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# taz.de -- Resozialisierungstraining für Kampfhunde: Die mit den Höllenhunde…
> Vanessa Bokr hat viel Verständnis für problematische Hunde. Von
> Leckerli-Erziehung hält sie nichts. Der Andrang ist groß.
Bild: Blick aus dem Küchenfenster des Hofes am Rande der Lüneburger Heide
Hörpel taz | Einer knurrt, dann geht das Gebell los. Hundestimmen fallen
übereinander her, kläffen, keifen, quietschen, brummen, donnern, irre laut,
da draußen im Garten muss es um etwas Ernstes gehen.
Das dumpfe Klatschen einer flachen Hand auf einer Fensterscheibe kommt
dazu, „Timmmmmmmm! Tim! Lass das!“, ruft Vanessa Bokr. Die Horde von gut 15
Hunden im Garten vor dem Fenster der großen Kaffeeküche wird leiser, ein
kurzes Jaulen, dann ist Ruhe. Vanessa Bokr dreht sich vom Fenster weg,
schaut nun in die Küche. „So ein Idiot“, sagt sie grinsend über Tim. „R…
sich auf, weil ein anderer Hund sich nicht provozieren lässt, und geht
allen anderen damit auf die Nerven.“
Sie geht durch den Raum und setzt sich zurück an den Küchentisch zu ihrer
Kollegin, guckt noch mal kurz aus dem Fenster, dreht sich dann um und nimmt
einen Schluck aus der Kaffeetasse. Die langen dunkelbraunen Haare hat Bokr
zu einem lockeren Knoten zusammengebunden. Sie trägt eine zerschlissene
Jeans und einen schwarzen Kapuzenpulli. Darüber baumelt ein runder Anhänger
mit Pentagramm.
Jetzt, in der Ruhe, könnte das von weiten Feldern umgebene ehemalige
Bauernhaus auch ein Kindergarten sein. Mit Erzieherinnen, die Kaffee
trinken, klönen und dabei auf die Kinder aufpassen, die im Garten
rumturnen. Doch einige der Schützlinge an diesem Ort tragen Maulkörbe – und
das mit gutem Grund.
Das Bauernhaus gehört zur Hellhound Foundation im niedersächsischen Hörpel
am Rand der Lüneburger Heide, einer Pension und Hundeschule für
problematische Hunde. Wie der Rottweiler, der einen Jack Russel Terrier
totgebissen hat. Oder der Alano, der seine beiden Besitzer angefallen und
ihnen das Gesicht entstellt hat. „Wir sind der letzte Rettungsanker für
Hunde, die niemanden mehr haben, die eingeschläfert werden sollen“, sagt
Bokr. Sie hat die Foundation 2015 gegründet. Finanziert wird sie durch
Gebühren, die Hundebesitzer:innen und Tierheime ihr zahlen, und durch
Spenden.
## Hund in der Krise
Vierzig Hunde leben derzeit auf dem zwei Hektar großen Grundstück – Bokr
hat Aufnahmestopp verhängt. Ein Labradoodle, ein „Hybridhund“, mit weiß
gelocktem Fell guckt von außen durch das Küchenfenster. Das ist dreckig,
lauter matschige Schlieren an der Scheibe. „Das ist kein Schmutz – das ist
Hundenasenkunst“ klärt ein Schild auf. Ein dünner Schäferhund mit rotem
dreieckigem Halstuch nähert sich zitternd, um dann doch wieder
zurückzuweichen.
Vanessa Bokr sagt: „Hunde wurden einst für einen Zweck gezüchtet. Wir
hatten Jagdhunde, wir hatten Wachhunde, wir hatten Schoßhunde.“
Mittlerweile sei es aber so, dass Hunde in Familien gehalten werden – und
den in ihren Genen verankerten Aufgaben wie Jagen oder Hüten nicht mehr
nachkommen können.
Das werde dem Hund nicht gerecht: „Wenn ich einen Spitzensportler aus dem
Sport nehme, ihn in eine Wohnung setze und sage: ‚Du kannst jetzt hier
Reportagen über Sport angucken, das ist aber auch das Einzige, was du noch
damit zu tun hast‘, dann wird es dem auch schlecht gehen.“
Am Fenster hat sich ein sibirischer Schlittenhund hingelegt. Sein Fell ist
dick und wuschelig. Seine Rasse lebte früher im Sommer wild in den Wäldern
des heutigen Russlands, wurde dann im Winter angefüttert und vor Schlitten
gespannt. Bei seiner Familie in Deutschland hatte er keine Aufgabe, im
Sommer ist es ihm viel zu heiß. Irgendwann fing er an zu schnappen. „Der
ist total frustriert. Er versteht nicht, welche Rolle er als Hund hat. Und
landete am Ende mit einer Identitätskrise bei mir“, sagt Vanessa Bokr.
Identitätskrise: Das klingt menschlich, gar nicht nach Hund. Laut Bokr geht
es immer darum, sich selbst und die eigene Rolle innerhalb der Gesellschaft
zu finden. Kann ein Hund die in ihm angelegten Neigungen nicht ausleben
oder wird gar in eine andere hineingedrängt, irritiert ihn das. Und das
kann zu einer Krise führen. Wie beim Menschen äußern sich diese Krisen beim
Hund individuell. Durch dauerndes Zittern und Nervosität, durch starke
Schüchternheit – oder eben durch neu auftretende Bissigkeit.
