# taz.de -- Konvivialistisches Manifest: Zusammenleben für die Zukunft | |
> In einem Manifest fordern 40 Intellektuelle – darunter Eva Illouz, | |
> Chantal Mouffe und Eve Chiappello – Fürsorge und Maßhalten im globalen | |
> Maßstab. | |
Bild: Das hieß noch nicht Konvivialismus, war aber auch so was: John Lennon un… | |
Die romanischen Sprachen haben es in manchen Dingen leichter. Ein | |
lateinischstämmiges Wort wie „convivialisme“ klingt dort viel weniger | |
akademisch als im Deutschen, denn „conviver“, aus dem sich der Begriff | |
herleitet, bedeutet im Französischen schlicht „zusammenleben“. Und um genau | |
diese Frage geht es dem Konvivialismus, der auf eine Gruppe Intellektueller | |
um den Pariser Soziologen Alain Caillé zurückgeht. | |
Rund 40 Autoren und Autorinnen – darunter Eva Illouz, Chantal Mouffe, Edgar | |
Morin oder Yann Moulier-Boutang, stehen hinter dem „konvivialistischen | |
Manifest“, das jetzt als Büchlein erschienen ist. Mit ihrem Text bringen | |
sie dringende Fragen auf den Punkt: „Wie mit der Rivalität und der Gewalt | |
zwischen den Menschen umgehen? Wie sie dazu bewegen, zusammenzuarbeiten, um | |
sich weiterzuentwickeln, wobei jeder das Beste von sich selbst gibt, sodass | |
es möglich wird, einander zu widersprechen, ohne einander niederzumetzeln? | |
Wie lässt sich die heute grenzenlose und potenziell selbstzerstörerische | |
Anhäufung von Macht über Mensch und Natur verhindern?“ | |
Die Verfasser lassen keinen Zweifel daran, dass ihr Aufruf kein bloßer | |
Denkanstoß sein soll, vielmehr geht es ihnen ums Ganze: „Ohne eine rasche | |
Antwort auf diese Fragen wird die Menschheit untergehen.“ Da in der Politik | |
nach wie vor ökonomischen Fragen der Vorrang gebühre und die natürlichen | |
Ressourcen als prinzipiell unendlich behandelt würden, sei von dort aktuell | |
wenig Hilfe zu erwarten. Demgegenüber stünden eine Vielzahl von | |
Initiativen, die an einer Antwort im Sinne des Konvivialismus arbeiten: Von | |
fairem Handel, lokalen Tauschsystemen über Wachstumsrücknahme bis zu den | |
Indignados, Occupy Wall Street und den Care-Ethics gebe es zahlreiche | |
Bewegungen des Maßhaltens. Deren Energien gelte es zu bündeln, um „der | |
tödlichen Dynamik unserer Zeit mit hinreichender Kraft entgegenzuarbeiten“. | |
Da der Text im weitesten Sinne ein Konsenspapier der beteiligten Denker | |
ist, überrascht es nicht, dass die Analysen und Forderungen allgemein | |
gehalten sind und mitunter sehr offensichtlich scheinen. Wenn eine der | |
Grundannahmen etwa lautet: „Die einzige legitime Politik ist diejenige, die | |
sich auf das Prinzip einer gemeinsamen Menschheit, einer gemeinsamen | |
Sozialität, der Individuation und der Konfliktbeherrschung beruft“, klingt | |
das zunächst einleuchtend, man fragt sich aber, wie die konkrete | |
Ausgestaltung zu denken ist. | |
## Kein konkreter Entwurf | |
Dieses Defizits sind sich die Autoren bewusst: „Die schwierigste Aufgabe, | |
die dazu erfüllt werden muss, besteht darin, ein Bündel politischer, | |
wirtschaftlicher und sozialer Maßnahmen vorzuschlagen, die es der | |
größtmöglichen Zahl von Menschen ermöglichen, zu ermessen, was sie bei | |
einer neuen konvivialistischen Ausgangssituation (einem New Deal) nicht nur | |
mittel- oder langfristig, sondern sofort zu gewinnen haben. Schon morgen.“ | |
Auch wenn die Konvivialisten keinen konkreten Entwurf parat haben, kann man | |
ihnen zugute halten, dass ihr Text ja kein Regierungsprogramm ist, sondern | |
ein Manifest. Und dass sie mit ihren Anliegen in Politik und Wirtschaft auf | |
Widerstand stoßen dürften, verschweigen die Autoren ebenso wenig. Man | |
sollte das „konvivialistische Manifest“ daher in erster Linie als | |
Hilfeschrei lesen. Ein Schrei allerdings, der die Vision einer besseren | |
Zukunft zumindest andeutet. | |
28 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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