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# taz.de -- Kinostart „Töchter“: Atome im Hotelzimmer
> Eine Frau sucht nach der verschwundenen Tochter und findet stattdessen
> eine Drifterin: „Töchter“, der neue Spielfilm von Maria Speth.
Bild: Ein kurzer Augenblick von Nähe: Ines (Kathleen Morgeneyer, links) und Ag…
Agnes (Corinna Kirchhoff), eine gewissenhafte Deutschlehrerin, reist von
der hessischen Provinz nach Berlin, um einen furchtbaren Termin
wahrzunehmen. Sie soll den Körper eines toten Mädchens identifizieren, bei
dem es sich womöglich um den ihrer Tochter Lydia handelt. Die
Fünfzehnjährige ist vor einiger Zeit abgehauen, die Tote trug ein Dokument
mit Lydias Namen bei sich, daher der Verdacht. Doch der Leichnam ist nicht
der von Agnes’ Tochter.
So, wie die Regisseurin Maria Speth gemeinsam mit dem Kameramann Reinhold
Vorschneider diese ersten Minuten inszeniert, wird schon deutlich, dass
Speth mit diesem nun dritten Spielfilm niemanden schonen möchte. Die
Mediziner hieven und sägen, die Kamera hält frontal drauf. Das muss man
erst einmal verkraften, wie dieser junge, tote Frauenkörper hier
präsentiert wird. Solche Szenen gibt es fortan nicht mehr – was nicht
heißt, dass „Töchter“ es ab hier nicht mehr ernst meinen würde. Ganz im
Gegenteil.
Agnes checkt nach dem Termin bei der Gerichtsmedizin in ein Hotel ein,
beschließt, noch ein paar Tage in der Stadt zu bleiben. Vielleicht treibt
sich Lydia ja mit den hiesigen Straßenkindern herum? Vielleicht könnte man
sie dann sogar finden? Mit einem überdimensionierten Mietauto eiert sie
also durch dieses unübersichtliche Berlin, setzt sich zu den Leuten bei der
Essensausgabe am Bahnhof Zoo, fragt, schnüffelt. Aber von Lydia fehlt jede
Spur. „Die Kinder kriegen meist schnell Wind davon, wenn ihre Eltern in der
Stadt sind“, sagt ein Sozialarbeiter.
## Verletzt ist sie nicht
Dafür begegnet Agnes einer anderen Frau: Ines (Kathleen Morgeneyer). Die
liegt plötzlich vor ihrem Auto, als diese mit ein paar Gläsern Wein intus
Richtung Hotel unterwegs ist. Angefahren? Möglich. Verletzt ist Ines nicht.
Und steigt auch gleich zu Agnes ins Auto. Ein Essen müsste doch drin sein,
findet sie, wenn man hier mitten in der Nacht einfach so angefahren wird.
Agnes gehorcht, selbstverständlich.
Ines lebt auf der Straße und ist zunächst, man kann es kaum anders sagen,
eine unangenehme Gestalt. Sie schreit rum, rülpst, schwingt kluge Reden,
beleidigt Agnes. Ist einfach unpassend, ja, vor allem auch unfassbar
unangepasst im Kontrast zu Agnes. Die wird sie nicht los. Aus einem Imbiss
wird eine Flasche Sekt, Ines bringt es fertig, dass Agnes sie mit zu sich
ins Hotelzimmer nimmt. „Kann ich mich vielleicht bei dir waschen? Ich
stinke so“, piepst sie.
## Im psychotraumatischen Dampfkessel
Hier sind die Atome Ines und Agnes, wie sie Maria Speth in einem
taz-Gespräch mit Claudia Lenssen nennt, schon aufeinander geprallt. Das
Hotelzimmer, das für ein paar Tage nun beider Heim ist, wird zum
psychotraumatischen Dampfkessel. Denn auch Ines ist einst von Zuhause
abgehauen, auch ihre Mutter ist eine Lehrerin.
Es ist schon eine ungewöhnliche Anordnung, die Speth gewählt hat, um das
Drama dieser zwei Frauen zu zeigen. Auf fast magische Weise scheinen beide
miteinander verbunden, es gibt eine Einstellung, Ines und Agnes liegen
abends auf dem Hotelbett, da verschmilzt etwas. Doch sie sind nicht im
Einklang miteinander, vielmehr reiben sie sich aneinander auf, suchen bei
der anderen nach dem fehlenden Teil. Warum konnte Ines ihre Mutter nicht
mehr ertragen? Und was hat Agnes bei Lydia eigentlich falsch gemacht?
Speth interessiert sich für Figuren, deren Leben ab einem gewissen Punkt
„einfach“ aus dem Rahmen fiel. Für ihren Dokumentarfilm „9 Leben“ von …
hat sie neun junge Obdachlose in ein Studio gesetzt und sie von ihrem Leben
erzählen lassen. „Madonnen“ (2007) handelt von Rita (Sandra Hüller), einer
jungen, unsteten Mutter, die ihre Kinder immer wieder sich selbst
überlässt.
Es ist nur konsequent, dass in „Töchter“ Fragen, die in den vergangenen
Produktionen immer wieder anklangen und ganz deutlich ein gestörtes
(zerstörtes) Eltern-Kind-Verhältnis zum Thema hatten, nun ausgespielt
werden. Und mit Kirchhoff und Morgeneyer hat Speth auch zwei
Schauspielerinnen gefunden, die dies zu leisten vermögen. Zaghaft geht es
dabei nicht zur Sache. Aber damit war von Anfang an auch nicht zu rechnen.
11 Sep 2014
## AUTOREN
Carolin Weidner
## TAGS
Kino
Schwerpunkt Berlinale
Christian Petzold
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