| # taz.de -- Alte Krautrock-Alben, neu veröffentlicht: Die Magie des Maschinell… | |
| > Zwischen Krautrock, Esoterik und Techno: Harald Großkopfs Soloalben | |
| > „Synthesist“ und „Oceanheart“ sind wieder zugänglich. | |
| Bild: Seine Synthesizer-Sequenzen flirren oft wie in entgrenzter Trance: Harald… | |
| Als Vorreiter elektronischer Tanzmusik zu gelten, ist schon mal kein | |
| geringes Verdienst. Der Schlagzeuger Harald Großkopf hat zudem eine | |
| Karriere vorzuweisen, die im (Kraut)-Rock ziemlich einzigartig ist. In | |
| seiner Person verbinden sich die Anfänge der kommerziell erfolgreichsten | |
| deutschen Hardrock-Band, experimenteller Progrock, drogenvernebelte | |
| kosmische Musik, Elektronik, Neue Deutsche Welle und Techno. | |
| Doch hierzulande ist der 1949 geborene Musiker nahezu unbekannt. Großkopf | |
| kann man derzeit mit seinen ersten beiden Soloalben „Synthesist“ und | |
| „Oceanheart“ neu kennenlernen. Die 1980 und 1986 erschienenen Werke wurden | |
| vor Kurzem von dem in Sachen Krautrock unermüdlichen Hamburger Label Bureau | |
| B wiederveröffentlicht | |
| Sein elektronisch-minimalistischer Proto-Techno-Entwurf, der in den | |
| achtziger Jahren floppte, erweist sich dabei als erfreulich zeitbeständig. | |
| Eine Generation junger Künstler hat ihn inzwischen für sich entdeckt. So | |
| etwa das japanische DJ-Duo Force of Nature, das von dem Großkopf-Stück „So | |
| weit, so gut“ derart angetan war, dass es einen äußerst dezenten Remix | |
| anfertigte und unter dem Titel „Supernova“ 2006 als eigene Nummer | |
| herausbrachte. | |
| Was Großkopf wenig begeisterte, als er davon erfuhr. Mit seinem vollsten | |
| Einverständnis erschien dagegen 2011 eine Vinyl-Neuauflage von „Synthesist“ | |
| beim New Yorker Label RVNG Intl. und dazu ein komplettes Remix-Album als | |
| Beigabe. Davon zeigte sich Großkopf schwer beeindruckt, auch als er | |
| daraufhin zu Auftritten nach New York eingeladen wurde: „Das war wunderbar: | |
| Nur Youngster, und die kannten meine Sachen! Ich war ganz überrascht.“ Um | |
| ein Haar wäre Harald Großkopfs musikalischer Werdegang entschieden | |
| konventioneller verlaufen. | |
| ## Knapp vorbei am Hardrock | |
| Denn hätte sich einer seiner Kindergartenfreunde als zuverlässiger | |
| erwiesen, Großkopf wäre womöglich dauerhaft im Hardrock gelandet. Der | |
| Freund heißt Rudolf Schenker und seine Band Scorpions sind ein hartnäckiger | |
| Exportschlager. | |
| Mitte der Sechziger hatte Großkopf des öfteren bei ihnen ausgeholfen. „Nach | |
| meinem Zivildienst wollte ich 1970 bei den Scorpions fest einsteigen. Ich | |
| wartete dreimal vor dem Probenraum, und es kam niemand. Da habe ich mir | |
| gedacht: Jetzt reicht’s.“ | |
| Stattdessen wurde Großkopf bei der Progrockband Wallenstein vorstellig, | |
| einer Band um den Sänger und Keyboarder Jürgen Dollase, der heute | |
| vornehmlich als Gastronomiekritiker tätig ist. Vier Jahre lang blieb er bei | |
| Wallenstein und zog dafür aus dem niedersächsischen Sarstedt nach | |
| Mönchengladbach. Nebenher hatte Großkopf sporadisch Kontakt zur „Berliner | |
| Schule“ des Krautrock um Manuel Göttsching und Klaus Schulze. Er wirkte | |
| zusammen mit ihnen an den Aufnahmen des so wegweisenden wie verstrahlten | |
| Projekts „Cosmic Jokers“ mit. | |
| ## Eine innere Stimme | |
| Die Sessions sollten sich als folgenreich für Großkopf erweisen. Dadurch | |
| fand er zu seinem eigenen Trommelstil und entfremdete sich von den | |
| herkömmlicheren Spielarten des Rock: „Wenn ich bei Wallenstein spielte, | |
| habe ich mich stets an anderen Schlagzeugern orientiert und versucht, diese | |
