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# taz.de -- Das neue Album von Zola Jesus: Heiter durch dunkle Tage
> Nika Roza Danilova ist die finstere Lady des Gothic Pop. Auf ihrem neuen
> Album „Taiga“ bereitet ihr der Nadelwald eine Bühne für grandioses
> Pop-Pathos.
Bild: Der Wald ist in ihr drin: Zola Jesus.
Während einer okkulten Zeremonie tritt sie im dunklen Mantel hervor, mit
Dreieckssymbolen hantierend. Im Video zur aktuellen Single „Dangerous Days“
steht sie als Zauberin in braunem Filz vor einer Wildnis im Nebel. Die
US-Amerikanerin Zola Jesus ist die finstere Lady des Gothic-Pop. Ihre Texte
handeln von einem abgeschiedenen „Ich“. Es flieht vor einem bedrohlichen
„Es“ und ruft nach einem ungreifbaren „Du“. Nika Roza Danilova, so ihr
bürgerlicher Name, besingt damit stets die Einsamkeit.
Nun veröffentlicht die 25-Jährige ihr neues Album. „Taiga“ ist bereits das
vierte Werk der emsigen Zola Jesus, es ist ein äußerst kraftvolles Stück
Pop. Klangen ihre Songs früher nach Dark-Wave und experimenteller
Verschrobenheit, so nimmt sie den Titel ihres Albums dieses Mal zum
musikalischen Anlass, um ihren Sound zu öffnen. „Taiga“ das ist der
nördlichste Waldtypus der Erde: In Taiga-Gebieten in Sibirien, Skandinavien
oder Nordamerika wachsen vornehmlich boreale Nadelbäume.
Wie etwa im nördlichen Teil des US-Bundesstaats Wisconsin, in dem Nika
Danilova aufgewachsen ist. Schon Laura Palmer aus David Lynchs TV-Serie
„Twin Peaks“ schrieb an einem dieser eiskalten Seen nahe der kanadischen
Grenze ihr unheimliches Tagebuch. Und auch die romantischen Vampire aus den
„Twilight“-Filmen jagen durch das Tannendickicht. Und nun lobt aktuell Zola
Jesus die rauen Weiten dieses urzeitlichen Waldgebiets mit orchestraler
Wucht und gewaltiger Stimme.
Die Musik auf „Taiga“ ist wie eine Kamerafahrt durch diese nördliche
Wildnis, der Sound ist schnell, überwältigend, voller Pathos. Theatral
leitet Zola Jesus „Taiga“ gleich im Auftaktsong ein: „Do you wish you cou…
go back to it all“, ruft sie, aus der Tiefe wuchern Bläser, „I wouldn’t
miss a moment of it all.“ Zwei Sätze, drei Minuten.
## Im Chaos der Dinge
Aber warum widmet sie diesem Wald ein ganzes Album? „Ich bin in seiner
Umgebung aufgewachsen, die Landschaft ist mir vertraut. Ihre überwältigende
Natur zeigt, wie machtlos wir Menschen doch eigentlich sind.“ sagt Nika
Danilova im Interview. „Im Chaos der Dinge unserer Zivilisation finden wir
nur einen kurzweiligen Halt. Eigentlich ist unsere Existenz ohne jede
Ordnung, erst der Wald zeigt uns diese existenzielle Wirrnis auf.“
Beim Begriff Taiga denkt man als Europäerin zuerst an Sibirien. „Meine
Vorfahren kommen aus dem Gebiet der heutigen Ukraine. Wald hat sie umgeben.
Aber meine Eltern sind Amerikaner, über ihre Herkunft haben sie sich nie
Gedanken gemacht“, erzählt Zola Jesus. „Unsere Wurzeln sind kompliziert.“
Geschickt webt Zola Jesus einen Mythos um diese Biografie.
Ein fernes Ahnentum im Osten Europas und der boreale Wald Sibiriens, das
ist Teil der Selbsterfindung von Nika Roza Danilova, die sich zu einer
entrückten Edeldame stilisiert. Dazu gehört auch ein Stilbewusstsein, das
sie auf der Bühne und in ihren Videos prominent platziert: Sie inszeniert
sich als zartes, blasses Mädchen, mit roten Lippen und glattem, weit über
die Schultern reichendem Haar. Ihr Körper ist stets mit auffälligem
Silberschmuck behangen und in langen Stoffen verhüllt. Das Cover ihres
dritten Albums „Conatus“, das sie in eremitischer Einsamkeit geschrieben
haben soll, zeigt ihr Gesicht von einem weißen Schleier verdeckt – „das
Leichentuch als letzter Schrei“, schrieb ein Journalist.
Für „Taiga“ inszeniert sich die Künstlerin als Kleopatra in Weiß. Zola
Jesus ist die Neoversion eines Gothic-Girl aus den Achtzigern, eine
Stilikone für Pophörer mit Hang zum Finsteren.
Aller Düsternis ihrer Selbstinszenierung zum Trotz wendet sich Zola Jesus
mit „Taiga“ allerdings vom musikalischen Underground ab, um großformatigen
Pop zu machen, Drama für alle. Der Song „Dangerous Days“ ist bereits ein
Hit. Nika Roza Danilova besingt darin über sphärischen
Streicherarrangements den „dark, dark day“, tut es jedoch auf einem
treibenden 4/4-Beat und setzt ihre Stimme rhythmisch derart pointiert ein,
dass die dunklen Tage doch recht heiter wirken.
Selbst ein Song für den Dancefloor ist herausgekommen. „Hunger“ ist
treibend: Break-Beats, pulsierender Bass und ein ekstatischer, drängender
Refrain. „I got the hunger / I got the hunger in my veins / I will
surrender / till it takes me away“, ruft sie mit viel Delay zum borealen
Sound. „Ich wollte einfach Musik für den Dancefloor machen“, kommentiert
sie trocken.
Einen Widerspruch zur Zola Jesus von früher ist „Taiga“ nicht. Pathos hatte
ihr kraftvoller Gesang schon immer, doch nun sind Innerlichkeit und ihre
experimentelle Ader mit gewaltigen Bläsersätzen und orchestralem Bett zu
großen, kammermusikalischen Gesten konvertiert. Nichts Geringeres als eine
Fanfare und ein schweres Trommeln hat Zola Jesus etwa für den Refrain vom
Song „Hollow“ gewählt. „Ich beginne immer mit Gesang, zuerst entsteht ei…
Melodie und dann komponiere ich die Musik aus.“
Zola Jesus schreibt und produziert alles selbst. Das macht ihren Sound so
eigenwillig, lässt ihre Stimme so zentral in dem Sound zur Geltung kommen.
Um die elf Songs von „Taiga“ zu entwickeln, hat sich Zola Jesus nach Vanish
Island zurückgezogen, einer Insel in der Nähe von Seattle. Sie fühlte sich
dort „in die Vergangenheit zurückversetzt“, so Zola Jesus, es ist ein
„hügeliger, überwucherter und unberührter Ort“.
Das passt wiederum zu David Lynch, der seiner Regiearbeit für Filme und
Serien auch Musik macht, die den borealen Wald in einen expansiven Sound
einbinden. Und Zola Jesus steht dem Werk von Lynch in puncto Düsternis und
Abgeschlossenheit in nichts nach. Und doch hat ihr neues Album „Taiga“
einen ganz eigenen Zugang zum Gothic-Sound, entdeckt in ihrer Düsternis gar
Pop, der heller als die Sonne leuchtet.
4 Oct 2014
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Wald
Gothic
Festival CTM
Yoko Ono
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