# taz.de -- Die Wahrheit: Aus dem hohlen Hirn | |
> Die uncoolen Tücken der deutschen Sprache zeigen sich, wenn die | |
> Adressaten, die man gewinnen soll, von oben herab auf ausländisch | |
> traktiert werden. | |
Bild: So mancher Sprecher zeichnet mit seiner Zunge narzisstische Bilder. | |
Die deutsche Sprache hat bekanntlich einen großen Bauch und kann riesige | |
Portionen Fremdwörter verdauen. Als Beispiel par excellence gelten die vom | |
17. bis 19. Jahrhundert, als Französisch en vogue war, eingewanderten | |
Gallizismen, von denen viele längst perdu sind. Allerdings blieb der | |
Zustrom wesentlich auf die höheren Stände beschränkt, während das Englische | |
heute alle Schichten, das ganze Volk der Okay-Sager ergriffen hat – coole, | |
hippe und crazy Beispiele aus dem Alltag kann wohl jeder vom „hearsay“ | |
(taz) anführen. | |
Zwar machen die Anglizismen nur 3,7 Prozent des Wortschatzes aus, doch | |
werden sie womöglich häufiger benutzt als der Großteil der restlichen 96,3 | |
Prozent. Beispielsweise werden langweilige deutsche Begriffe durch den Reiz | |
der Neuheit besitzende, scheinbar weltoffen klingende englische ersetzt: | |
Die Leseliste im Uni-Seminar wird zur „Reading List“ aufgemöbelt, nein: | |
gestylt, weil die Kommilitonen aus den USA sonst nicht wüssten, wozu Bücher | |
da sind. | |
Das Lernzentrum der Uni nennt sich „Learning Ressources Center“, damit die | |
Studenten aus Australien es nicht für einen Schlafsaal halten. Die | |
Absichtserklärung einer niedersächsischen Stadtverwaltung heißt „Letter of | |
Intent“, damit die Neuseeländer wissen, was Sache ist, und die Einweihung | |
einer Sportanlage findet am „Opening Day“ statt, damit wenigstens die | |
Bewohner der Falklandinseln sich eingeladen fühlen. | |
## Gleichschaltung von Stadtteilen | |
Dass Altstadt, Innenstadt, Zentrum und Stadtmitte zur „City“ wurden, | |
entspricht der kapitalistischen Ideologie, deren Vertreter den Stadtkern | |
zuvörderst als Geschäftsviertel wahrnehmen – und die weitere Stadtteile | |
gleichschalten wollen, indem sie diese zu „Business Improvement Districts“ | |
aufnorden, wie es die grün-rote baden-württembergische Landesregierung | |
vorhat. | |
Dass dieser „Trend“ sich abschwächt, wäre Wunschdenken, wenn es nicht | |
„Wishful thinking“ wäre. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch, | |
wusste Hölderlin – doch wächst es auf dem Mist der Oppositionellen? Aber | |
die sagen nicht Nein zur Bedrohung, sondern, wie in einer | |
Greenpeace-Aktion, „NO zu Gentechnik!“. Andere, wie Protestierer in | |
Hamburg, verzichten gleich ganz aufs olle Deutsch, lehnen die | |
Gentrifizierung als „Not in our name“ ab und vollziehen sie in der eigenen | |
Sprache. | |
Antimilitaristen bekämpfen die Bundeswehr unter der Parole „War starts | |
here“, Fußballanhänger halten Transparente hoch, auf denen „I love footba… | |
hate racism“ steht; „Fight racism now!“, „From protest to resistance“, | |
„Stop it!“ lauten die Schlagzeilen einer taz-Beilage. Womöglich wäre der | |
Kampf gegen Krieg, Faschismus und Rassismus wirkungsvoller, wenn man die | |
Adressaten, die man gewinnen will, in ihrer Sprache anspräche. | |
Die Arroganz, sie von oben herab auf Ausländisch zu traktieren, passt | |
besser zu Konzernen, die ihre Reklame nicht in die Sprache ihrer Kundschaft | |
übersetzen und denen ihr weltweit gleiches Erscheinungsbild, ihr Apparat, | |
ihr Betrieb, wichtiger ist. | |
## Anliegen werden wumpe | |
Man schadet sich am Ende womöglich selbst. Wer in Berlin für soziale | |
Gerechtigkeit demonstriert und Tafeln hoch hält, auf denen nicht „Zahlt, | |
ihr Arschlöcher“ steht, sondern „Pay you fuckers“, greift nicht die | |
Arschlöcher vor Ort an, sondern buhlt narzisstisch um internationale | |
Medienaufmerksamkeit, für die das Anliegen wumpe ist. | |
Nur ein Schritt ist es vom Narzissmus zum Autismus. In Wien gingen | |
Studenten und Dozenten gegen eine Hochschulreform mit Spruchbändern auf die | |
Straße, auf denen „Squatting Teachers“ zu lesen war – zum Glück hatten | |
alle, die die Demo sahen, ein deutsch-englisches Wörterbuch dabei. Das man | |
wohl auch benötigt, wenn die wissenschaftliche Initiative „Public | |
Understanding of Science“ an die Öffentlichkeit tritt. | |
Okay, nein: halt, einverstanden, die Entwicklung vom Dialekt zur | |
Hochsprache zur internationalen Verkehrssprache ist nicht aufzuhalten, | |
sondern notwendig. Sowieso gibt es viele brauchbare Übernahmen und | |
Entlehnungen, Wörter, die eine Lücke im Vokabular füllen oder nützliche | |
Oberbegriffe bilden wie der „Flyer“, der ein Flugblatt oder ein Handzettel | |
sein kann. (Allerdings fehlt dem Wort „Flyer“ der historische | |
Resonanzboden, weshalb es schnöselig wirkt, dieses Wort anstelle des 500 | |
Jahre alten „Flugblatt“ zu verwenden. Aber die Jugend will halt Neues, weil | |
sie selber neu ist.) | |
Englisch ist ein Reservoir für Neubildungen wie Griechisch und Latein. Man | |
nimmt sich, was man braucht, deutet es um wie beim „Handy“, ursprünglich | |
ein Adjektiv mit der Bedeutung „handlich“, oder wie beim „Public Viewing�… | |
das eigentlich die öffentliche Aufbahrung Toter bezeichnet. Oder man | |
bastelt sich was mit mehr oder eher weniger Geschick zusammen wie „HappyGo“ | |
(ein Schuhladen), „Funny Drive“ (eine Fahrschule) und „Fit for Future“ | |
(keine Ahnung). | |
Apropos keine Ahnung: Korrekt wäre „Fit for the Future“. Aber who cares | |
(Scheiß drauf), Hauptsache ist, man macht sich sprachlich stark für | |
Zukunft! | |
3 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
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