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# taz.de -- Krise der ostdeutschen Solarindustrie: Die Rein-raus-Stadt
> Um Frankfurt (Oder) macht Sigmar Gabriel bei seiner Tour durch
> ostdeutsche Betriebe einen großen Bogen. Der Ort steht für gescheiterte
> Konzepte.
Bild: Abendstimmung 2007, als die Welt am Conergy-Werk in Frankfurt noch in Ord…
FRANKFURT/ODER taz | Neels Wied steht vor der Fertigungshalle für
Solarmodule, drei Neonstreifen an der Fassade, orange, rot, gelb, strahlen
ihn an. Es ist Werk 2 der Firma First Solar, die Halle schimmert silbern,
hinter einer Fensterfront stehen Plastikstühle um Kantinentische. Wied hat
in dem Werk als Azubi gelernt. Die Maschinen in Halle 2 liefen gerade ein
halbes Jahr, da machte die Firma wieder dicht.
Noch 2011 bedeutete Solar gute Arbeit. „Es war eine Boom-Stimmung hier“,
sagt Wied. Für zehn Jahre hatte er mit Arbeit gerechnet – „mindestens“. …
seine Ausbildung nicht mal vorbei war, stand er schon vor verschlossenen
Türen. Jetzt fängt er am 1. Oktober auf der „Gorch Fock“ an. Nichts wie h…
zur Bundeswehr – nach zweijähriger Jobsuche in Frankfurt (Oder).
Wenn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in diesen Tagen
ostdeutsche Betriebe besichtigt, macht er um die Stadt an der polnischen
Grenze einen großen Bogen. Frankfurt (Oder) steht für all das, was bei der
Wirtschaftsförderung in Brandenburg schiefgelaufen ist: die
Subventionierung von Großprojekten, aus denen erst gar nichts wurde oder
die bald wieder eingingen. Da waren die Pläne für eine Chip-Fabrik, die
schon 2003 scheiterten. Und dann wurde die Stadt heiß auf den neuesten
Schrei beim Aufbau Ost: Solarfabriken. Die Wirtschaftsförderung lockte
wieder mit finanzieller Unterstützung. Drei Solarwunder wollte man
schaffen: Odersun, First Solar, Conergy.
Im April 2007 eröffnet Odersun sein Werk, gefördert mit 13,4 Millionen
Euro. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sagt, man fände in
Frankfurt alles, was man brauche. „Viel Platz, politische Unterstützung
durch das Land und Regionalbeihilfen aus Brüssel.“ Im Juli startet First
Solar die Produktion, 44 Millionen Euro schießen Land und Bund zu. Dafür
muss sich die Firma verpflichten, Arbeitsplätze auf fünf Jahre zu sichern.
Im November 2011 eröffnet First Solar ein zweites Werk, die
Wirtschaftsförderer geben 5,3 Millionen. Platzeck schwärmt von der
„Solarhauptstadt Europas“. Das Land Brandenburg werde zu einem „dicken
Fleck“ auf der Weltkarte der Solarwirtschaft, jubelt der damalige
Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU). „Frankfurt ist den
Solarherstellern in den Arsch gekrochen“, sagt dagegen Neels Wied.
## Billige Module aus China
Im Dezember 2011 kommt der erste Hilferuf: Odersun kann die Gehälter nicht
zahlen. Der neue Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) gewährt eine
Rettungshilfe von 3 Millionen Euro. Sechs Wochen später ist die Firma
pleite.
2012 kürzt die Bundesregierung abermals die Solarstromförderung,
gleichzeitig haben chinesische Hersteller mit billigen Modulen längst den
Markt erorbert. Und zudem hatten nicht nur in Frankfurt (Oder), sondern
auch an anderen ostdeutschen Orten die Wirtschaftsförderer Solarunternehmen
mit Subventionen gelockt. Nun gibt es gewaltige Überkapazitäten. Es folgt:
die Marktbereinigung.
Ende 2012 schließt auch First Solar, fünf Jahre nach Eröffnung. Das Geld
für das neue Werk zahlen sie zurück – für Werk 1 jedoch nicht. First Solar
hat sich ja an die Fünf-Jahres-Verpflichtung gehalten. 1.200 Mitarbeiter
werden gekündigt, die Maschinen eingelagert. Heute suchen noch immer
mehrere hundert ehemalige Mitarbeiter Arbeit.
Das Investor Center Ostbrandenburg wirbt auf seiner Internetseite noch mit
den Investitionen. First Solar, Conergy, Odersun – sie alle stehen noch auf
der Liste der „Ansiedlungserfolge“. Von modernsten Produktionsstätten und
Hochleistungsmodulen ist die Rede, von dem „unbürokratischem Zusammenspiel
zwischen Stadt und Unternehmen“. Doch auf Nachfrage will man keinen
Ansprechpartner für Fragen zur Förderung der Solarbranche haben.