| zu imitieren. Dann gab es eine Session – wir haben ja auch Drogen | |
| geschluckt –, und da rief plötzlich so eine innere Stimme: ’Was machst du | |
| da eigentlich? Wieso bist du denn jetzt der und der? Hör mal hin, was die | |
| anderen machen!‘“ | |
| Nach dieser Erfahrung hatte Großkopf keine Lust mehr auf Rockmusik, lieber | |
| spielte er in Berlin mit seinen kosmischen Kurieren von der Gruppe Ashra | |
| und dem Synthesizer-Pionier Klaus Schulze. Aus der Zusammenarbeit mit | |
| Schulze ging unter anderem das Album „Moondawn“ von 1976 hervor, das als | |
| Klassiker der Berliner Schule gilt. Und Großkopf hatte bei Schulze abermals | |
| ein musikalisches Erweckungserlebnis: | |
| „Ich hatte die Synthies im Studio nicht so beachtet. Und dann hat er mir | |
| das vorgeführt, und ich bekam direkt eine Gänsehaut, weil das so groovte. | |
| Diese statische Magie, die von Maschinengrooves ausgeht, das ging mir unter | |
| die Haut.“ | |
| ## Im Krefelder Heimstudio | |
| Zu eigener Musik hingegen musste er fast gedrängt werden. Wobei sich an der | |
| Entstehung von Großkopfs Debütalbum nachvollziehen lässt, dass selbst das | |
| musikalische Einzelgängertum in den frühen Achtzigern mitunter ein | |
| sozialerer Prozess war als die oft sehr isolierte Musikpraxis heutiger | |
| Schlafzimmerproduzenten: Großkopf durfte seine Musik im Heimstudio des | |
| Krefelder Kollegen Udo Hanten vom Elektronik-Projekt YOU produzieren. Im | |
| Gegenzug sollte Großkopf ihm sein Acht-Spur-Aufnahmegerät leihen. | |
| Da Großkopf keine Erfahrung im Umgang mit Effektgeräten oder Synthesizern | |
| hatte, war die Arbeit an „Synthesist“ für den Schlagzeuger zugleich ein | |
| Technik-Crashkurs. Er näherte sich den elektronischen Geräten mit der | |
| Naivität eines Anfängers, was sich vorteilhaft auf das Ergebnis auswirkte. | |
| Seine Synthesizer-Sequenzen flirren oft wie in entgrenzter Trance über | |
| kompakten Strukturen, denen Großkopf mit seinem zurückgenommenen Spiel | |
| einen unaufdringlich treibenden Groove hinzufügt. | |
| Bevor das zweite Album „Oceanheart“ folgte, erkundete Großkopf mit der Band | |
| Lilli Berlin eine Weile die Neue Deutsche Welle. Bei einem Hamburger | |
| Auftritt wurde er in der Wohnung des angehenden Popstars Joachim Witt | |
| einquartiert. Man spielte sich gegenseitig eigenes Material vor. Wenige | |
| Wochen danach erhielt Großkopf die Einladung, Synthesizerspuren zu Witts | |
| großem Hit „Der goldene Reiter“ beizusteuern. | |
| ## Luftig wie Ambient-Flächen | |
| „Oceanheart“ entstand schließlich unter ähnlichen Homerecordingbedingungen | |
| wie das Debütalbum, Großkopf suchte diesmal allerdings Anregungen bei der | |
| Minimal Music, schichtete komplexe Klavier- oder Schlagzeugpatterns | |
| übereinander, hier und da fließen die Stücke luftig wie Ambient-Flächen. | |
| Esoterik ist ebenfalls mit eingeflossen, da Großkopf seinerzeit Anhänger | |
| der Transzendentalen Meditation war. „Anfang der Siebziger war man so auf | |
| diesem Ost-Trip, Asien, Indien, Maharishi, Beatles. Das fand ich | |
| faszinierend und habe mich da einführen lassen. Ich habe fast 20 Jahre lang | |
| Transzendentale Meditation gemacht, bis mir das auf den Sender ging.“ | |
| Heute habe er mit der TM-Bewegung nichts mehr am Hut. Vermutlich ist diese | |
| Episode einfach ein Ausdruck seiner prinzipiellen Offenheit. Wer sonst kann | |
| von sich sagen, in den Neunzigern sowohl in einem Techno-Projekt wie | |
| N-Tribe als auch bei dem Folk-Kollektiv 17 Hippies gespielt zu haben? | |
| 17 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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