# taz.de -- Kulturwissenschaftler über Rassismus: „Schwarze erscheinen als r… | |
> Rassistische Ressentiments verkürzen die Gewaltdebatte, sagt David | |
> Leonard. Und er erklärt, warum Football die Heimstatt der Political | |
> Incorrectness ist. | |
Bild: Zivilisiert und elegant: weiße Football-Fans | |
taz: Professor Leonard, Sie haben jüngst geschrieben, dass Football-Spieler | |
wie Ray Rice und Adrian Peterson als Prügelknaben für wesentlich tiefere | |
soziale Probleme herhalten müssen. Wie meinen Sie das? | |
David Leonard: „Prügelknaben“ ist vielleicht etwas übertrieben. Ich will | |
sie ja nicht aus der Verantwortung für das, was sie getan haben, entlassen. | |
Es geht eher darum, dass es uns in Amerika leichter fällt, über Dinge wie | |
häusliche Gewalt oder Gewalt gegen Frauen zu sprechen, wenn wir es an | |
schwarzen Athleten festmachen können. Wir können diese Themen auf diese Art | |
und Weise mit vorhandenen Vorurteilen verquicken und sie von uns | |
fernhalten. So kann sich das Land einreden, das Problem wäre handhabbar. | |
Man muss nur die Spieler suspendieren, dann braucht man nicht mehr über | |
häusliche Gewalt zu sprechen? | |
Ganz genau. Man hört und liest in den vergangenen Wochen unglaublich viel | |
über das Versagen der Liga, über die Inkompetenz von Roger Goodell. Man | |
liest hingegen viel weniger über das Thema der häuslichen Gewalt und der | |
Gewalt in intimen Beziehungen, wie sie uns überall um uns herum begegnen. | |
Welche Diskussionen hätten Sie sich denn speziell gewünscht? | |
Zum Beispiel eine Diskussion darüber, wie wir in unserer Kultur Gewalt | |
glorifizieren, oder aber auch darüber, wie wir Männlichkeit definieren. | |
Spannend wäre auch ein Blick darauf, wie der Football immer wieder vorlebt, | |
dass Gewalt zu Erfolg und Reichtum führt. Es gab kurze Augenblicke, in | |
denen diese Dinge anklingen, etwa in der Ansprache des Sportmoderators | |
James Brown bei der ersten NFL-Übertragung, nachdem der Skandal öffentlich | |
wurde. Aber das geht dann nicht sehr tief. Stattdessen reden wir jetzt | |
darüber, dass es im Football ein paar faule Äpfel gibt und wie wir sie | |
schnell loswerden. | |
Es geht also um Disziplinieren und Strafen anstatt um Selbstreflexion, | |
ähnlich wie beim Thema Doping? | |
Ja, wie beim Doping, aber letztlich wie in unserem gesamten | |
Strafrechtssystem. Es geht um Strafe, aber nie um wirkliche soziale | |
Gerechtigkeit. Es ist doch bei Ray Rice und Adrian Peterson genau so, wie | |
wenn es in unserem Strafrechtssystem um Drogendelikte durch Afroamerikaner | |
geht. In unserem Land werden Afroamerikaner implizit und explizit für das | |
Drogenproblem unserer Gesellschaft verantwortlich gemacht. Die | |
Inhaftierungszahlen sprechen da eine eindeutige Sprache. Die Institutionen | |
des Landes und die weiße Mittelschicht zieht damit komplett den eigenen | |
Kopf aus der Schlinge, auch wenn die Statistiken belegen, dass | |
Drogenmissbrauch unter Weißen ein mindestens ebenso großes Problem ist. | |
Dennoch wird beinahe ausschließlich die schwarze Bevölkerung bestraft. Und | |
das grundlegende Problem einer süchtigen Nation wird nicht angesprochen. | |
Gewalt in Amerika wird also zum Problem von afroamerikanischen Sportlern, | |
die einfach nicht zu bändigen sind. | |
Schwarze Athleten werden in unserer Kultur als hypermaskulin dargestellt. | |
Sie erscheinen als roh und wild, nicht vollständig zivilisiert, das macht | |
auch die Attraktion aus. Das ganze Spektakel des Footballs basiert auf kaum | |
etwas anderem als auf dem Betrachten dieser Halbwilden in Aktion. Das | |
äußert sich nicht zuletzt auch darin, dass wir deutlich weniger Empathie | |
empfinden, wenn wir schwarze Körper in Schmerzen sehen. So sind uns die | |
Langzeitfolgen dieses gewalttätigen Sports, wie etwa die Epidemie der | |
Hirntraumata, relativ gleichgültig. Wir sehen den schwarzen Athleten nicht | |
als vollständig human an. | |
Ist das große Sportbusiness also doch eine Art moderne Sklaverei? | |
Nun, die Sportler verdienen natürlich gut, aber lange nicht so gut wie | |
Team-Besitzer und Manager. Da findet zweifellos eine Ausbeutung statt, die | |
wir damit rechtfertigen, dass sie ja ohne den Sport nicht annähernd den | |