## Ein Denkmal für die Stadt
Auch bei der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) will man sich zu
Förderungsgründen nicht offiziell äußern. Ein Mitarbeiter sagt, zum
Zeitpunkt der Förderung sei alles perfekt gewesen. Die Förderkriterien des
Landes seien erfüllt gewesen, das Land habe bestätigt, dass der Zuschuss
sinnvoll sei. Man habe aber vor zu viel Förderung und späterer
Marktbereinigung gewarnt. „Jetzt stehen die Werke hier wie ein riesiges
Denkmal für die Stadt“, sagt Wied. Auf dem Heinweg fährt er an der
Odersun-Werkshalle vorbei. „Zu verkaufen“ steht auf einem Banner an der
Fassade. Dass das Schild noch hängt, wundert Wied nicht. „In Frankfurt
glaubt keiner mehr, dass ein neuer Großinvestor kommt.“
Die 270 Mitarbeiter des dritten Solarwunders, Conergy, haben daran auch
nicht geglaubt. Einen Tag vor ihrer Entlassung kam die Nachricht: Die
Chinesen kaufen den insolventen Laden! Die Tochterfirma der chinesischen
Chint Gruppe, Astronergy, übernimmt Conergy.
Die Solarbranche in Frankfurt (Oder), das ist jetzt Astronergy.
Ausgerechnet eine Firma aus dem Land, das die deutschen Fabriken
niederkonkurriert hatte, wurde Ende 2013 zum Heilsbringer. Die
Planwirtschaft konnte es sich leisten, unter Herstellungskosten zu
verkaufen. Damit niemand pleitegeht, hatte die chinesische Regierung die
Solarfirmen subventioniert. Die verkauften ihre Produkte billig in Europa.
Die deutschen Solarhersteller fürchteten das Preisdumping so sehr, dass die
EU auf ihren Druck hin im Dezember 2013 Schutzzölle erhob und Mindestpreise
aushandelte.
Jetzt stehen Sicherheitsschuhe in Größe 37 in der Astronergy-Werkshalle, um
Chinesen die Fabrik zeigen zu können. „Die haben sich in Made in Germany
verliebt“, sagt Geschäftsleiter Sven Starke zu der Frage, was die Chinesen
auf dem eingebrochenen Markt wollen. Chint kann so ganz legal den
Mindestpreis umgehen. „Ziel ist, billiger zu sein als die Konkurrenz“, sagt
Starke. Noch sei man in den roten Zahlen – „aber Ende des Jahres soll eine
schwarze Zahl stehen“.
## Transfergesellschaften statt regulärer Verträge
Ein Teil auf dem Weg dahin ist die schwarze Anschlussdose, die am Modul den
Stromkreis verbindet. In den Werkshallen zischt die Hydraulik des
Greifarms, den Männer auf ein neues Dosenmodell programmieren. „Die Dose
kommt jetzt aus China. Selbst mit Transportkosten ist sie günstiger als
hier“, sagt jemand.
Geht es Astronergy gut, jetzt, wo die Konkurrenz vor Ort weg ist? „Schön
wär’s“, sagt Harald Frick. Als Betriebsratsvorsitzender bei Conergy und
jetzt Astronergy kämpft er für höhere Löhne. Es gebe zu viele Leiharbeiter
und die Arbeit sei verdichtet, weil Chint nicht alle übernommen habe.
„Dabei hatte man zugesagt, bei Produktionserhöhung die Mitarbeiter wieder
einzustellen.“ 70 Menschen wechselten in die Transfergesellschaft. Die
Mehrheit habe sich für 12-Stunden-Schichten entschieden, um vier Tage frei
haben zu können. Geschäftsführer Starke will „diese Horrorszenarien nur
bedingt verstehen“. Kein Mitarbeiter falle aufgrund der Arbeitsintensität
in Ohnmacht. Und eine Lohnerhöhung? „Da wäre die Insolvenz noch schneller
gekommen.“
Der Geschäftsführer sieht eine schwarze Zahl am Horizont, Harald Frick die
schlechte Stimmung. China-Kenner versicherten ihm, dass die Chinesen die
Frankfurter nicht hängen lassen. „Aber Zukunft fühlt sich anders an“, sagt
er – und das trotz der großen Marktbereinigung.
6 Aug 2014
## AUTOREN
Julia Neumann
## TAGS
Energiewende
Sigmar Gabriel
Arbeitslosigkeit
Solarenergie
Insolvenz
Schwerpunkt Ostdeutschland
Erneuerbare Energien
China
Energiewende
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