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# taz.de -- Flüchtlinge: Reggae vor verschlossenem Tor
> Frust bei den Bewohnern der Gerhart-Hauptmann-Schule: Aus dem Tag der
> offenen Tür wurde nichts. Bürgermeisterin Herrmann steht in grüner
> Kritik.
Bild: Die Tür zur Schule blieb am Samstag zu.
Eine ganze Hundertschaft der Berliner Polizei war am Samstag vor der
Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße aufgezogen – sie blieb
weitgehend arbeitslos. Das vom Bezirksamt verhängte Verbot des Tags der
offenen Tür, den Bewohner und Unterstützer organisiert hatten, zeigte
Wirkung: Nur wenige Menschen versammelten sich vor dem verschlossenen Tor.
Am Abend tanzten einige Menschen auf dem Bürgersteig zu Reggae-Rhythmen.
Doch auch die Bässe konnten ihn nicht übertönen, den Unmut über die Politik
des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Flüchtlinge und Unterstützer fühlen
sich alleingelassen, zermürbt.
Die Bewohner hatten alle in ihr Zuhause eingeladen, Nachbarn und
Neugierige. „Damit sie uns kennenlernen, damit sie sehen können, wie wir
leben“, sagt Claude, einer von denen, die Ende 2012 in das ehemalige
Schulgebäude zogen. Claude ist wütend, er fürchtet, dass sich im
politischen Gezerre um die Flüchtlinge die öffentliche Meinung gegen die
Schulbewohner richtet, auch aufgrund der negativen Berichterstattung in den
Medien. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte die B.Z. Details aus den
Protokollen der Sicherheitsfirma, die die Schule bewacht. Für die
Springer-Zeitung der Beleg, dass es sich hier um das „kriminellste Haus in
Berlin“ handelt.
Die Bewohner wollten es beim Tag der offenen Tür den Besuchern überlassen
zu urteilen, ob die Schule wirklich ein „Tollhaus“ ist, wie der Boulevard
behauptet. Eine Fotoausstellung, ein Bücherstand, Musik, afrikanisches
Essen – alles war vorbereitet.
Doch der Bezirk machte den Flüchtlingen unter Verweis auf fehlenden Brand-
und Lärmschutz sowie auf den Mangel an sanitären Anlagen einen Strich durch
die Rechnung. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden verstärkt, die Polizei
wurde informiert. Die Abmachung, nach der jeder Bewohner bis zu drei
Besucher in der Schule empfangen darf: bis auf Weiteres einkassiert.
## Verbot mit Cola-Spritzern
Am Zaun vor der Schule hat das Bezirksamt das Verbot aufgehängt.
Cola-Spritzer übersäen das einfolierte Papier. Ein Zeichen des Frusts, den
diese Politik in der Schule verursacht. „Sogar Frank Henkel vertraue ich
mittlerweile mehr als Monika Herrmann“, schimpft Claude. Die grüne
Bezirksbürgermeisterin, die die Verantwortung für die Zukunft der
Gerhart-Hauptmann-Schule offiziell vom grünen Stadtrat Hans Panhoff
übernommen hat, verliert nach einem Bericht des Tagesspiegels in den
eigenen Reihen an Rückhalt. Hinter vorgehaltener Hand sollen viele Grüne
die Kreuzberger Flüchtlingspolitik als verfehlt bezeichnen.
Vor mehr als einem Monat hat der Bezirk eine Haushaltssperre verhängt. Dass
die Idee eines von den Bewohnern mitgestalteten Flüchtlingszentrums
verwirklicht wird, wird so immer unwahrscheinlicher. Auch bei den
Unterstützern scheinen Energie und Hoffnung zu schwinden. „Die Räumung im
Sommer hat uns viel Kraft gekostet“, sagt einer. „Wir haben schon alle
Hände voll zu tun, um die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen zu
befriedigen: eine Jogginghose für einen am Bein Verletzten, Schlafsäcke für
den kalten Winter“, sagt eine andere.
Auch die Zahl lautstarker Sympathisanten ist an diesem Tag gering.
Zeitweise stehen mehr Pressevertreter als Gäste vor der Schule. Einzig
gegen 18 Uhr gibt es ein wenig Aufregung: Ein Zug von etwa 15 Demonstranten
formiert sich und zieht zum verschlossenen Schultor. Die Polizei löst den
Aufzug auf. Dann kehrt wieder Gemächlichkeit ein. Aus dem Soundsystem, das
die Bewohner aufgestellt haben, erklingt Bob Marley, einige tanzen, einige
singen. Bei Einbruch der Dunkelheit nähern sich zwei Beamte zur Gruppe. Man
solle doch die Musik abstellen. Außer der Lautstärke hat die
Polizeihundertschaft kaum etwas zu beanstanden an diesem Tag der
geschlossenen Tür.
12 Oct 2014
## AUTOREN
Matthias Bolsinger
## TAGS
Ohlauer Straße
Kreuzberg
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Flüchtlinge
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