| # taz.de -- Weitsichtige Justiz: Knast mit faktischer Bewährung | |
| > Das Amtsgericht hat einen vielfach vorbestraften Mann verurteilt, weil er | |
| > Cannabis angebaut und verkauft hat. Am Sinn einer weiteren Haft zweifelt | |
| > aber selbst die Richterin. | |
| Bild: 22 Jahre und sieben Monate saß Georg K. bereits in Haft - kriminell blie… | |
| BREMEN taz | Es hätte schnell gehen können in der vergangenen Woche vor dem | |
| Amtsgericht: In der Wohnung von Georg K. fand die Polizei knapp 200 | |
| Cannabispflanzen, technisches Equipment zur Aufzucht und | |
| Verpackungsmaterial für den Verkauf. Dazu ein eindeutiges Geständnis des | |
| Beschuldigten: „Ein gutes Gräschen“ habe er verkaufen wollen, sagt K. – … | |
| an Erwachsene. Garantiert biologisch angebaut noch dazu. | |
| Er spricht sich zwar für die Legalisierung aus, erwartet vom Gericht aber | |
| kein Verständnis. „Sie werden mich hier heute schuldig sprechen“, sagt er | |
| seelenruhig. Und das passiert dann auch, allerdings erst Stunden später | |
| nach kontroverser Diskussion mit den Schöffen. Und mit einem großen „Aber�… | |
| Bis dahin wird die kriminelle Vorgeschichte des Beklagten aufgearbeitet: | |
| Wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Hehlerei hat er in Summe 22 Jahre und | |
| sieben Monate hinter Gittern verbracht. Die Richterin fragt sich offen, | |
| welchen Sinn es überhaupt haben könne, K. ein weiteres Mal einzusperren. | |
| Der Angeklagte selbst sagt dazu nicht viel und lässt sich seine | |
| Lebensgeschichte aus der Nase ziehen. Er sei hier ja vor Gericht „und nicht | |
| auf der Psychiater-Couch“, sagt er ruhig. Erzählen tut er dann doch: | |
| Meistens über Betrug und Hehlerei. So habe er etwa eine Auto-Flotte nach | |
| Gambia verschoben. Nach dem Putsch tauchte sein Name in Unterlagen auf und | |
| K. wurde erstmals verhaftet. Er war damals dreißig Jahre alt – ein später | |
| Einstieg in die kriminelle Laufbahn, sagt die Richterin. Heute ist er 62. | |
| Zwischendurch findet sich ein unbekannter Name in einem alten | |
| Prozesspapier: Der Angeklagte kann sich nicht genau erinnern, vermutet | |
| aber, dass er ihn mal benutzt hat. „Ich habe meine Personalausweise immer | |
| selbst gemacht“, sagt er. Auch Firmen habe er geführt. Mit sechs | |
| Angestellten, die alle er selbst waren – „und alle hatten überzogene | |
| Girokonten“, so K. | |
| Um sowas geht es dann auch zumeist: 10.000-Euro-Kredite fürs | |
| „Jetset-Leben“, sagt der Angeklagte. Das habe ihn fasziniert. Kurze | |
| Vergnügungen und dann wieder ins Gefängnis: „Das war ein neurotisches | |
| Leben“, sagt K. heute. Mit dem Marihuana-Anbau habe er aus der Betrügerei | |
| aussteigen wollen. | |
| Die letzte Freilassung aus der Bremer Justizvollzugsanstalt kam im | |
| vergangenen Jahr unverhofft: K. hatte sich auf das Absitzen der gesamten | |
| Strafe eingestellt, wurde dann aber doch vorzeitig auf Bewährung entlassen. | |
| Vier Wochen vorher bekam er erst Bescheid, Haftlockerungen gab es nicht. | |
| Ohne Möglichkeiten zur Wohnungssuche blieb ihm dann nur die Notunterkunft. | |
| Kein ungewöhnlicher Weg für Freigelassene, erkennt bedauernd auch die | |
| Richterin an. | |
| Eine kleine bezahlbare Wohnung habe K. in Bremen nicht gefunden, sagt er. | |
| Gemeinsam mit einem Ex-Kollegen aus der Gefängnisbibliothek hat er dann | |
| eine größere Wohnung in Huchting gemietet und einen neuen Weg | |
| eingeschlagen: „Mit Jobcenter und der ganzen Scheiße“, wie er sagt. | |
| Dann starb der Freund. Allein in der großen Wohnung, kam K. die Idee mit | |
| dem Cannabis-Geschäft. Die erste Ernte sei wegen mangelnden Fachwissens | |
| wenig ertragreich gewesen. Und bevor er mit der zweiten die erhofften | |
| Gewinne machen kann, flog K. auf. | |
| Der Staatsanwalt betont den Planungsaufwand, die Vorsätzlichkeit und die | |
| „kriminelle Energie“. Das Geständnis sei hingegen nicht sonderlich hoch zu | |
| bewerten, so der Ankläger: Denn bei der Faktenlage hätte „Leugnen eh keinen | |
| Sinn gehabt“. | |
| Was er auf freiem Fuß machen würde, will die Richterin von K. wissen. Und | |
| ob die ständigen Gefängnisaufenthalte ihn nicht zum Umdenken angeregt | |
| hätten. „Nein, überhaupt nicht“, sagt er. Eine Lebensperspektive habe er | |
| nicht und Wünsche eigentlich auch keine. | |
| Und eben das ist in der Urteilsbegründung entscheidend: Eine | |
| Bewährungsstrafe sei aus Sicht des Schöffengerichts nicht sinnvoll, solange | |
| der Angeklagte keine Zukunftsperspektive entwickelt habe. Am Ende bekommt | |
| K. zwei Jahre ohne Bewährung. | |
| Dieses Urteil anzufechten, empfiehlt dann ausgerechnet die Richterin: Wenn | |
| K. das nämlich täte, würden eineinhalb Jahre vergehen, bis die nächste | |
| Instanz zusammenkäme. Von einer „faktischen Bewährungszeit“ spricht die | |
| Richterin. Die solle K. nutzen, um über seine Zukunft nachzudenken. Er sei | |
| ein sympathischer Mensch, so die Richterin, und: „Es wäre schade, wenn Sie | |
| jetzt aufgäben.“ | |
| 15 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
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