# taz.de -- Erinnerungskultur in Südtirol: Das war überfällig | |
> Ein neues Dokumentationszentrum im italienischen Bozen setzt sich mit der | |
> faschistischen Architektur des lokalen Siegesdenkmals auseinander. | |
Bild: Siegesdenkmal mit Manschette. | |
„Das Auffallendste an Denkmälern ist“, notierte Robert Musil, „dass man … | |
nicht bemerkt.“ Dies traf in besonderer Weise auf das Siegesdenkmal in | |
Bozen zu, der Hauptstadt Südtirols. Obwohl es kaum zu übersehen ist. Wer | |
über die wichtigste Brücke der Stadt fährt, die Talferbrücke, stößt direkt | |
darauf. | |
Als monumentaler Triumphbogen markiert es die beiden Seiten einer Stadt: | |
hinter ihm die Altstadt Bozen, vor ihm das neue Bolzano. Es bedurfte also | |
einer gewissen Anstrengung, es nicht zu sehen, und die zu leisten waren die | |
meisten, deutsch- wie italienischsprachige Südtiroler, bereit. Es war von | |
Grund auf falsch gelagert, aus purer Ideologie geboren, der zu begegnen | |
sinnlos schien. | |
Schließlich gab es ja auch noch die, die es nicht lassen wollten, mit dem | |
Denkmal an den Sieg Italiens über Österreich-Ungarn im Jahr 1918 zu | |
erinnern und an das Ende der deutschen Vormachtstellung im Alpenraum. Ihnen | |
standen jene gegenüber, die nicht müde wurden, das Trauma der Annexion der | |
deutschsprachigen Bevölkerung durch einen ergaunerten Sieg Italiens zu | |
beschwören. Jeder, der vom unüberwindbaren Starrsinn gezeichnet war, konnte | |
sich daran festbeißen. Der Rest schielte daran vorbei. Ohnehin musste man | |
sich auf den Verkehr konzentrieren. Aus der Perspektive eines Autofahrers | |
ist das Siegesdenkmal eine Verkehrsinsel. | |
Daran hat sich jetzt einiges geändert. Das Monument steht offen da, die | |
hohen Zäune, die es vor Anschlägen schützen sollten, sind entfernt, es | |
wurde renoviert und nach langem Streit einigte man sich darauf, im Keller | |
des Siegesdenkmals ein Dokumentationszentrum einzurichten. Es wurde im Juli | |
dieses Jahres eröffnet; 86 Jahre nach seiner Einweihung durch Mussolini, | |
der es zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bei dem Architekten | |
Piacentini in Auftrag gegeben hatte. | |
## Gesten der Unterwerfung | |
Auf den ersten Blick sichtbar ist ein digitaler Ring, der an der Frontseite | |
um eine der liktorischen Säulen gelegt wurde. In roter Laufschrift gibt er | |
den verkürzten Titel der Ausstellung wieder: „BZ ’18–’45“. Diese kle… | |
banale Manschette bewirkt Erstaunliches: Sie wirkt wie ein Nasenring, an | |
dem das Denkmal aus dem miefigen Stall der Geschichte heraus in die | |
gegenwärtige Reflexion geführt wird. Nicht mehr die Repräsentanz des | |
Denkmals ist, was strahlen soll; stattdessen unterstützt der analytische | |
Blick auf zwei Weltkriege, zwei Diktaturen und zwei faschistische | |
Ideologien die Erkenntnis und wappnet für den Umgang mit heutigen und | |
künftigen Weltansprüchen. | |
Die komplette Entzauberung verkörpert allein die liktorische Säule mit den | |
antiken Fasci – die Kampfbündel, die Sinnbild waren für Mussolinis | |
Revolution –, um die jetzt die Leuchtziffern zweier Weltkriege flitzen. | |
Jetzt fällt es leicht, den eingearbeiteten Gesten der Unterwerfung | |
nachzuspüren. War man bisher gezwungen, zu dem Triumphbogen emporzusehen, | |
ist es jetzt erlaubt, auf einer Ebene mit dem Denkmal zu stehen und auf | |
alles Darunterliegende hinabzusehen. | |
Im Eingangsbereich des Dokumentationszentrums empfängt einen ein Zitat von | |
Brecht: „Die Pflicht eines Patrioten ist es, sein Land vor der eigenen | |
Regierung zu schützen.“ Das lässt keine Zweifel offen: Hier soll dem naiven | |
Blick keine Gelegenheit gegeben werden, sich an einer totalitären | |
Geschichte zu erbauen. | |
Ein innerer und ein äußerer Parcours lassen in der Ausstellung dem Besucher | |
die Freiheit, zwischen den politischen Ereignissen einerseits und der | |
Entstehung, der Funktion und der Bauart des Denkmals andererseits zu | |
wechseln. Machtwechsel, Faschismus, Italianisierung, der Pakt zwischen | |
Hitler und Mussolini, die Optionszeit, die nationalsozialistische | |
Herrschaft, Bozen als ein Kreuzungspunkt zweier Diktaturen: Das sind die | |
politischen Ereignisse. | |
## Karikatur des Triumphes | |
Kunsthistoriker setzen sich mit der Bildsprache des Bildhauers, Malers und | |
Architekten Marcello Piacentini auseinander. Angesichts der überbordenden | |
Vielzahl der symbolischen Bezüge, die er genutzt hat, von der Antike bis | |
zur christlichen Erlöserfigur, und angesichts der absolutistischen Strenge, | |
die aus allen Details spricht, wirkt das Denkmal doch auch wie eine | |
Karikatur. | |
Der Bau des Siegesdenkmals kennzeichnet einen geschichtlichen Moment, als | |
der italienische Faschismus sich in seiner Höchstphase befand. Die | |
Ausstellung scheut sich nicht, den Stolz der Sieger zu zeigen, und dabei | |
nicht beim Chauvinismus der Herrschenden stehen zu bleiben, sondern auch | |
eine patriotische Gesellschaft einzubeziehen, die im Rausch der modernen | |
Italianità von sich überzeugt war und die sich feierte, jubelte und die | |
sich zweifellos auf der Gewinnerseite wähnte. | |
Es ist ein mutiger Schritt, den italienischen Faschismus an einem | |
neuralgischen Ort darzustellen, dort, wo sein Triumphgebaren in direkter | |
Nachbarschaft zu denen inszeniert wurde, die er unterdrückte. Dass seine | |
Geschichte auch dort reflektiert wird, wo lange hauptsächlich das Schicksal | |
der besetzten und eroberten Südtiroler im Vordergrund stand, bietet die | |
Chance, auch für die Reflexion der deutschen Geschichte in ein neues | |
Verhältnis einzusteigen. Was es jetzt schon ist: ein starkes Zeichen des | |
Vertrauens, das sich beide Seiten mit dem Dokumentationszentrum zugemutet | |
haben. | |
15 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Maxi Obexer | |
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Wladimir Putin | |
Schwerpunkt Frei.Wild | |
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