| # taz.de -- Streit um Hunde: Halterkunde statt Rassismus | |
| > Dass „Kampfhunde“ gefährlicher sind als andere, ist wissenschaftlich | |
| > nicht belegt, sagen Tierschützer. Sie fordern Reformen. Die Politiker | |
| > bleiben skeptisch. | |
| Bild: Einer von beiden ist auf jeden Fall ungefährlich | |
| BREEMEN taz | Yvonne Nawrat kennt sich mit aggressiven Hunden aus. In ihrer | |
| Hundeschule „Hundetraining Paradogs“ in Bremen hat sie sich auf genau diese | |
| Fälle spezialisiert. Auch mit sogenannten Kampfhunden hat sie immer wieder | |
| zu tun. Doch die fallen ihr eher positiv auf: „Oft sind das gelehrige und | |
| schlaue Hunde.“ Bestehende Vorurteile, dass sie angriffslustig oder | |
| „scharf“ sind, kann sie nicht bestätigen. | |
| Ende 2014 muss das Bremer Hundegesetz von 2002 neu verhandelt werden. Das | |
| gibt TierschützerInnen Anlass zur Hoffnung auf eine Novellierung: Wie | |
| Nawrat kritisieren sie seit Jahren, dass darin die „Listenhunde“ wie | |
| Pitbull oder Staffordshire Terrier „diskriminiert“ werden. Anfang August | |
| zog deshalb bereits der Verein „Soka Run e.V.“ samt „Kampfhunden“ mit e… | |
| Demo durch die Bremer Innenstadt. | |
| Die DemonstrantInnen forderten „Halterkunde statt Rasseliste“: Also, dass | |
| die Halter genauer unter die Lupe genommen werden – statt pauschal ganze | |
| Hunderassen zu problematisieren. Begründung: Das Verhalten der Tiere werde | |
| letztendlich durch den Halter verursacht – und sei nicht in den Genen der | |
| Hunde angelegt. Hundetrainerin Nawrat findet: „Aggression ist ein normales | |
| Sozialverhalten von Hunden.“ Aus mangelnder Erziehung der Hunde aber | |
| könnten ernste Probleme resultieren. „Zum Beispiel, wenn ein Hund keine | |
| Grenzen kennenlernt oder er nicht lernt, adäquat aggressiv zu | |
| kommunizieren, dann kommt es vor, dass der Hund sich gegenüber Artgenossen | |
| übermäßig aggressiv verhält“, so Nawrat. Etwa wenn er im Ballspiel mit dem | |
| Herrchen merke, dass er die Beute ’Ball‘ hemmungslos verteidigen dürfe. | |
| Im Bremer Hundegesetz allerdings werden vier Hunderassen, sowie deren | |
| Kreuzungen als gefährlich betitelt: Pitbull-Terrier, Bullterrier, American | |
| Staffordshire Terrier und Staffordshire Bullterrier. Das bedeutet, dass | |
| Zucht und Handel mit ihnen verboten ist. Auch ihre Haltung ist in Bremen | |
| nicht erlaubt, sofern sie nicht aus einem Bremer Tierheim übernommen | |
| wurden. Bis die Tiere einen Wesenstest bestehen, müssen sie außerhalb der | |
| Wohnung ständig an der Leine laufen und außerdem einen Maulkorb tragen. | |
| „Genau genommen ist ein ständiger Leinenzwang tierschutzwidrig“, sagt | |
| Sabine Strobel, Mitarbeiterin des Tierheims Arche Noah in Stuhr. Dennoch | |
| sollen in Bremen durch den Leinenzwang auch zukünftig Beißvorfälle | |
| verhindert werden. In der Tendenz sind sich die Fraktionen der CDU, SPD und | |
| der Grünen darin einig: Die Rasseliste bleibt. Nur die Linksfraktion | |
| spricht sich für die Abschaffung der Rasseliste aus. Die CDU beruft sich | |
| darauf, dass es mit dem Gesetz weniger Beißvorfälle gibt, 94 wurden 2013 | |
| dokumentiert. Laut der Hundebeißstatistik des Jahres 2013 für die Stadt | |
| Bremen wurden 14 davon allerdings durch Schäferhunde verursacht, die in | |
| keiner Rasseliste stehen. Die Statistik ist jedoch wenig aussagekräftig, da | |
| nicht bekannt ist, wie viele Schäferhunde es überhaupt in Bremen gibt. | |
