| # taz.de -- Fröhlich ins Seniorenheim: Abschied von gestern | |
| > Ein halbes Jahrhundert lebte die Familie Held im Altbau im ehemaligen | |
| > Pastorenviertel in der Hamburger Neustadt. Doch ihre Nachbarn haben es | |
| > ihnen leicht gemacht, ins Altenheim zu ziehen. | |
| Bild: Zum letzten Mal zuhause: Maria und Gerhard Held auf St. Pauli. | |
| HAMBURG taz | In die Zukunft ist es nicht weit entfernt. Genau genommen ist | |
| es nur ein Weg von 1,1 Kilometern über den Venusberg oberhalb der St. | |
| Pauli-Landungsbrücken. Gerhard Held will ihn mit dem Rollator gehen. Über | |
| fünf Jahre lang hatten er und seine Frau Maria, beide 81 Jahre alt, auf | |
| diesen Tag gewartet. Heute ist es endlich so weit: Sie ziehen in die | |
| Altersresidenz. | |
| Maria Held hilft ihm in die dunkelblaue Stoffjacke, er zieht sich eine | |
| blaue Schirmmütze über und nimmt drei Jutebeutel in die Hand. Ein letztes | |
| Mal steigt Gerhard Held die Treppen herab, die ihnen in den letzten Jahren | |
| immer mehr Probleme bereitet haben. | |
| Ein halbes Jahrhundert lebten die Helds in diesem Rotklinker-Eckhaus in der | |
| Rehhoffstraße in der südlichen Hamburger Neustadt. Jetzt öffnet Gerhard | |
| Held, gelernter Ewerführer, der später als Lagerarbeiter tätig war, das | |
| Fahrradschloss, mit dem er seinen Rollator an das Geländer des | |
| Treppenhauses festgemacht hat und macht sich auf den Weg in die neue | |
| Bleibe. Wenn die Männer vom Umzugsunternehmen ankommen, will er da sein. | |
| ## Keiner grüßt | |
| Maria Held, klein, rundliches Gesicht, leicht gewelltes Haar, dunkle Hose | |
| mit Bügelfalte und Schuhe mit Klettverschluss, steht mit ihren beiden | |
| Söhnen in der Küche. Holger, Logistikplaner, und Hans-Peter, im | |
| Vorruhestand, sind gekommen, um sie zu unterstützen. | |
| Diesen Ort, die familiäre Wohnung, zu verlassen, fällt dem Ehepaar Held | |
| nicht schwer. Das liegt an den Leuten aus der Nachbarschaft. Nur noch | |
| wenige Bekannte von früher sind noch geblieben. Heute lassen sich die | |
| überteuerten Wohnungen fast nur noch an Studenten-WGs vermieten, ist | |
| Hans-Peter Held überzeugt. Sie kommen und gehen. „Die kriegen alle den Mund | |
| nicht auf“, sagt Maria Held. „Da kannst du grüßen noch und noch, eine | |
| Antwort bekommst du nicht.“ Irgendwann sah sie keinen Sinn mehr darin, | |
| weiter zu grüßen und gab es auf. Die Welt verändere sich, sagt Hans-Peter | |
| Held: „Ist ja logisch.“ | |
| Anders war es mit den jungen Leuten aus dem benachbarten Ledigenheim. Seit | |
| sie sich „Guten Tag“ sagen, schauen die Helds dort regelmäßig vorbei. | |
| Einmal im Monat gibt es dort ein warmes Abendessen für die Leute aus der | |
| Nachbarschaft. Dass dort ausschließlich vegetarische Gerichte serviert | |
| werden, stört Maria und Gerhard Held nicht. | |
| Mit ihrer Wohnung soll es nun ähnlich laufen wie mit all den anderen. Wenn | |
| stimmt, was man gehört hat, wird die Miete jetzt fast verdoppelt: 1.100 | |
| Euro für nicht einmal 60 Quadratmeter soll der dänische Investor dann | |
| verlangen. Geht es nach den Preisen bei Neuvermietungen, gehört diese | |
| Gegend heute zu einem der teuersten Pflaster in Hamburg. Rund 14 Euro | |
| kostet ein Quadratmeter kalt hier im Schnitt, kleine Wohnungen sind sogar | |
| noch einige Euro teurer. | |
| „Und das“, sagt Maria Held, „obwohl die Lebensqualität hier nicht besond… | |
| hoch ist.“ Denn in die Zimmer fällt kaum Licht und dann zieht es auch noch. | |
| Trotz des Teppichbodens sei es hier immer fußkalt. | |
| Beinahe mühelos tragen die Männer von der Umzugsfirma die Sachen der Helds | |
| nach und nach aus der Wohnung und verstauen sie im Transporter. Einiges | |
| lassen sie zurück: Die gemaserte Küchenzeile aus den 60ern brauchen sie | |
| nicht mehr. Im Altenheim gibt es eine Einbauküche. | |
| Das Schlafzimmer mit Bettüberbau und Schränken wollten sie nicht mitnehmen, | |
| dafür ist schon ein neues ausgesucht und geliefert worden. Und für die | |
| vielen Orchideen ist ohne Fensterbank im Heim kein Platz. Andere Dinge | |
