# taz.de -- Die Wahrheit: Dominierendes Blech | |
> Abgedroschene Phrasen machen die deutsche Sprachwelt immer öfter zum | |
> Opfer – sie hat praktisch keine Chance. | |
Phrasen gebraucht jeder ein Stück weit. Zwar sind die Floskeln und | |
Modewörter nicht wirklich alternativlos. Aber Wendungen wie „gut | |
aufgestellt“ und „sich neu sortieren“ und „auf jeden Fall“ total zu m… | |
ist extrem schwer, auch wenn man daran definitiv hart arbeitet. Ist doch | |
so, oder? Von daher muss man absolut zufrieden sein, wenn mal jemand sich | |
anders positioniert und daher nicht solches Blech redet wie hier, und darf | |
dann einigermaßen zufrieden sein. | |
Wenigstens sollte man seine Rede nicht davon dominieren lassen – ein Wort, | |
das im Augenblick die 08/15-Sprache nicht etwa prägt, sondern dominiert. | |
Eine Fußballmannschaft hat im Spiel kein Übergewicht, sondern dominiert es | |
und hat den Gegner nicht im Griff, sondern dominiert ihn. | |
Das Stadtbild wird nicht von einem Baustil bestimmt, sondern dominiert. Der | |
Konzern hat keine marktbeherrschende Stellung, sondern dominiert den Markt, | |
und „das Interesse an einer funktionierenden Weltwirtschaft dominiert die | |
neue Weltordnung“ (taz). | |
Die Modewörter und Floskeln sind bequem, ersparen das Denken und haben | |
deshalb „oberste Priorität“, ohne dass jemand den Pleonasmus bemerkt. Eines | |
der vielen Wörter, die nach „dominieren“ zweiten Vorrang genießen, ist | |
„fokussiert“: Wer sich einer Aufgabe widmet, ein Ziel hat und auf etwas aus | |
ist, der macht sich zur Linse, stellt sich scharf, bis er nur das eine | |
sieht, und ist darauf fokussiert. Dass man damit zugibt, für alles andere | |
blind zu sein – die wenigsten haben ein Problem damit. Oder ist das ein | |
Problem für Sie? „Kein Problem“, sagen Sie? Okay? | |
Statt „okay“ könnte man „gut“, „einverstanden“, „in Ordnung“, … | |
dann“ und noch vieles andere (ja, oft sogar nichts) sagen, aber das wäre | |
altmodisch. Viele der fabelhaften Wörter, die einmal kolossal in aller | |
Munde waren, geraten irgendwann außer Gebrauch, weil sie niemand mehr | |
knorke oder schnafte findet. Manche allerdings halten sich lange wie das | |
Adjektiv „spannend“, das seit schätzungsweise dreißig Jahren durch die | |
Presse geistert und anscheinend kein Verfallsdatum kennt. | |
Wer die Nordausgabe der taz liest, weiß, was heute noch spannend sein kann: | |
„Karin Bürkle lebt einen spannenden Spagat: Sie arbeitet als | |
Müllverbrennungs-Ingenieurin in Hamburg und gibt nebenbei Bauchmassagen.“ | |
„Spannend“ bedeutet also ungefähr so viel wie „normal, banal, | |
uninteressant, langweilig“ und passt zur Reklame für beziehungsweise | |
Berichterstattung über das kreuzgewöhnliche, mithin „spannende“ | |
Leseprogramm eines Literaturbüros, es sitzt wie angegossen der „spannenden“ | |
Einkaufsmeile, dem „spannenden“ öffentlichen Tausch-Bücherschrank, der | |
„spannenden“ Minigolfanlage und anderen „mediatisierten | |
Vergemeinschaftsorten“, wie Bremer Medienwissenschaftler diese „spannenden | |
Orte“ nennen. | |
Was wirklich spannend, also aufregend ist, ist heutigentags geil oder cool. | |
Wie andere fabelhafte Modewörter teilen diese beiden spannenden Adjektive | |
die coole Eigenschaft, ihres geilen Inhalts kolossal entleert zu sein, | |
sonst ließe sich nicht das eine durch das andere ersetzen. Dafür sind sie | |
emotional dominiert, weil heiße Gefühle oberste Priorität vor eiskalten | |
Gedanken genießen, die bloß untersten Vorrang haben. | |
Auch nicht neu, aber nach wie vor gern in den Mund genommen wird die | |
„Struktur“, die gottweißwas meint. Da „existiert das Museum als nomadisc… | |
Struktur“, um ein Beispiel aus der taz-Hochkultur zu wählen; was die | |
Volkskultur betrifft, so haben in einem Buch über Fußballfans Ultras und | |
Polizei ein „strukturiertes“ Feindbild, außerdem fehlt es an der „Anpass… | |
von Strukturen an jugendkulturorientierte Realitäten“, weil die Fanprojekte | |
ein „strukturelles, von Überstunden überhäuftes Feigenblattdasein fristen�… | |
und die Sprache eine strukturell von Strukturen strukturierte Struktur | |
darstellt und von Strukturen verkrustete Strukturen ausgebildet hat. | |
Schablonen erleichtern das Zeichnen, Phrasen den sprachlichen Verkehr. Man | |
spricht wie alle anderen und taucht im Schwarm unter, ohne intelligent | |
aufzufallen: „Das ist einfach auch einfacher“, wie jemand auf 3sat sagte. | |
Wer den Phrasendreschern entkommen will, hat „keine Chance“. Die haben auch | |
Mordopfer nicht: Mit den gedankenlosen Worten „Die Opfer hatten keine | |
Chance“ beanstandete wie alle anderen die taz den Anschlag im Jüdischen | |
Museum von Brüssel und hält Mord für Sport, in dem der faire Mörder seinen | |
Opfern eine Chance gibt. Entschuldigt er sich hinterher sogar, ist alles | |
halb so schlimm. Für diese Spitze entschuldige ich mich. Okay? | |
12 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
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