sondern von einem Nazi-Überfall auf einen
Antifaschisten berichtet, so schöbe man den Schnitzer bei mündlicher Rede
wohl auf eine undeutliche Aussprache. Doch auch in gedruckter Form handelt
es sich um kein Einzelfall, pardon: keinen Einzelfall.
Die Lokalpresse kann es genauso gut, zum Beispiel das Göttinger Tageblatt,
wenn es über ein Öko-Projekt berichtet, das „eins von mehren in der
Klimaschutzwerkstatt“ ist.
Dass man auch beim Schreiben Silben verschluckt oder nuschelt, ist also
mitnichten ungewöhnlich. Eine „Sitzungswoche bedeutet oft ein
16-Stunden-Tag“, verkündete einst die Bundesministerin Ilse Aigner auf
ihrer Website; die taz wusste sogar, was im Parlament „ein Tag vor der
ersten Sitzung“ geschieht; und wenn ein zorniger Leser mailt: „Ohne TOM
könnt ihr euch die taz an Arsch stecken“, so befindet sich dort bereits das
Deutsch des Leserbriefschreibers. Den meisten ist das schnurz: Wer die
Lesermails liest, wird feststellen, dass der Anteil der Schnitzer nicht
gerade „bei ein Prozent“ liegt.
Im mündlichen Verkehr fielen selbst manche groben Verstöße nicht auf oder
würden zumindest nicht beanstandet. Doch auch, wenn das Auge liest und man
Zeit hat, um zu stutzen und zu korrigieren, rutscht einiges durch und
gelangt beispielsweise im SZ-Magazin zum Druck: „Die Startbahn West ist zu
kurz, um vollgetankt nach Berlin zu starten“ – und der Satz zu kurz für das
Flugzeug, das vermutlich anstelle der Startbahn nach Berlin fliegen soll.
## Der Satz quietscht wie ein Gummibärchen
Es ist bekannt und bequem, im mündlichen Verkehr der Übersichtlichkeit
halber gewisse Nebensätze mit Hauptsatzsyntax zu bilden, weil: Das
Verständnis wird, wenn das finite Verb, durch das die Zuhörer die
grammatikalischen Beziehungen innerhalb eines Satzes, der womöglich mehrere
Nebensätze, die vielleicht noch ineinander verschachtelt sind, enthält,
erst erschließen können, nicht am Schluss steht, erleichtert.
Im Hauptsatz steht das finite Verb hübsch übersichtlich an zweiter Stelle.
Wenn aber die Gewerkschaftszeitung ver.di publik in einer Musikrezension
schreibt: „Also lässt das Berliner Duo keinen Witz aus und dazu die
Synthies quietschen wie Gummibärchen“ – dann quietscht auch der Satz wie
ein Gummibärchen, weil diese Art Hauptsatzkonstruktion nach dem „und“
mündlich vielleicht tolerabel wäre, in einem gedruckten Text jedoch am
Unort ist – vor allem, wenn der Satz sogar weiterquietscht: „… die Synthi…
quietschen wie Gummibärchen, packt bei Bedarf auch scheppernde Gitarren aus
und zieht Beats aus der Kloschüssel des Techno-Clubs.“ Von dort kommt wohl
auch dieser Satz – der, zugegeben, schön wäre, wenn er keine
Fehlkonstruktion wäre.
Allerdings hat jeder Mensch ein anderes Sprachwissen und -gefühl. Was
richtig oder falsch, steht nicht immer fest und ist manchmal je nach
Herkunft, Bildung und so weiter der Sprecher anders. Ein Beispiel ist das
Wort „scheinbar“, das selbst ein Robert Walser fälschlich im Sinne von
„anscheinend“ gebrauchte und das heute sogar sein scheinbares, nämlich
offenbares Gegenteil meinen kann.
Anderen Leuten lehrte man offenbar den falschen Gebrauch des Verbs
„lehren“, statt sie den richtigen zu lehren. Schlimmer noch: „Göttingerin
lernt Zirkuskindern in Manege ABC“ – so klingt das Deutsch, das man den
Reporter des hessisch-niedersächsischen Reklameblatts Extra Tip gelehrt
hat! Glaube niemand, das sei Unterschichtsdeutsch: „Wir haben schon so
mancher Restauflage das Laufen gelernt!“, prahlte vor Jahren ein
„Buchhändler Hillenbrand“ im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel.
Wie schön, wenn einem selbst richtiges Deutsch gelernt wurde! Deshalb sag
ich ja auch ganz klar am Ende dieser Glosse, dass ich stolz Sprachkritiker
zu bin.
9 Sep 2014
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Sprachkritik
Fehler
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Schach
Sprachkritik
Karl Marx
Krieg
Justiz
Sprache
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