# taz.de -- Report aus dem Kriegsgebiet Ostukraine: Im Kessel von Donbass | |
> Die Versorgung ist nahezu zusammengebrochen. Eine Flucht wird | |
> schwieriger. Nachts schlafen die Menschen unter dem Lärm der Bomben. | |
Bild: Donezk am 7. August: Im Keller eines Krankenhauses haben Menschen Schutz … | |
DONEZK taz | Von Tag zu Tag wird die humanitäre Lage der Menschen im | |
Donbass unerträglicher. Das wissen die Bewohner, das wissen die Behörden | |
und das weiß auch die UNO. Doch woran fehlt es den Menschen konkret? | |
Geradezu planmäßig hatten die Aufständischen den gesamten Sommer über die | |
Infrastruktur der von ihnen eingenommenen Städte zerstört. Gezielt wurden | |
Wasser- und Stromversorgung, das Bankensystem, die Arbeit der | |
Rechtsschutzorgane und Lehranstalten zerstört. Durch die Kämpfe wird die | |
Versorgung in einem Tempo vernichtet, bei dem die Instandhaltung nicht mehr | |
mitkommt, obwohl Fachleute rund um die Uhr mit Reparaturarbeiten | |
beschäftigt sind. Derzeit sind in Donezk 12.000 Bewohner völlig ohne Strom. | |
Noch schlimmer ist die Situation in Lugansk. Der Stadtrat schlägt Alarm, | |
die Stadt kämpfe schlicht um ihr Überleben. „Am Morgen des 11. August haben | |
wir einen sehr kritischen Punkt erreicht. Als Zentrum des Bezirks sind wir | |
völlig von der Stromversorgung abgeschnitten. 250.000 Bewohner, die immer | |
noch in der Stadt leben, haben schon neun Tage lang keinen Strom und kein | |
Wasser. Es funktionieren weder Mobilfunk- noch Festnetz“, berichtet der | |
Stadtrat. Außerdem seien die meisten Geschäfte von Lugansk geschlossen, | |
Lebensmittel müsse man sich auf dem Schwarzmarkt besorgen. | |
Nach Angaben der Verwaltung gelangen in die Stadt keine Lebensmittel, keine | |
Medikamente und kein Treibstoff mehr. Außerdem werden keine Löhne, Renten | |
und Sozialhilfe ausgezahlt. Der Stadt droht eine ökologische Katastrophe, | |
weil Abfälle nicht mehr aus der Stadt geschafft werden können. | |
Es ist schwer, Lugansk zu verlassen. Die Eisenbahn ist außer Betrieb, weil | |
die Gleisbetten infolge der Kämpfe stark beschädigt sind. Die Lugansker | |
berichten, dass die Kämpfer niemanden aus der Stadt lassen wollen. Denn sie | |
brauchen die Zivilisten als menschliche Schutzschilde, um sich vor einer | |
Erstürmung durch die ukrainische Armee zu schützen. | |
In Donezk hält sich die humanitäre Katastrophe noch in Grenzen. Allerdings | |
gibt es hier, wie auch in den anderen umkämpften Städten, kein Insulin. Das | |
wird auch bis zum Ende des Krieges so bleiben. Andere Medikamente sind noch | |
erhältlich – Restbestände aus besseren Zeiten. Krankenhäuser und | |
Rettungsdienste arbeiten noch, wenn auch unter Dauerbeschuss. Große Gefahr | |
droht Kindern, die an Krebs erkrankt sind. Sie brauchen regelmäßig | |
Bluttransfusionen, doch diese nach Donezk zu bringen, ist unmöglich. | |
Deshalb rufen Helfer die Bevölkerung in Donezk dazu auf, Blut zu spenden. | |
## Polizei ist nirgends zu sehen | |
Am einzigen Busbahnhof, der noch in Betrieb ist, stehen Menschen Schlange, | |
um die Kampfzone zu verlassen. An den Kontrollpunkten überprüfen die | |
Aufständischen die Pässe der Einwohner und sprechen davon, dass sie Männer | |
für den Kampf mobilisieren wollen. Dabei ist klar, dass niemand hier mehr | |
auf der Seite der Aufständischen kämpfen möchte. Von humanitären | |
Korridoren, die von Separatisten geschaffen wurden, kann hier keine Rede | |
sein. Frauen erzählen, dass es unkompliziert sei, die Stadt zu verlassen. | |
Tatsächlich sind die Separatisten Männern gegenüber wachsamer. „Wegfahren | |
könnte man, wenn man nur wüsste, wohin. An den Kontrollpunkten werden nur | |
Männer überprüft. Bei der Einreise nach Donezk werden ihnen die Hemden | |
hochgezogen, um nach Spuren von Gewehrriemen an der Schulter zu suchen“, | |
erzählt Jana, die in Donezk lebt. | |
Seit Dienstag verlassen keine Züge mehr Donezk. Die Regierung rät den | |
Bewohnern von Lugansk und Donezk, die Städte zu verlassen, bevor der | |
Großangriff beginnt. | |
Dort, wo die Antiterroroperation durchgeführt wird, gibt es ein Problem mit | |
den Banken. Die ukrainische Nationalbank hat alle Transaktionen in den | |
Gebieten der Aufständischen verboten. Noch ist unklar, was mit der | |
Auszahlung von Sozialleistungen geschehen wird und wie Betriebskosten | |
bezahlt werden können. | |
Ein anderer Aspekt ist die Sicherheit. Wir schlafen nachts unter dem Lärm | |
explodierender Bomben ein. Auch die Kriminalitätsrate ist stark gestiegen. | |
Unsere Städte waren nie vorbildlich in dieser Hinsicht. Eine Rechtsordnung | |
und Ordnungshüter gibt es aber keine mehr. Seit einem Monat arbeiten die | |
Gerichte nicht mehr, Polizei ist nirgends zu sehen. Alle weißen | |
Polizeiautos mit Blaulicht sind von Separatisten beschlagnahmt worden. Beim | |
Geräusch einer Sirene, weiß man sofort, dass Aufständische den Wagen | |
steuern. | |
Am Mittwoch fiel ein Sprengkörper auf ein Gefängnis. 106 Personen entkamen. | |
Ein Teil von ihnen kehrte jedoch freiwillig zurück, um sich nicht den | |
Kämpfern anschließen zu müssen. Jetzt laufen in Donezk rund 60 bewaffnete | |
Diebe und Vergewaltiger frei herum. | |
Aus dem Russischen von Ljuba Naminova und Bernhard Clasen | |
12 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Valerija Dubova | |
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