| haben sie ausrangiert: „Wer braucht schon 35 Garnituren Bettwäsche?“, fragt | |
| Holger Held. „Das ist die Kriegsgeneration, die haben jedes Mal, wenn es | |
| welche im Angebot gab, zugegriffen.“ Dabei kommen diese Angebote doch immer | |
| wieder. | |
| Früher, als das fünfgeschossige Eckhaus noch dem Bauverein zu Hamburg | |
| gehörte, wussten die Helds wenigstens noch, warum sie regelmäßig Geld für | |
| die Reinigung zahlen. Doch dann wechselten die Eigentümer immer wieder, | |
| heute gehört das Haus dem dänischen Investor. Vor vier Jahren wurden im | |
| Treppenhaus neue Fenster eingesetzt. Geputzt wurden die seither kein | |
| einziges Mal. Überhaupt ist das Haus seit dieser Zeit ganz schön verdreckt. | |
| „Man kann mit dem Finger Sau auf den Boden schreiben“, sagt Maria Held. | |
| ## Ein vernünftiger Balkon | |
| Es ist nicht lange her, da wurden bei den anderen Wohnungen im Hinterhof | |
| Balkone angebaut. Nur die Türen wurden vergessen. Aber die anderen Mieter | |
| scheint das weniger zu stören. „Die steigen durch die Fenster“, sagt Maria | |
| Held. „Sogar Tische und Stühle haben die da stehen, dabei kommt da nicht | |
| einmal die Sonne hin.“ Die Helds lachen. In der neuen Wohnung haben sie | |
| einen vernünftigen Balkon. Eine Bekannte aus der Nachbarschaft hat dafür | |
| zwei Klappstühle vorbeigebracht. | |
| Weil sie unbedingt in der Gegend bleiben wollten, standen sie fünf Jahre | |
| lang auf der Warteliste, in der Hoffnung, irgendwann doch noch einen Platz | |
| in der Senioren-Wohnanlage St. Pauli des städtischen Wohnungsunternehmens | |
| Saga-GWG zu bekommen. | |
| Wahrscheinlich hätten sie noch viele Jahre mehr warten müssen, hätten sie | |
| nicht im Frühjahr bemerkt, dass sie einen sogenannten Dringlichkeitsschein | |
| benötigen, um bessere Karten zu haben. Als sie sich den besorgt hatten, | |
| ging alles ganz schnell. Nun sind sogar die Mietkosten 20 Euro geringer als | |
| vorher – dabei sind da schon 70 Euro Betreuungsgeld mit drin. | |
| Im Schatten des Bürokomplexes „Tanzende Türme“ ist es ruhig an diesem | |
| Nachmittag. Die Wohnanlage auf dem Gelände des ehemaligen | |
| Hafenkrankenhauses am Zirkusweg bietet Platz für 200 seniorengerechte | |
| Apartments. Dass die neue Wohnung der Helds direkt hinter der Reeperbahn | |
| liegt, sei nicht schlimm, sagen sie. Auf der anderen Seite gehe es dafür ja | |
| direkt runter zum Hafen. | |
| ## Samba im Wohnzimmer | |
| Am Ende eines langen Gangs im Hochparterre stehen nun die beiden Rollatoren | |
| von Maria und Gerhard Held. Sie sitzen an einem quadratischen Esstisch in | |
| einer Seite des Wohnzimmers neben der Schiebetür zum Balkon. Seit dem Umzug | |
| sind zwei Wochen vergangen und sie sagen, sie hätten sich hier schon ganz | |
| gut eingelebt. Draußen laufen Geschäftsleute in Anzügen vorbei. Auch die | |
| Gegend um die Reeperbahn hat sich in den letzten Jahren verändert. | |
| „Hier ist es so ruhig“, sagt Maria Held. Davon, dass sich die Reeperbahn | |
| gleich um die Ecke allabendlich zur Partymeile verwandelt, kriegen sie | |
| hier, hinter den dicken Mauern des Neubaus eigentlich gar nichts mit. | |
| „Dagegen war die Rehhoffstraße die reinste Autobahn“, sagt Gerhard Held. | |
| Und die Zimmer seien so groß, man könnte hier im Wohnzimmer Samba tanzen. | |
| Und was es hier in der Seniorenresidenz nicht alles gibt: Neulich beim | |
| Kaffeetrinken servierte eine Bewohnerin und gelehrte Konditorin aus dem | |
| Haus Kuchen. Für ihre Auslagen stellte sie ein Sparschwein auf den Tisch. | |
| Zum Katzenstammtisch bringen die Bewohner ihre Haustiere mit oder freuen | |
| sich über die Tiere der anderen. Gerade haben die Helds eine Einladung zur | |
| Hafenrundfahrt bekommen – für zehn Euro können sie mitfahren. | |
| Aber das Wichtigste sei, dass sie hier alle so freundlich sind und grüßen. | |
| Das, sagt Maria Held, hätte sie ja so vermisst. | |
| 12 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
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| Investor | |
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