| Frank Pietzrok, Geschäftsführer der SPD-Fraktion argumentiert: „Es gibt | |
| keine Gesetzesänderung, bis es eine wissenschaftlich eindeutige Grundlage | |
| gibt, dass diese Hunde ungefährlich sind.“ Doch die gibt es: Mehrere | |
| Dissertationen der Tiermedizinischen Hochschule in Hannover liegen vor, die | |
| sich mit der Gefährlichkeit verschiedener Hunderassen beschäftigen. Diese | |
| Studien belegen, dass die als gefährlich abgestempelten Rassen nicht | |
| aggressiver sind als andere. So heißt es etwa in der 2002 veröffentlichten | |
| Dissertation „Untersuchung des Verhaltens von fünf Hunderassen und einem | |
| Hundetypus im Wesenstest nach den Richtlinien der Niedersächsischen | |
| Gefahrtierverordnung vom 5. 7.2000“ von Angela Mittmann: Hunde des | |
| Pitbull-Typus „zeigten keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich des | |
| gezeigten aggressiven Verhaltens“. | |
| ## Es liegt "immer" am Menschen | |
| Dorith Feddersen-Petersen, Kieler Verhaltenswisschenschaftlerin mit dem | |
| Schwerpunkt Hund sieht das ähnlich: Es gebe zwar Unterschiede beim | |
| Aggressionsverhalten einzelner Rassen, aber: „Würde man die Vorgeschichte | |
| schlimmer Vorfälle untersuchen, würde sich herausstellen, dass es immer am | |
| falschen Umgang der Menschen mit ihren Tieren liegt, wenn ein Hund schwer | |
| beißt“, so Feddersen-Petersen. | |
| Doch wie sollen nun Beißvorfälle zukünftig verhindert werden? Die Angst der | |
| PolitikerInnen, durch eine zu lasche Gesetzgebung am Ende für Attacken | |
| verantwortlich gemacht zu werden, ist groß. | |
| ## Keine Mehrheit für Hundeführerschein | |
| Linda Neddermann, Sprecherin für Tierschutzpolitik der Grünen-Fraktion | |
| sagt: „Ich als Tierschützerin habe die persönliche Meinung, dass wir in | |
| Bremen anstatt der Rasseliste einen Hundeführerschein für alle Hundehalter | |
| einführen sollten.“ Auch sie argumentiert mit der Sicherheit – vor drei | |
| Jahren gab es einen Beißvorfall mit einem Huskys, bei dem ein Säugling | |
| getötet wurde. Huskys stünden wie Schäferhunde nicht auf irgendwelchen | |
| Rasselisten – obwohl es deutschlandweit mehr Beißvorfälle von Schäferhunden | |
| gebe als von den gelisteten Hunden. Diese Vorfälle könnten mit dem | |
| aktuellen Gesetz nicht verhindert werden. „Jedoch gibt es dafür in meiner | |
| Partei noch keine Mehrheit“, so Neddermann. | |
| Für die Linken-Fraktionsvorsitzende Kristina Vogt wäre es eine Möglichkeit, | |
| dass ein „fachlich gebildeter und verantwortungsvoller Hundebesitzer | |
| gefördert“ wird. In Niedersachsen wird das bereits praktiziert: Dort muss | |
| jeder Hundebesitzer einen Sachkundenachweis vorlegen, wozu er eine | |
| theoretische und eine praktische Prüfung ablegen muss. Eine Rasseliste wie | |
| in Bremen gibt es dort nicht. | |
| Theresa Weyer vom Tierschutz-Verein „Soka Run“ hat die Hoffnung, dass | |
| Bremen sich an Niedersachsen orientieren könnte. Ihre Demo nennt sie einen | |
| „Erfolg“: Die meisten der etwa 300 TeilnehmerInnen brachten ihre Hunde mit, | |
| um deren Friedfertigkeit zu beweisen. Weyer sagt: „Wir konnten die Bremer | |
| positiv überraschen. Viele Anwohner erschraken beim Anblick unserer | |
| sogennanten Kampfhunde zunächst, aber dann haben sie gesehen, dass sie | |
| freundlich sind und sogar miteinander spielten.“ | |
| 17 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Wiebke Schumacher | |
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