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# taz.de -- Christen im Nordirak: Konvertieren oder sterben
> Sie machen sich gegenseitig Mut. In einer Kirche in der kurdischen Stadt
> Erbil treffen sich Hunderte Christen nach ihrer Flucht vor den
> IS-Milizen.
Bild: Eine Christin, die sich in die St.-Josephs-Kirche in Erbil geflüchtet is…
ERBIL taz | Sie suchen Schutz im Schatten der Arkaden der
St.-Josephs-Kirche, im Zentrum der kurdischen Provinzhauptstadt Erbil.
Hunderte Menschen leben nach ihrer Flucht rund um die Kirche. Überall sind
Plastikplanen aufgespannt, stapeln sich die Matratzen, werden Töpfe
gewaschen oder spielen Kinder. Die meisten hier sind mit dem nackten Leben
davongekommen. Geflohen vor den Kämpfern des Islamischen Staates (IS) aus
ihren christlichen Dörfern rund um die nordirakische Stadt Mossul.
Es ist Sonntagmorgen. Drinnen wird gerade ein Gottesdienst speziell für die
Geflohenen abgehalten. In den enthusiastischen Gebeten der
Flüchtlingsgemeinde schwingen viel Verzweiflung über das Geschehene und
viel Ungewissheit über die Zukunft mit. Gelesen wird die Messe von Pater
Yousef Schamaoun Hanna. Er ist selbst vor zehn Tagen aus einem Dorf östlich
von Mossul in einer der, wie er sagt, „schwärzesten Nächte seines Lebens“
hierher geflohen, nachdem IS-Kämpfer in seine Kirche gekommen und die
Marien-Statuen zerschmettert hatten.
„Wir haben zwei Optionen“, sagt der Priester nach der Messe gegenüber der
taz. „Entweder nimmt uns ein anderes Land kollektiv auf. Wir wollen mit
unseren gemeinsamen Geschichte und unseren Institutionen zusammenbleiben.“
Oder, führt er weiter aus, „die UNO und die großen Militärmächte führen …
zurück in unsere Häuser und garantieren mit einer permanenten militärischen
Präsenz unsere Sicherheit. Denn selbst wenn der IS jetzt vertrieben würde,
könnte er jeden Tag wieder auftauchen.“ Für den Priester gilt eine einfache
Rechnung: „Wir wollen nicht mit der gleichen Angst zurückkehren, mit der
wir geflohen sind.“
Dawoud Antonius sitzt vor der Kirche unter einer Plastikplane. Er ist erst
am Samstag angekommen. Mit 16 Menschen sei er aus dem Dorf Qarmilans
losgezogen. Er und zwei weitere zu Fuß, die anderen mit dem Auto. Die mit
dem Fahrzeug seien zurückgeschickt worden. Nur die zu Fuß geflüchtet seien,
hätten es geschafft, erzählt er. „Die IS-Kämpfer sind gekommen und haben
uns vor die Wahl gestellt: Konvertiert, flüchtet oder ihr werdet
abgeschlachtet.“ Wie es jetzt weitergeht? Antonius schüttelt den Kopf. „Ich
habe keine Ahnung“, sagt er.
## Friseur neben dem Kirchenportal
Die Flüchtlinge versuchen im Vorhof der Kirche, das Beste aus ihrer Lage zu
machen und sich zu organisieren. Neben dem Kirchenportal gibt es sogar
einen Friseur: eine Plastikplane, ein Plastikstuhl und einen Mann, der mit
der Schere in der Hand auf seinen nächsten Kunden wartet. Daneben sitzt
Bassem Boulus, der aus dem Dorf Karakousch hierher geflüchtet und von
seiner Erfahrung sichtlich gezeichnet ist. Er sieht müde aus. Er erzählt
eine dieser Geschichten, von denen es hier hunderte gibt.
Seine Cousine sollte heiraten. Ihr Verlobter, ebenfalls ein Iraker, wollte
aus den USA kommen. Am Tag vor der Hochzeit, als sie im Dorf alles
vorbereiteten, sollte die Cousine die Wasserpumpe draußen anwerfen. Da
schlug völlig überraschend eine Mörsergranate des IS vor dem Haus ein, wo
sie und zwei Kinder sich aufgehalten hatten. „Viel war von ihr nicht mehr
übrig, wir konnten nicht mehr unterscheiden, welches Körperteil zu wem
gehörte“, blickt Boulus zurück.
Dann drängt sich eine Frau vor, sie möchte auch etwas sagen. „Ich möchte
gerne weg von hier“, sagt sie. „Sollen wir hier ewig in der Sonne sitzen,
bis der Winter kommt und wir erfrieren?“, fragt sie. Dann beginnt sie zu
weinen. „Ich habe so viel Angst“, sagte sie schluchzend. „Ich komme um vor
Angst.“
17 Aug 2014
## AUTOREN
Karim Gawhary
## TAGS
Christen
Irak
„Islamischer Staat“ (IS)
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