Während sie erzählt, legt der bedrohlichste der anwesenden Hunde, ein
argentinischer Saupacker, dem der Geifer aus dem Maulkorb tropft, den Kopf
auf Vanessa Bokrs Oberschenkel ab. Sie krault dem Tier den Kopf, als wäre
er ein zahmer Pudel. Bokr, so scheint es, hat ein großes Herz für alle
Hunde. Als Jugendliche nahm sie den ersten Hund bei sich auf, dessen
Eigentümer ihn einschläfern lassen wollte. Sie wurde Hundetrainerin und
arbeitet mittlerweile seit 15 Jahren mit aggressiven Hunden. Dass sie auch
mal gebissen wird – gerade im Februar hatte ihr eine Bulldogge die Lippe
zerfetzt – gehört für sie dazu.
Plötzlich springt sie vom Stuhl auf, schreit „Tiim! Letzte Verwarnung!“,
während sie vom Tisch zurück zum Fenster eilt. Draußen bellen die Hunde
noch etwas hitziger als zuvor. Mit der linken Hand legt Bokr den Griff um,
öffnet das Fenster, stemmt sich durch den Rahmen, rennt durch den Garten.
„Es reicht mir jetzt mit euch!“, ruft sie, packt zwei am Halsband und
drückt sie mit einem Ruck auseinander. Dann zerrt sie einen aus dem
Außengehege der Gruppe in die rechts angrenzenden Stallungen, wo die
Zwinger untergebracht sind.
Es ist diese Art, den Tieren Grenzen aufzuzeigen, deretwegen sie mit
manchen anderen Tierschützer:innen und Trainer:innen aneckt. Jenen, die ein
Tier nie auch nur grob angefasst sehen wollen und ihre Hunde vor allem mit
Leckerlis und Lob trainieren. Bokr hält davon nichts. „Ich will die Hunde
auf das echte Leben vorbereiten“, sagt sie. „Im echten Leben gibt es keine
Leckerlies, da gibt es Stresssituationen. Und auf die müssen Hunde
vorbereitet sein und wissen, wie sie richtig reagieren.“
Deswegen werden die Tiere nach einer zweiwöchigen Eingewöhnungsphase in der
Gruppe gehalten. Vier Wochen lang sollen sie da – so würde man beim
Menschen sagen – Selbstfindung betreiben. Sie finden heraus, welche Rolle
sie in der Hundegesellschaft einnehmen, was sie sich gefallen lassen, was
sie nicht dulden.
Bokr beobachtet in dieser Zeit das Verhalten der Tiere und kann
herausfinden, wo die Probleme liegen. Dass ein Hund immer beißt, wenn ihn
jemand berührt, zum Beispiel. Sie kann dann gezielt an dem Verhalten
arbeiten. Den Hund beispielsweise langsam an Berührungen gewöhnen. Und ihm
eine alternative Lösung zum Beißen zeigen, wie einen Schritt zur Seite zu
gehen, um der ungewollten Berührung auszuweichen. Außerdem müssen Hunde für
die Weitervermittlung auch lernen, Alltägliches wie Gassigehen,
Streicheleinheiten oder vorbeifahrende Fahrradfahrer zu akzeptieren. Vieles
von dem, was Vanessa Bokr anwendet, hat sie in ihrer Ausbildung zur
Hundetrainerin im Canis-Zentrum für Kynologie gelernt. Anderes hat sie
selbst herausgefunden.
In guten Monaten könne sie zwei bis drei Hunde weitervermitteln, sagt sie.
Das klappt aber nicht immer: 17 Hunde hat sie zurzeit, die für immer bei
ihr bleiben werden. Weil das Amt es so entschieden hat, weil sie es nicht
verantworten kann oder weil das Tier zu alt ist und in der Foundation sein
Gnadenbrot kriegt.
Zu diesen Hunden hätte auch der Kampfhund aus Hannover, Chico, gehören
können. Chico, ein Stafford-Mischling, hatte Anfang April seine
Besitzer:innen getötet und wurde unter viel Protest eingeschläfert.
„Im Fall von Chico sind zwei Menschen zu Tode gekommen. Und die
Hinterbliebenen müssen mit dem ganzen Hass, der ihnen entgegenschlägt,
klarkommen“, sagt Vanessa Bokr. Zum ersten Mal heute spricht sie leiser und
zögerlicher, spielt mit ihrer Hand an der Pentagrammkette um ihren Hals.
„Wenn die dann auch noch ertragen müssten, dass dieser Hund in einer
Einrichtung sitzt, wo er gefüttert wird – das finde ich nicht fair. Und
wenn die sagen: Ey, der hat meine Mutter getötet, der soll eingeschläfert
werden, dann ist das völlig legitim.“
Dennoch liegt für sie das Problem nicht bei den Tieren, sondern bei den
Haltebedingungen. Ob Rassen, die für einen bestimmten Zweck gezüchtet
wurden, dem sie hier nicht mehr nachgehen können, oder Kampfhunde: Bei
beiden wünscht Bokr sich, dass sie nicht mehr gehalten werden dürfen – den
Hunden zuliebe. Oder dass wenigstens überprüft werde, ob die
Haltebedingungen angemessen und die Besitzer:innen dem Tier gewachsen sind.
Ihre Idee ist: Je mehr Menschen verstehen, dass sie falsch mit ihren Tieren
umgehen, und je mehr sie ihnen beibringt, das zu ändern, desto weniger
müssen in eine Einrichtung wie die ihre. Oder eingeschläfert werden.
10 Jun 2018
## AUTOREN
Maike Brülls
## TAGS
Hunde
Kampfhunde
Lesestück Recherche und Reportage
Liebeserklärung
Hund
Schwerpunkt Rassismus
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