Erfolg und die Anerkennung hätten, die sie auf dem Spielfeld bekommen. Und | |
wir brüsten uns damit, dass wir ihnen Moral und Werte vermitteln, dass wir | |
sie erziehen und kultivieren. | |
Der schwarze Mann wird stubenrein gemacht? | |
Ganz genau. Und in Momenten wie diesen kommt das wieder ganz deutlich zum | |
Vorschein. Man wirft der NFL vor, dass sie die Athleten nicht ausreichend | |
diszipliniert, es werden neue Maßregeln und Erziehungsprogramme gefordert. | |
Der Sportler soll noch stärker überwacht werden als ohnehin schon. Die NFL | |
muss die Ängste der Medien, der Sponsoren und der Fans vor dem unbändigen | |
schwarzen Mann beschwichtigen. | |
Die Milliardenmaschine muss also am Laufen gehalten werden. | |
Die beruht nun einmal auf dem Spektakel der Gewalt zwischen vorwiegend | |
schwarzen Männern. Das ist in der Sportgeschichte nicht neu. Boxen ist | |
sicherlich das beste Beispiel – die weiße, männliche Mittelschicht ergötzt | |
sich daran, dass Schwarze sich gegenseitig Gewalt antun. Und vor den | |
Schwarzen waren es irische und jüdische Boxer. Wichtig war nur, dass Leute, | |
die anders sind als wir, im Ring stehen. | |
Warum kann die NFL nicht offen darüber sprechen, was sie verkauft? Warum | |
kann der Sport da nicht ehrlich sein? | |
Es passt nicht in die gängigen Fabeln, die der Sport über sich selbst | |
erzählt und die weltweit kommerziell so erfolgreich sind: dass Sport | |
angeblich postrassistisch ist – auf dem Spielfeld wie unter den Fans. Oder | |
dass Sport etwa eine Art Erziehungsanstalt ist, welche die Sportler zu | |
besseren Menschen macht. Es ist so wie insgesamt beim Reden über Rasse in | |
Amerika. Wir sprechen ständig darüber, aber nie wirklich. Wir verurteilen | |
individuellen Rassismus, aber schweigen über die tiefer liegenden | |
rassistischen Einstellungen, die wir alle mit uns herumtragen. | |
Warum, glauben Sie, ist die NFL so erfolgreich, welches tiefe Bedürfnis in | |
der US-Kultur befriedigt das Spiel? | |
Ein wichtiger Aspekt ist sicher die vereinfachte Vorstellung von echter | |
Männlichkeit, die sie transportiert. Dazu passt auch der Militarismus, den | |
der Football verkörpert. Amerika liebt sein Militär, Krieg ist eine unserer | |
beliebtesten Unterhaltungsformen. Die Verquickung von Militär und Football | |
ist ja unverhohlen: Bei der Superbowl fliegen Kampfjets übers Stadion und | |
das Pentagon gibt 10 Millionen Werbe-Dollar im Jahr für den Football aus. | |
Ganz abgesehen davon, dass die narrative Struktur des Footballs dem Krieg | |
angeglichen ist. | |
Aber Krieg und Gewalt sind doch spätestens seit Irak und Afghanistan auch | |
in den USA für die breite Öffentlichkeit nicht mehr gänzlich | |
unproblematisch, ebenso wenig wie das Ausbeuten schwarzer Körper. | |
Ich denke, im Football kann man all das weiterhin ausleben, ohne dass es | |
problematisiert wird. Es ist ein letztes Refugium der Political | |
Incorrectness. Es wird beispielsweise nie eine Diskussion geben, ob es | |
negative Auswirkungen auf Kinder hat, wenn sie sich jede Woche die Gewalt | |
auf dem Football-Platz anschauen. | |
Haben Sie denn gar keine Hoffnung, dass der Football-Sport und die Kultur, | |
die ihn trägt, sich in der Folge der gegenwärtigen Skandale verändert? | |
Nicht sehr nachhaltig. Die Systemfrage wird kaum gestellt. | |
Welche Art von Reaktion würden Sie sich denn wünschen? | |
Zunächst einmal müsste man genauer den Zusammenhang zwischen Hirntrauma und | |
häuslicher Gewalt beleuchten. Die Häufigkeit von Gehirnverletzungen im | |
Football und die Häufigkeit von Gewaltausbrüchen abseits des Feldes können | |
kein Zufall sein, aber es wird kein Geld für wissenschaftliche | |
Untersuchungen ausgegeben. Außerdem sollte die NFL Organisationen | |
unterstützen, die sich mit alternativen Formen der Männlichkeit | |
beschäftigen. Schließlich würde ich mir wünschen, dass nicht nur Spieler | |
diszipliniert und trainiert werden. Was fehlt, ist eine Sensibilisierung | |
der Trainer und Manager für die Kultur der Männlichkeit, die sie da fördern | |
und aufrechterhalten. | |
3 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Moll | |
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